Stuttgart „FALSTAFF“ 2.10. 2015 (WA 26.9.) – Zentrum Dirigent
Kann eine Aufführung allein des Dirigenten wegen zum Besuch verlocken? Ja, es kann, zumal wenn es sich um ein Werk wie Verdis Altersopus handelt, das mit seiner vielschichtigen und kleinteiligen Partitur schon immer auch die größten Dirigenten herausgefordert hat, die um die italienische Oper sonst eher einen großen Bogen machen. Wenn es denn einem noch jungen Nachwuchs-Maestro wie Daniele Rustioni, der jüngst zum Chefdirigenten der Oper in Lyon ernannt wurde und hier in der letzten Saison mit einem faszinierend differenziert verwirklichten „Nabucco“ begeisterte, gelingt, der sich meist im ganzen Leben nicht in allen Facetten erforschbaren Shakespeare-Komödie weitreichend auf den Grund zu gehen, markiert das eine bewundernswerte Leistung.
Meisterhaft in jungen Jahren: der Dirigent Daniele Rustioni. Copyright: Cophano
Eine gesunde Mischung aus Temperament und Feinfühligkeit bestimmt Rustionis Dirigat vom lebhaften Auftakt im Wirtshaus bis zur wirkungsvoll gebündelten Schlussfuge. Da wird den unzählbaren Instrumentierungs- und Harmonie-Details liebevoll ironisch nachgespürt, wie es Verdi so herrlich locker, altersweise und doch voll komödiantischer Frische im dominierenden und nur von kurzen melodischen Aufschwüngen unterbrochenen Parlando-Ton kommentiert, bricht und dem ganzen doch einen Zusammenhalt gibt. Genau das gelingt auch Rustioni – trotz der dem Staatsorchester Stuttgart an allen Pulten entlockten Feinarbeit entfaltet sich alles als Großes Ganzes, und verblüfft damit auch heute noch genauso, wie der Komponist 1893 damit die Musikwelt total überrascht hat. Ob es das Kichern der Frauen, die Aufgeblasenheit der Männer, die Zärtlichkeit des Liebespaares, der impressionistische nächtliche Elfenzauber, die hymnischen Ausuferungen oder die immer wieder leise brummelnden Untertöne sind – all das wird hier aufs Trefflichste beleuchtet und gleichzeitig den Sängern die notwendige Aufmerksamkeit für ihre oft in schnellem Tempo abspulenden Einsätze geschenkt. Der gerechtfertigt deutliche Dank des Dirigenten an die Musiker beim Schlussapplaus war auch ein Zeichen großer gegenseitiger Sympathie. Auch deshalb liegt es nahe, Rustioni künftig für mehr Aufgaben, am besten eine Premiere zu gewinnen.
Eine runde Leistung: Gezim Myshketa als Ford mit Albert Dohmen als Falstaff. Copyright: A.T.Schaefer
Im bis auf Maria Theresa Ullrichs gewandte und mit klangvoll hellem Mezzo aufhorchen lassende Meg Page und dem ab sofort fix engagierten David Steffens als Pistola mit annehmbarem und brauchbar fundiertem Bass unveränderten Sänger-Ensemble setzte Gezim Myshketa als Ford mit einem selten gewordenen feinen und doch fülligen, sämigen und kultiviert timbrierten Kavaliersbariton sowie gut balancierter Spielfreude zwischen Anstand und Übertreibung wieder einen Höhepunkt, dicht gefolgt von seiner Bühnenfrau Alice, der Simone Schneiders üppiger und wo gefordert dennoch schlank geführter, vielseitig einsetzbarer Sopran gut entspricht. Erfreulich vertieft bzw. natürlicher in den Körper bekommen hat Albert Dohmen die Titelrolle seit seinem Debut vor zwei Jahren. Etwas kurzatmige und angegriffen wirkende Forte-Höhen dürften hoffentlich einer nicht optimalen Abendverfassung zuzuschreiben sein, ansonsten rundete sich sein fülliger Bass-Bariton zu idiomatischer Ausdrucks-Dichte, gepaart mit einer nie peinlich ausartenden spielerischen Präsenz.
Mirella Bunoaicas klar leuchtender lyrischer Sopran und Gergely Németis trotz Breiten-Entfaltung erfreulich fein und wohltönend gebliebener Tenor sind als Nanetta und Fenton ebenso goldrichtig besetzt wie die beiden Charaktertenöre, der kräftigere und pointiertere des Heinz Göhrig als Dr. Cajus und der leichtgewichtigere des Torsten Hofmann als Bardolfo. Was eine so flache, nach unten dünne und nach oben spitze und unsauber intonierende Altistin wie Hilke Andersen in einem so gehaltvollen Ensemble zu suchen hat, erschließt sich nicht, zumal sie auch im Spiel von der schillernden Figur der meist alle anderen überragenden Mrs Quickly nur wenig transportieren konnte. Letzteres mag sicher auch an der ungewöhnlich blassen Zeichnung dieser Rolle durch die Regisseurin Andrea Moses liegen, deren Inszenierung einer Wiederaufnahme nicht unbedingt wert gewesen wäre. Abgesehen von der Waldszene, die mit quer gelegten dicken Stämmen und nächtlicher Beleuchtung optisch wie spielerisch Stimmung erzeugt, entspricht alles davor Liegende kaum dem Tiefsinn Shakespeares und Verdis, bedient im billigen, auf offener Szene verwandelbaren und verschiebbaren Sperrholz-Ambiente (Bühne: Jan Pappelbaum) und in heutigen Kostümen (Anna Eiermann) mehr den oberflächlichen Klamauk. Immerhin wird aber Falstaff stückgemäß in einem Waschkorb versteckt und von vier Dienern mühevoll vom höchsten Punkt des Etagenhauses unter einem großen Deckenspiegel für alle sichtbar ins Wasser gekippt.
Besonders der Dirigent entschädigte für alle szenischen Flachheiten und wurde dafür, wie auch einige Sänger und der beim nächtlichen Spuk munter mitmischende und die Schlussmoral vokal gebührend verstärkende Staatsopernchor, entsprechend gewürdigt.
Udo Klebes