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STUTTGART/Ateliertheater: DER DRACHE von Jewgeni Schwarz. Sich selbst besiegen

17.05.2025 | Theater
„Der Drache“ von Jewgeni Schwarz am 16. Mai 2025 im Theater Atelier/STUTTGART
 
Sich selbst besiegen
 
In seiner Inszenierung beschreibt Vladislav Grakovski eine beklemmende Situation. Das Bühnenbild von Vadim Zimmermann und die Kostüme von Lara Grakovski unterstreichen diese unheimliche Atmosphäre. Die rötliche Silhouette der Wohnung vermischt sich allmählich mit dem Bild der vielen Häuser. Denn es geht hier um eine Stadt, die seit 400 Jahren unter der Herrschaft eines Drachens lebt. Der Ritter Lancelot will das Ungeheuer besiegen. Doch die Gesellschaft will sich gar nicht verändern, sie hat gelernt, ihre Ketten zu lieben. Der Blick richtet sich hier auf gesellschaftliche Strukturen, die Unterdrückung erst möglich machen. Die Fragen stehen im Raum: Was passiert, wenn der Drache besiegt ist? Kann Lanzelot die Gesellschaft retten? Und wie schnell entstehen vielleicht noch gefährlichere Machtstrukturen?
Diese im Jahre 1943 geschrieben Parabel von Jewgeni Schwarz beleuchtet grell und manchmal auch ironisch die Mechanismen politischer Manipulation in unserer Gegenwart. Man denkt dabei natürlich an Hitler und Stalin. Die Gesellschaft rechtfertigt in dieser Parabel eigentlich ihre eigene Unterwerfung. Die heutigen Prozesse politischer Selbsttäuschung werden gnadenlos entlarvt. Der wahre Drache steckt aber auch in den Menschen selbst. Zuletzt heißt es in der hintersinnigen Parabel, dass  man seinen eigenen Drachen besiegen und töten soll. Die subtilen Strategien der Macht werden von den wandlungsfähigen Schauspielern Adrian Jakob, Anna Setzer, Guido Kunkel, Kai Plaumann, Maxim Ruchmann, Katrin Butikova und Vladislav Grakovski facettenreich bloßgestellt, denn sie schlüpfen virtuos in immer neue Rollen. Da gibt es dann auch noch einen Kater, der vor großem Leid warnt und mit dem ängstlichen Esel diskutiert. Er „schnurrt“ wie E.T.A. Hoffmanns „Kater Murr“ die unterschiedlichsten Situationen herbei.

Tiere stellen hier eigentlich Menschen dar. Man erfährt, dass der Drache jedes JSTahr eine Jungfrau für seine Höhle bekommt. Lancelot wird deswegen aufgefordert, den Kampf mit dem Ungeheuer aufzunehmen.  Der Drache brennt immer wieder die Vorstadt nieder, verbreitet Angst und Schrecken. „Man muss einen eigenen Drachen haben“ – das ist hier wohl die Lösung! Schließlich erscheint der Drache im flackerndem Licht und prustet mit seinen drei Köpfen wild drauflos: „Ich mache den Kerl zu Asche und du fegst ihn weg!“ Doch Lancelot wird von den Bürgern mit Vorwürfen überschüttet: „Dass Sie sich erdreisten, unseren Drachen zu fordern, ist ein Unglück!“ Lancelot möchte verhindern, dass die von ihm angebetete Elsa dem Drachen zum Opfer fällt: „Elsa, heute sind Sie noch schöner als gestern!“ Und Lancelot macht Elsa schließlich ein Liebesgeständnis. Dann rüstet er sich für den gewaltigen Kampf mit dem Drachen, der dann auch tatsächlich stattfindet. Es herrscht der Ausnahmezustand. Die Köpfe des Drachen fallen – und schließlich ist er mausetot. Und der Präsident der befreiten Stadt heiratet zuletzt Elsa. Er bezeichnet sich  selbst als Drachentöter, der das Mädchen gerettet hat. Es gelingt Vladislav Grakovski bei seiner abwechslungsreichen Inszenierung überzeugend, die verschiedenen Erzählstränge der Handlung sinnvoll zusammenzuführen. Doch Elsa will den Präsidenten gar nicht heiraten und wehrt sich dagegen. Da kehrt auch noch der totgeglaubte Lancelot wieder heim und das Paar findet wohl noch einmal zusammen. Der Präsident dagegen wird als „Rindvieh“ bezeichnet.

Zum Schluss folgt eine gespenstische Wendung, denn der totgeglaubte Drache ist plötzlich wieder da! Der russische Dramatiker Jewgeni Schwarz war auch ein von Hans Christian Andersen inspirierter Märchenerzähler, wobei Assoziationen zu Nikolai Gogol bestehen. Der geheimnisvolle Zauber russischer Schauspielkunst zeigt sich hier zudem in den filigran-virtuosen Tanzszenen. Zuweilen denkt man auch an die Stanislawski-Methode, aber alles ist eigenständig. Langer Schlussapplaus und „Bravo“-Rufe. 
 
Alexander Walther

 

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