Stuttgarter Ballett
„AUFBRUCH!“ 28.3. 2019 (Uraufführung) – der Bauhaus-Gedanke lebt!
Zum 100.Male jährt sich in diesem Jahr die Gründung der Bauhausschule in Weimar, ausgehend vom Architekten Walter Gropius, an jenem Ort, wo im gleichen Jahr die erste demokratische Nationalversammlung nach dem Zusammenbruch der Monarchie stattgefunden hatte. Ein bedeutender Anlass, der Ballettintendant Tamas Detrich auf die Idee brachte, drei Choreographen (zwei davon gute Bekannte in Stuttgart) mit Kreationen zu beauftragen, in denen sie sich mit den Grundsätzen dieser bedeutenden Kunstschule auseinandersetzen und sie in ihre Handschriften, ihre Gedanken der freien Vereinigung von Form, Körper und Bewegung weiter tragen. Alle Formen von Kunst sollten in freier Meinungsäußerung und unabhängig vom Geschlecht ihrer Schöpfer zu einer standes-unabhängigen Angelegenheit für jeden Menschen werden, Funktionalität und Sachlichkeit an die Stelle von Verzierung und Prunk treten. Wie unterschiedlich die Resultate dabei ausfallen können, zeigte dieses Uraufführungsprogramm im Stuttgarter Schauspielhaus – einer den Kreis schließenden Koproduktion mit dem Nationaltheater Weimar (Premiere dort am 6.4.), wo die oben erwähnte Ausrufung der Demokratie ihren Anfang gefunden hatte.
„It.floppy.rabbit“ – Diana Ionescu + Ciro Ernesto Mansilla. Foto: Stuttgarter Ballett
Der Auftakt gehörte der ehemaligen Halbsolistin der Compagnie und inzwischen auch international gefragten Choreographin Katarzyna Kozielska. In ihrem Stück mit dem phantasievollen und keinen rechten Bezug dazu herstellenden Titel „IT.FLOPPY.RABBIT“ zitiert sie zunächst einmal eines der ersten ikonischen Objekte des neuen Stils, eine Leuchte, die über einer kreisförmigen Platte aufsteigt und sich zu einer kugelförmigen Haube wölbt. Als Ständer mit unsichtbarem Kopf fungiert die Gruppentänzerin Mizuki Amemiya. In gebückter, geneigter oder am Boden robbender Haltung bringt sie Bewegung in dieses funktionale Gebilde. Dann hebt sich eine zentrale Leinwand und gibt den Blick frei auf eine Bühne, auf der sich schlichte braune Wände, etwas extravagant und doch formell geschnittene Kostüme (beides: Katharina Schlipf) mit Kozielskas immer wieder für Überraschungen sorgender choreographischer Vorgehensweise einerseits in Beziehung treten, andererseits doch eher heterogen erscheinen. Ein riesiges Tuch mit schwarz-blassgoldenem Muster verwickelt gleich eine ganze Gruppe der 12 beschäftigten TänzerInnen oder dient als Körperumhang für ein Paar (Alicia Garcia Torronteras + Matteo Crockard Villa). Das choreographische Material ruht einerseits auf der Basis klassischer Spitzentechnik, stellt ihr aber auf engstem Raum das Kippen in eine veränderte Form gegenüber. Dabei balanciert manchmal ein Bein auf Spitze während das andere sich neigt oder in Schräglage gerät.
Die Auftragskomposition von Benjamin Magnin de Cagny ist ein elektronisches Gebilde mit minimalistischen Wurzeln in überwiegend vorwärtstreibender, aber phasenweise etwas monochromer Motorik. Für die TänzerInnen bildet sie den Anschub und die Kraft für den Mut zur körperlichen Veränderung. Solistische Monologe spielen dabei wie auch in den anderen beiden Werken des Abends keine Rolle. Hier zählt der Ensemble-Gedanke, so dass lediglich gerechterweise alle weiteren Beteiligten genannt werden.: Diana Ionescu, Martina Marin, Aiara Iturrioz Rico, Vittoria Girelli, Moacir de Oliveira, Daniele Silingardi, Ciro Ernesto Mansilla, Christopher Kunzelmann und Christian Pforr.
