Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART: „A REID ANDERSON CELEBRATION“

Festwoche zum Abschied des langjährigen Intendanten (1996-2018) 13.-22.7. – Teil 1

17.07.2018 | Ballett/Performance


Hyo-Jung Kang und Marti Fernandez Paix. Copyright: Stuttgarter Ballett

Stuttgarter Ballett

„A REID ANDERSON CELEBRATION“ – Festwoche zum Abschied des langjährigen Intendanten (1996-2018) 13.-22.7. – Teil 1

Eine Aera geht beim Stuttgarter Ballett zu Ende: Reid Anderson, seit 1969 Tänzer noch unter John Cranko, später unter Marcia Haydée, ist 1996 mit der herausfordernden Auflage gestartet, die Compagnie zu verjüngen und auf Basis der Tradition in die Zukunft zu führen. Das ist ihm unter beständiger Wahrung des Cranko-Erbes, der Entdeckung vieler Choreographen (ein Teil davon aus eigenen Tänzer-Reihen), dem Aufbau eines vor allem in männlicher Hinsicht bewundernswerten Solisten-Ensemble und einer immer wieder wagemutigen Besetzungspolitik, sprich vielen nicht selbstverständlichen Rollenchancen für Gruppentänzer und Halbsolisten, kontinuierlich gelungen, so dass das Stuttgarter Ballett weiterhin ein Botschafter hervorragender darstellerischer Ballettkunst geblieben ist. Darüber hinaus hat er Hand in Hand mit dem Ballettschulleiter Tadeusz Matacz erreicht, dass heute zwei Drittel des Ensembles aus der John Cranko-Schule hervorgehen und keine Auditions mehr stattfinden mussten. Nicht zuletzt wurde sein unermüdlicher Kampf für einen Neubau der Schule samt einer den Maßen der Opernhausbühne entsprechenden Probe-Einrichtung mit einer Umsetzung des Vorhabens belohnt, so dass er deren Eröffnung bald nach seiner Pensionierung wird erleben können.

Die Festwoche zu seinen Ehren begann mit einer Kino-Präsentation von „ROMEO UND JULIA“ (Aufzeichnung Frühjahr 2017), dem Start des umgesetzten Projektes, die großen Cranko-Werke in aktuellen Besetzungen öffentlich zu dokumentieren. Hoffen wir, dass die angekündigte DVD bald folgen wird.

Nach einer letzten Reprise von Christian Spucks Erfolgsballett „LULU“ gönnte Anderson seinen TänzerInnen im Vorfeld des bevorstehenden harten Festwochen-Einsatzes einen freien Tag und blickte in seiner „ONE MAN SHOW“ auf die 22jährige Intendantenzeit zurück, die für ihn Stuttgart endgültig als Zuhause markiert und seine davor liegenden 10 Intendantenjahre beim Nationalballett seines Heimatlandes Kanada nur als „Exil“ bewusst gemacht haben. Mit der von ihm selbst getroffenen Auswahl an kurzen Video-Clips aus dem hauseigenen Archiv, von dem wir so gerne einige unvergessliche Höhepunkte veröffentlicht wünschen, weckte er so manch wehmütige Erinnerung an zahlreiche besondere Ereignisse.

In seinem freien, lockeren und so trocken humorvollen Entertainer-Stil gab er auch eine Einführung vor der am Abend danach (16.7.) folgenden Vorstellung unter dem Sammelbegriff „PARTY PIECES“. Ein persönliches, ganz auf seine Vorlieben abgestimmtes Programm, dessen Stücke überwiegend für spezielle Anlässe wie die Noverre-Abende für Junge Choreographen, Galas, Preisverleihungen, Geburtstage, Jubiläen und Wettbewerbe geschaffen und später oft mehrfach bei anderen Gelegenheiten wieder präsentiert wurden.


 LIMELIGHT von Katarzyna Kozielska mit Elisa Badenes. Copyright: Stuttgarter Ballett

Neu für Stuttgart war „LIMELIGHT“, ein Solo, das die zum Saisonende ihre Tänzerkarriere beendende Halbsolistin Katarzyna Kozielska 2015 für die Verleihung des Deutschen Tanzpreises in Essen kreiert hatte und nun ebenfalls von der Ersten Solistin Elisa Badenes in einer mitreißenden Kombination aus klassischen Spitzenbalancen und fließend damit verbundenen Brechungen präsentierte, Ergänzt durch nuancierte Lichtstimmungen und eine rhythmisch eigenwillige Musik von Per Störby Jutbring ergibt das ein Gala-würdiges Häppchen. Wiedersehen gerne erwünscht!

Es fällt schwer einen der sonstigen Beiträge besonders zu würdigen, tragen sie doch alle dazu bei, dass dieser Partyabend zum zweiten Galaabend der Festwoche wird, nur etwas kleiner dimensioniert im nüchterneren Schauspielhaus.

Darum schlicht und einfach der Reihe nach: in jenem Solo, mit dem Edward Clugs „SSSS…“ beginnt, kehrte Marijn Rademaker als Gast von Het Nationalballett Amsterdam zurück und maß die zeichenhaften wie teilweise auch rätselhaften Schritt- und Armkombinationen mit seiner weichen, dabei äußerst transparent und akkuraten Körpersprache höchst eindrucksvoll aus.

