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STRONGER

06.04.2018 | FILM/TV, KRITIKEN

Filmstart: 20. April 2018
STRONGER
USA / 2017
Regie: David Gordon Green
Mit: Jake Gyllenhaal, Miranda Richardson u.a.

Die tragischen Ereignisse vom Boston Marathon des Jahres 2013, als bei einem Bombenanschlag drei Menschen ums Leben kamen und über 260 verletzt wurden, waren schon vor zwei Jahren im Kino: „Boston“ mit Mark Wahlberg zeigte die Geschichte vom Standpunkt der Rettungskräfte.

Nun rückt eines der Opfer in den Mittelpunkt: Man bekommt allerdings nicht nur vorgeführt, wie Jeff Bauman beide Beine verlor und sich entsprechend heldenhaft (wie es eine ewig Tendenz amerikanischer Films ist) ins Leben zurückkämpft. Immerhin thematisiert Regisseur David Gordon Green auch die Schattenseiten einer Mediengesellschaft, die Opfer ununterbrochen an die Öffentlichkeit zerrt, um sie spektakulär auszustellen…

Alle sind sehr fröhlich rund um Jeff Bauman, der sich an diesem 15. April 2013 den Boston Marathon live ansehen will, schließlich ist seine Ex-Freundin Erin, die er noch immer umwirbt, bei den Läufern dabei. Die Bomben-Katastrophe kommt schnell, das Chaos, die Verzweiflung, Suche nach den Überlebenden. Und dann erfährt Jeffs Familie, in deren Zentrum die alkoholkranke Mutter steht: Er lebt – aber beide Beine wurden zerstört, müssen amputiert werden.

In der Folge kann Jake Gyllenhaal dann seine darstellerischen Künste erweisen, wenn die Geschichte ihre vielen Wendungen nimmt und von ihm die Anpassung an jegliche neue Situation verlangt: der „Krüppel im Spitalsbett“ (es gibt Zeitgenossen, die darüber sogar Witze reißen), die Hysterie der Verwandten, die Behörden, die praktischen Fragen (der ehemalige Arbeitgeber, die Versicherung)… und mitten drin der Mann, dessen bisheriges Leben zu Ende ist.

Freilich, als man ihn sechs Wochen später im Rollstuhl aus dem Krankenhaus schiebt, ist der Rummel enorm: „Du bist ein Symbol, Du bist Boston Strong!“ Alle scheinen es zu feiern, nur er ist verwirrt, wie lebt man als Krüppel, der in allem auf Hilfe angewiesen ist? Wenn er nun als „Held“ herumgeschleppt und vorgeführt wird, weiß dieser Jeff ganz gut, dass es nicht um ihn persönlich geht. Bis ihm beim Jubel der Massen die Nerven reißen – und der Film sehr Wesentliches aussagt. Das Opfer als Zentrum eines Volksfestes, die, denen nichts passiert ist, feiern einen, der für sie alle symbolisch zum „Opfer“ wurde… Massenhysterie, die zum Erbrechen reizt.

Besonders bemerkenswert die Leistung von Miranda Richardson als Säuferin-Mutter, die hier ihre Chance sieht, den Sohn groß herauszubringen und damit sich selbst („I want people to see how amazing my son is“). Familiärer Psychodruck, lächerlicher Stolz auf etwas, wofür man selbst nichts geleistet hat („Can we take a picture?“), absolute Rücksichtslosigkeit der Mitmenschen – wobei die Mutter die Freundin, die zu ihm zurückgekehrt ist und ihn wahrlich opferbereit pflegt, nach allen Regeln der Aufmerksamkeits-Eifersucht anfeindet…

Diese Freundin Erin Hurley (Tatiana Maslany), die manchmal auch grob wird („Er sitzt in seiner Scheiße und außer mir ist niemand da, sie wegzuwischen“), verlangt auch ihr eigenes Leben zurück, gibt ihn, als sein Verhalten unleidlich wird, in ein Heim für Behinderte – aber endlich leuchtet die Hoffnung. Sie erwartet ein Kind, er wird vom Rollstuhl aus Coach für Baseball-Spieler, und wenn das Ganze am Ende einigermaßen schmalzig ausgeht – so hat der Film die Geschichte doch von vielen Seiten hart beleuchtet und nicht nur die Helden-Schnulze bedient. Und weil es eine wahre Geschichte ist, erfährt man noch im Nachspann, dass Erin drei Jahre später wieder beim Boston Marathon mitgelaufen ist.

Renate Wagner

 

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