Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART: ARIADNE AUF NAXOS

Weibliche Strauss-Wonnen in diskussionswürdiger Szene

22.06.2019 | Oper


Große Abstände: Simone Schneider (Ariadne), Pawel Konik (Harlekin) und Beate Ritter (Zerbinetta). Copyright: Martin Sigmund

 

Stuttgart: „ARIADNE AUF NAXOS“ 21.6. – weibliche Strauss-Wonnen in diskussionswürdiger Szene

Für vier Vorstellungen und ein konzertantes Gastspiel in Köln wurde die Inszenierung des früheren Hausherrn Jossi Wieler in beständiger Personalunion mit Sergio Morabito in überwiegend neuer Besetzung wieder aufgenommen. Die Bezugnahme auf die Uraufführungsstätte im Bühnenbild von Anna Viebrock – ein Querblick durch das im Zweiten Weltkrieg im Bombenhagel zerstörte Kleine Haus der Württembergischen Staatstheater – ist ein immerhin visuell ansprechender Fingerzeig, doch wäre die dortige Bühne mit Blick in den Zuschauerraum quasi als Theater auf dem Theater sinnfälliger gewesen. So muss das eher bieder vornehme Ambiente des Foyers als wüste Insel herhalten. Am diskussionswürdigsten erscheint auch jetzt wieder der im Hinblick auf die Entstehungsreihenfolge umgekehrt erfolgende Ablauf, das Vorspiel wird zum Nachspiel in dem sich auflösenden Bühnenraum, wo alle Beteiligten im Hier und Heute sich ein zugegeben mit gut beobachteter Ironie und Galgenhumor durchzogenes Pingpong-Spiel im Zusammenhang einer von Mäzenen bestimmten Kultur liefern. Ein wichtiges Thema als Abschluss einer Oper – zumindest so betrachtet hat diese Abänderung ihre Berechtigung und verschafft obendrein dem Komponisten und seiner Preisung der Musik als heiliger Kunst eine starke Final-Plattform.


Wirkungsvolles Finale für Diana Haller (Komponist). Copyright: Martin Sigmund

Diana Haller, nutzt sie im Rahmen ihrer Repertoire-Erweiterung für eine ganz der Rolle würdige, sprich in allen textlichen Details sehr subtil ausgeleuchtete Studie des zwischen Leidenschaft und Verzweiflung kämpfenden jungen Tonsetzers, sowie eine Offenbarung der immer mehr wachsenden Opulenz ihres Mezzos, der sich phasenweise zu Sopranhelle lichtet. Dunkel sonore Tiefen, eine klare und tragfähige Mittellage sowie eine strahlfähige Höhe mit schwebend lyrischen Bögen und ganz frei ausschwingenden Forte-Ausbrüchen verbinden sich zu einer Symbiose, die Richard Strauss seelenvoll harmonische Kantilenen in aller Emphase erfüllen. Wenn sie sich hier am Ende durch den Orchestergraben in die Mitte der ersten Zuschauerreihe durchgekämpft hat, im Rausch der Entrüstung dem Orchester wie entfesselt dirigentische Anweisungen gibt und mit dem letzten Schlussakkord einen juchzenden Schrei loslässt, ist ein spontan entsprechendes Echo des Publikums die bereits in der Luft liegende Folge.

Es war auch gemäß dem Schwerpunkt des Stückes ein Abend der weiteren Damen. Beate Ritter, die mit ihrer Gilda einen so gloriosen Ensemble-Einstand hatte, zeigt als Zerbinetta, was bereits bei Verdi zu erahnen war: eine völlig freie, selbst in den irrsinnigsten Gipfeln der großen Arie „Großmächtige Prinzessin“ spielend leichte und an keinerlei Grenzen rührende Extremhöhe. Gepaart mit ihrem für einen Koloratursopran recht breiten Fundament und damit verbunden üppigen Möglichkeiten jenseits des Virtuosen-Gesangs erweist sich ihre aus passender spielerischer Laune, Ironie, Witz und deutlicher Artikulation gespeiste Interpretation als ebenso begeisternd verführerisch wie entwaffnend selbstbewusst.