SIRS“ heißt der 2007 für Noverre geschaffene Choreographie-Erstling der ehemaligen Ersten Solistin Bridget Breiner, die nächsten Sommer von ihrer Direktoren-Position in Gelsenkirchen als Nachfolgerin von Birgit Keil ans Badische Staatsballett nach Karlsruhe wechseln wird. Mit Witz und Feinsinn lässt sie hier eine Frau von ihren drei Liebhabern in Schlaghosen und freiem Oberkörper um ihre Reize anbaggern und dabei mit ihnen köstlich ihr Spiel treiben. Rocio Aleman, Fabio Adorisio, Timoor Afshar und Noan Alves servieren es in gelöster Frische.

Immer wieder gern gesehen ist des Ballettmeisters Rolando D’Alesios Pas de deux „COME NEVE AL SOLE“, dessen oft abrupter Wechsel von Ernst und Komik im Zusammenhang mit den geschickt eingearbeiteten Dehnungen der Tänzer-T-Shirts auch vom Erste Solisten-Paar Miriam Kacerova und Roman Novitzky bis ins Detail belebt wird.


FANCY GOODS von Marco Goecke  mit Friedemann  Vogel. Copyright: Stuttgarter Ballett

FANCY GOODS“ von Marco Goecke erinnerte noch einmal an das eigenständige Profil des scheidenden Hauschoreographen. So wie Sarah Vaughn in der ausgewählten Musik mit ihrer Stimme spielt, so feinfühlig und präzise bis in das kleinste nervöse Flattern hinein empfiehlt sich Startänzer Friedemann Vogel als idealer Interpret.

Schräger Humor ist bei „ARE YOU AS BIG AS ME” von Roman Novitzky angesagt. Passend zur Musik von Hazmat Modine liefern sich die drei allesamt individuell komischen Talente Matteo Miccini (er mußte die Rolle aufgrund Kollegen-Ausfalls innerhalb eines Tages lernen!!!), Louis Stiens und Alessandro Giaquinto einen ungewöhnlichen Wettbewerb in angedeutetem Dauerlauf gegen die Zeit.

Eine ganz andere Richtung bedient der einstige Erste Solist Douglas Lee, wobei das 2016 für die Gala zum 20jährigen Intendanten-Jubiläum kreierte „ARCADIA“ weniger streng daher kommt als seine anderen Stücke. Wie in einem Traumgarten in fließendem Wechsel zwischen Licht und Schatten schlingen sich die Körper von Hyo-Jung Kang und Marti Fernandez Paixa in stetigem Fluß bei technisch anspruchsvollem Verlauf ineinander.

Mit „FIREBREATHER“ begegnete uns noch einmal jenes Solo, das Katarzyna Kozielska dem Ausnahmetänzer und Energiebündel Daniel Camargo mit kraftvollsten Eruptionen zwischen Lichtkegeln auf den Leib geschneidert hatte. Die Rückkehr des in Stuttgart groß gewordenen, 2016 überraschend schnell nach Amsterdam gewechselten Brasilianers wurde mit frenetischem Jubel gefeiert.

Nach dieser tour de force wären die einst von Demis Volpi für ihn und Elisa Badenes geschaffenen und mit dem Erik Bruhn-Preis in Kanada belohnten  „LITTLE MONSTERS“ zweifellos zuviel gewesen, so dass die so wandelbare Spanierin die originelle, brillant mit menschlichen Verhaltensweisen spielende Choreographie mit dem Ersten Solisten David Moore  bestritt – ein kontrastreiches und doch auf einen guten Nenner findendes Paar.

Der zentrale Pas de deux aus „KAZIMIR’S COLOURS“ erinnerte an die erste Stuttgarter Premiere Andersons und den damit verbundenen Durchbruch des Choreographen Mauro Bigonzetti. Anna Osadcenko und Friedemann Vogel gestalteten das auch von Schostakowitschs gehaltvoller Musik lebende Stück mit der überlegenen Ruhe, wie sie nur technisch und menschlich reife und erfahrene Solisten ausstrahlen können.

Ausgerechnet der „Kran“ (O-Ton Anderson), der belastbarste Tänzer des Ensembles Jason Reilly fiel kurzfristig aus und konnte so leider nicht Eric Gauthiers köstlich auf die Spitze getriebenes „Ballet 101“ und schon gar nicht „MonoLisa“ von Itzik Galili, der als Hammer-Pas de deux einen fulminanten Abschluss ergeben hätte, tanzen. Um nicht gleich zwei Programm-Löcher zu haben, wurde schnell improvisiert und Reillys Partnerin Alicia Amatriain damit konfrontiert, Demis Volpis Solo „ALLURE“ innerhalb eines Tages aus ihrem Bewegungsspeicher zu holen und kurzerhand wieder einzustudieren – mit dem selbstredend hochprofessionellem Ergebnis der Studie einer um ihr Selbstbewusstsein ringenden Frau.

Begeisterte Party-Stimmung herrschte noch lange im Publikum, bei dem sich Anderson für seine beständige Neugierde, sein Wissen und seine Urteilskraft, wie schon am Vortag, extra bedankte.

 Udo Klebes

 

Diese Seite drucken