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Stream: Eröffnungskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele im Forum am 6. 5. 2021/LUDWIGSBURG

07.05.2021 | Konzert/Liederabende

Stream: Eröffnungskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele im Forum am 6. 5. 2021/LUDWIGSBURG

Suche nach Klangquellen

 Ludwig van Beethovens sechste Sinfonie in F-Dur („Pastorale“) op. 68 ist die einzige Sinfonie, der er ein Programm gegeben hat. Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv unterstreicht bei ihrer konzentrierten Wiedergabe und ihrem Debüt mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele den Charakter der Sonatenform mit zwei wirkungsvollen Themen im Kopfsatz. Die Diatonik wirkt dabei wie ein Natursymbol. Sehr durchsichtig und dezent wird dann der zweite Satz „Szene am Bach“ musiziert, der ebenfalls ein facettenreiches Sonatenschema besitzt. Die in den Violinen und Holzbläsern erscheinende, wiegende und mit Trillern verzierte Melodie erreicht dabei fast sphärenhafte Klangflächen. Und in der Coda imitiert die Oboe die Wachtel, die Flöte den Ruf der Nachtigall und die Klarinette den Kuckucks-Ruf in der Terz. Ausgesprochen reizvoll wirkt hier auch das Scherzo mit seinem Streicher-Staccato. Das heftig bewegte Trio bleibt im Gedächtnis. Den dynamischen Aufbau des anschließenden Gewitters erfasst Oksana Lyniv höchst emotional und packend – und auch beim Verschwinden des Gewitters erzittert eine reiche harmonische Klangfülle in den Lüften. Die Solo-Klarinette beschwört fast magisch den „Hirtengesang“, woraus sich die betörende F-Dur-Kantilene der Geigen fast geheimnisvoll herauslöst. Dass das Finale die Sonaten- mit der Rondoform verknüpft, macht die Dirigentin Oksana Lyniv mit dem Orchester eindringlich deutlich. Und der wiegende Sechsachtel-Rhythmus beeindruckt dabei mit Intensität. Bei dem stummen Stück „4’33“ von John Cage gewinnt die gestische Andeutung eine wichtige Kontur, rhythmische Strukturen werden nur gestisch dargestellt. Man kann sich hier vorstellen, woher de Klangquellen kommen. Das aber lässt Oksana Lyniv mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele in eindringlicher Weise Revue passieren. Das Nachdenken über Musik und Stille weckt dabei viele Fragen. In einer nicht immer ganz unproblematischen Bearbeitung von Glen Cortese erklingt dann zum  Abschluss „Das Lied von der Erde“ von Gustav Mahler. Dieses Werk wird hier von einem von der Natur stark inspirierten Film von J Henry Fair begleitet. Mahler war damals erst 48 Jahre alt – und dennoch ist das Werk von Todesahnungen erfüllt. Die Verse, die er als Unterlage für seine Gesänge wählte, entstammen der chinesischen Lyrik in der Nachdichtung von Hans Bethge. Christian Elsner (Tenor) lässt die Verzweiflungsausbrüche beim „Trinklied vom Jammer der Erde“ nach dem kraftvollen Aufschwung des Orchesters überzeugend deutlich werden. Die fast schon zerklüftete Melodik gipfelt in der erregten Frage „Du aber, Mensch, wie lang lebst denn du?“ Anna Larsson (Mezzosopran) zeigt beim Lied „Der Einsame im Herbst“ mit den sordinierten Geigenfiguren einen klangfarbenreichen Ausdruck, der die Monotonie aufbricht. Der Zauber der folgenden drei Gesänge um Jugend, Schönheit und Frühling kommt dank der einfühlsamen Leitung von Oksana Lyniv in durchaus beeindruckender Weise zur Geltung. Dem Tenor-Lied „Von der Jugend“ verleiht Christian Elsner einen freundlichen Traum von Einst – und beim Lied „Von der Schönheit“ singt Anna Larsson mit reifer Gestaltungskraft von den jungen Mädchen, die am Uferrande Lotosblumen pflücken. Die plötzliche Marsch-Erregung im Orchester mit Fanfaren und Harfenglissandi erfasst die Dirigentin Oksana Lyniv mit elektrisierender Klarheit und Leuchtkraft, wobei der Film hierzu nicht immer passende Bilder findet. Doch insgesamt wird doch immer wieder recht überzeugend die Einheit von Natur und Musik beschworen. Die Endgültigkeit eines Lebensverzichts kommt beim letzten Gesang „Abschied“ in eindringlicher Weise zur Geltung. Den großen gesanglichen Steigerungen wird Anna Larsson dabei in den verschiedensten Schattierungen gerecht. Wie aus dem hymnischen Höhepunkt plötzlich der Umschwung folgt, lässt Oksana Lyniv mit dem Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele in aufwühlender Weise deutlich werden. Mit dem Einsatz des Gongs nimmt hier der gewaltige Trauermarsch seinen Fortgang. Die Schlussworte der Gesangsstimme beschwören die düstere Leere des Kontra-C mit Intensität. Magische Harmonien  beflügeln auch hier die Suche nach den Klangquellen.

Alexander Walther

 

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