Mit der Titelrolle erweitert Simone Schneider ihre inzwischen weit über Stuttgart hinaus gedrungene Reputation im Strauss- und Wagnerfach um eine weitere Perle. So gibt sie der hier in einem Foyer-Sessel schlummernden, sich zwischendurch erhebenden und ab und zu zur Flasche greifenden Ariadne im schwarzen Kleid einen passend larmoyanten Unterton, der sich mit ihrem in der Höhe leuchtend entfaltenden und bis in die Spitzen rund expansiv bleibenden Sopran reizvoll mischt. Eine damenhafte Erscheinung, zu der sich mit der letztendlichen Zuversicht auf die Rettung durch einen Gott eine sympathische Ausstrahlung gesellt, macht sie wie geschaffen für die so edel geschaffene Strauss-Figur. Nur wäre ihr ein Bacchus mit mehr vokaler Empathie zu wünschen gewesen als der Kanadier David Pomeroy, der die zugegeben in unangenehm hoher Tessitura verfasste Partie bis in die langen Bögen und Hochtöne mühelos sicher bewältigte, aber mit unauffällig weißem Timbre, meist gleichförmigem Ausdruck bei Vorliebe zum Forte und den apostrophierten „Tönen eines süßen Vogels“ sowie als erlösender Gott kaum entsprechend schmeichelnde Attribute aufweist.

Die mehrmals wiederholten Worte der Nymphen, die hier als ältliche Jungfern beim Theaterbesuch fungieren, wie auch deren wellenhaft ineinander fließende Gesänge, liegen Josefin Feiler (Najade), Ida Ränzlöv (Dryade) und Carina Schmieger (Echo) sowohl einzeln als gemeinsam ausgewogen in der Kehle.

Das Komödiantenquartett wird von Pawel Konik als Harlekin mit vollem, wenn auch etwas grobkörnigem Bariton angeführt, gefolgt von den markanten Charaktertenören Heinz Göhrig (Scaramuccio) und Torsten Hofmann (Brighella) und dem kräftig bassal ergänzenden David Steffens (Truffaldin). Daniel Kluge setzt mit grellem Tenor als Tanzmeister treffliche Pointen, Michael Ebbecke gibt dem Musiklehrer die passende Autorität und feste Bariton-Kontur, als Haushofmeister wurde der bekannte Fernseh-Entertainer Harald Schmidt gewonnen und macht mit gekonnt trockener Herablassung auf sein meist im Hintergrund stehendes Wirken als gelernter Schauspieler aufmerksam.

Jasper Leever (Lakai), Elliott Carlton Hines (Perückenmacher) und Moritz Kallenberg (Offizier) sind rollendeckende Mitglieder des Opernstudios.

Nach Wagner, Puccini und Mozart stellt sich GMD Cornelius Meister auch bei Strauss als weiterem Repertoire-Pfeiler ganz in den Dienst deren Besonderheiten, sprich lässt mit exakt mitgehendem Einsatz das Staatsorchester Stuttgart die delikat aufbereitete kammermusikalische Struktur dieses Werkes in all ihren feinen Verästelungen, motivischen Verbindungen und atmosphärischen harmonischen Rückungen ebenso analytisch wie emotional erfüllt zur Geltung bringen. Ob in den oft kommentierenden Holzbläsern, in den sauber abschattierten Hörnern, im feinen Streicher-Gewebe oder in der transparenten Ballung des groß besetzten Kammerorchesters – unter einer so animierten Leitung (wie aufgrund des hoch sitzenden Orchesters zu beobachten möglich ist) fügen sich alle Details mit zudem rundum optimal disponierten Musikern zu einem vollkommenen Ganzen. Keine Frage, dass die Ovationen für die Damen auf Dirigent und Orchester erweitert wurden.

Udo Klebes  

 

 

 

Diese Seite drucken