„Patterns in 3/4“ – Adhonay Soares Da Silva, Fabio Adorisio, Roman Novitzky, Marti Fernandez Paixa v.l. Foto: Stuttgarter Ballett
Wesentlich von der Musik beeinflusst sind die „PATTERNS IN ¾“, dem Beitrag des mit Stuttgart seit 10 Jahren eng verbundenen rumänischen Choreographen Edward Clug, so unmittelbar gehen hier die Formen und Bewegungen aus dem musikalischen Rhythmus von Steve Reichs und Milko Lazars von den Klängen der Marimba bestimmten Kompositionen hervor. Die markanten und doch leicht tönenden Anschläge dieses Tasteninstruments evozieren einen beständigen Fluss von Formen und deren Funktionen. In einem licht grau ausgeleuchteten leeren Bühnenraum, in den sich später L-förmige hohe Wandsegmente schieben (Bühne: Marko Japelj) und einen spielerischen Umgang mit einzelnen Körperteilen gewähren, finden sich 3 Tänzerinnen (Hyo-Jung Kang, Ami Morita, Vittoria Girelli) und vier Tänzer (Adhonay Soares Da Silva, Roman Novitzky, Marti Fernandez Paixa, Fabio Adorisio) in langen schwarzen Hosen und schlichten grauen Oberkörpertrikots mit einem roten Streifen auf dem Rücken entlang der Wirbelsäule (Kostüme: Leo Kulas) in wechselnden Kombinationen zusammen. Die Zahl der TänzerInnen entspricht dem eine wesentliche Rolle der Musik ausmachenden Wechselverhältnis von Triolen und Quartolen. Der akustische Minimalismus findet auch im Stil Clugs seine choreographische Entsprechung. Wie Bauklötze oder Spielfiguren mit gestenreich eingesetzten Händen wirken die Beteiligten, sie springen hüpfend in die Höhe, winden sich in detailreichen Verschlingungen, oder streben in einem beständigen Wechselspiel zusammen und wieder auseinander. Die formelle Reduzierung und dabei erhalten bleibende Schönheit des Tanzes als wesentliche Eckpunkte der Bauhausschule weisen Clug als einen auch in seinen bisherigen hier gezeigten Arbeiten deutlichen Epigonen dieses Prinzips aus. Sogar etwas Süffisanz schwingt mit, wenn z.B. zwei mittels eines Mauervorpsrungs wie im Raum schwebende Köpfe wie Spielbälle aufeinander geschoben scheinen. Die durchgehende Leichtigkeit und Kongruenz mit der Musik bescherte dem überaus sympathischen Tanzschöpfer auch diesmal wieder einen großen persönlichen Erfolg.
„Revolt“ – Angelina Zuccarini + Ensemble. Foto: Stuttgarter Ballett
Mit der größten Spannung erwartet wurde indes Nanine Linning als Debutantin beim Stuttgarter Ballett. Ihre aus vielerlei Komponenten der darstellenden, bildenden und bildlichen Kunst zusammen gefügten Arbeiten haben inzwischen internationales Ansehen gewonnen, ihr großer Erfolg als Direktorin des Tanzensembles im nahen Heidelberg ist auch nach Stuttgart gedrungen. „REVOLT“ heißt ihre eine klare Ansage machende Auftragsarbeit für diesen Bauhaus-Ballettabend. Dabei geht es hier um die trotz der nun seit 100 Jahren durchgesetzten, für den künstlerischen Bereich so immens wichtigen Meinungsfreiheit gerade in den letzten Jahren vermehrten Protestaktionen aus der Gesellschaft heraus. Der Kampf um Veränderung, einen nie nachlassenden „Aufbruch“ vollzieht sich bei Linning in kraftvollen Bewegungsmechanismen der Arme und Beine, die einen Widerstand spürbar machen. Die Spannung wird durch kontinuierliches Drücken und Stemmen aufrecht erhalten, wie eine Welle schieben sich die Körper in den in wechselnden Blautönen gehaltenen Kunstraum, der sich später im Hintergrund mit einem Leuchtstreifen am Boden lichtet (Mitarbeit: Ingo Jooß). Die ebenfalls in blau oder grünlichen Verfärbungen gehaltenen engen Ganzkörper-Trikots (Irina Shaposhnikova), gegen Ende mit bodenlangen gezackten Rockaufsätzen und Masken ins Anonyme erweitert, sind ebenso ein Zeichen der Auflehnung wie die fast durchgehend in sich kreisende und gegen den Takt hämmernd einwirkende Musik von Michael Gordon für Streicher, die von Musikern des Staatsorchesters Stuttgart unter der Leitung von Wolfgang Heinz live gespielt wird und so für eine lebendige Atmosphäre sorgt.
Abgesehen von einer immer mal wieder ausscherenden Tänzerin (Angelina Zuccarini) steht hier ein fünfzehnköpfiges Ensemble aus Halbsolisten/innen und Corps-TänzerInnen für die Gruppe einer protestierenden Gesellschaft. Am Ende wäre vielleicht ein stärkeres Bild des Durchbruches zu erwarten gewesen als das Ausblenden des magischen Blaus und das Versinken des Ensembles im Boden. Der gelöste Druck erweckt dadurch eher den Eindruck eines Untergangs.
Das Echo des Publikums brachte wohl Anerkennung zum Ausdruck, eine wie manchmal länger anhaltende Begeisterung stellte sich nicht ein. Der Favorit des Abends hieß unzweifelhaft Edward Clug.
Udo Klebes