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STRASSBURG: VOM 1000JÄHRIGEN MÜNSTER IN DIE MODERNE

23.08.2015 | Allgemein, REISE und KULTUR

Straßburg: vom 1000jährigen Münster in die Moderne, 23.08.2015

von Ursula Wiegand

 Blick durch eine Gasse aufs Straßburger Münster
Blick durch eine Gasse aufs Straßburger Münster. Foto: Ursula Wiegand

 

Das gut 2000 Jahre alte Straßburg feiert in diesem Jahr den tausendsten Geburtstag seines Liebfrauenmünsters. Malerisch lugt es durch die Gassen der Altstadt. Mit einer Höhe von 142 Metern war es bis ins 19. Jahrhundert die größte Kathedrale der Christenheit und ist nach wie vor eine der schönsten.

 romanische Krypta von 1015
Romanische Krypta von 1015. Foto: Ursula Wiegand

 Das Münster erhebt sich auf den Fundamenten des 1015 gegründeten romanischen Vorgängerbaus, dessen Reste in der Krypta zu sehen sind. Dieses Datum – 1015 – ist der Anlass des Jubiläums.

 Straßburger Münster, Juwel der Gotik
Straßburger Münster, Juwel der Gotik.  Foto: Ursula Wiegand

 Nach einem Brand baute man das Münster von 1240 -1275 wieder auf, jedoch im gotischen Stil, himmelstürmend und mit hohen Fenstern. Erfunden wurde dieser neue Stil im Kloster Saint-Denis bei Paris und in Chartres ab 1194 großartig verwirklicht. Ein Gotik-Boom brach aus. Von etwa 1150 – 1300  wurden in Frankreich rd. 2.500 Kirchen und fast 20 Kathedralen in diesem Stil errichtet. Baumeister und Handwerker pendelten durch Europa und schufen wahre Wunderwerke.  

Westfassade, große Rosette von innen Westfassade, die große Rosette
Westfassade, die große Rosette.  Foto: Ursula Wiegand

 Mit den Erfahrungen aus Chartres kam der Deutsche Erwin von Steinbach nach Straßburg und gestaltete aus rosa Vogesensandstein die berühmte Westfassade mit der großen Rosette über dem zentralen Marienportal. Flammengleich ragen feinste Steinspitzen bis zur Rosettenmitte.   

Genau genommen ist die Rosette die künstlerische Krönung des Marienlebens, sitzt doch gleich darunter die gekrönte Gottesmutter und hält den stehenden Jesusknaben. Darüber, vormals ein Tabu, das Gesicht Gottvaters.

 Westfassade, Marienportal, ein Ausschnitt
Westfassade, Marienportal, ein Ausschnitt.  Foto: Ursula Wiegand

 Dieses Marienportal, das wichtigste von fünfen, bildet den Haupteingang. Neben der unten aufrechten Madonna stehen die Propheten mit ihren ausdrucksstarken Gesichtern. Das Tympanon thematisiert Jesu letzte Stunden: Abendmahl, Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt.

 Westfassade, Propheten am Marienportal
Westfassade, Propheten am Marienportal.  Foto: Ursula Wiegand

 Wie Christi Leben begann, zeigt weit oben das linke Portal. Die Tugenden, beidseitig darunter, durchbohren mit ihren Lanzen die Laster zu ihren Füßen.

 Westfassade, linkes Portal, Christi Geburt
Westfassade, linkes Portal, Christi Geburt.  Foto: Ursula Wiegand

 Lustiger wirken die törichten Jungfrauen am rechten Portal, vor allem die Grinsende mit dem Geldsäckchen. Den Klugen stehlen sie die Schau, doch im Tympanon wartet schon das Jüngste Gericht.

 Westfassade, rechtes Portal, die törichten Jungfrauen
Westfassade, rechtes Portal, die törichten Jungfrauen.  Foto: Ursula Wiegand

 Von drinnen betrachtet entfaltet die Rosette in der Abendsonne ihre ganze Farbenpracht und erhellt das 63 Meter messende Langhaus. Sanfter leuchten die Glasfenster aus dem 13./14. Jahrhundert, die durch Auslagerung den 2. Weltkrieg überstanden.

 Westfassade, große Rosette von innen
Westfassade, große Rosette von innen.  Foto: Ursula Wiegand

 Doch „wo ist denn der Hund?“ fragt plötzlich eine kleine Französin. Stadtführerin Lucie Maechel lächelt und weist auf die spätgotische Kanzel. An der ist tatsächlich ein Hund verewigt, der des Predigers Geiler von Kaysersberg.

Hund des Predigers Geiler von Kaysersberg an der Kanzel 
Hund des Predigers Geiler von Kaysersberg an der Kanzel.  Foto: Ursula Wiegand

 Wenn der von 1478-1510 wortgewaltig auf der Kanzel gegen Missstände wetterte, pennte der Kleine friedlich zu seinen Füßen.

Hellwach sind jedoch die Besucher und eilen am Engelspfeiler vorbei zur Astronischen Uhr (von 1574). Täglich um 12.30 Uhr ziehen die Apostel beim Hahnenschrei an Christus vorbei.

 Astronomische Uhr von 1574, Andrang
Astronomische Uhr von 1574, Andrang.  Foto: Ursula Wiegand

 Weiter unten sind es ein Kind, ein Jugendlicher, ein Erwachsener und ein Greis. Wie sich die Zeiten ändern, hat auch das Münster erfahren: von 1521 – 1801 war es eine protestantische Kathedrale, ist aber seither wieder eine katholische. Sechsmal wechselte Straßburg den Besitzer. Nun vereint das Münster diese beiden christlichen Konfessionen.  

330 Stufen führen hinauf zur Plattform. Ganz nahe ist dort oben der filigrane Turm, für dessen Errichtung Ulrich von Ensingen, Baumeister am Ulmer Münster, 1399 anreiste. Vollendet wurde er 1439.

 Blick auf Straßburgs Altstadt
Blick auf Straßburgs Altstadt.  Foto: Ursula Wiegand

Dass dieser Turm noch steht und mit ihm das Gotteshaus, ist jedoch dem deutschen Experten Johann Knauth (1864 – 1924) zu verdanken. Als Architekt der Münsterbauhütte Unserer Lieben Frau hatte er sich für die Sicherung des nördlichen Pfeilers der Innenvorhalle eingesetzt, der den Turm trägt und bewahrte so das Münster vor dem Einsturz. Die 1912 begonnenen Bauarbeiten endeten erst 1926.

Dank war ihm jedoch nicht zuteil geworden. Knauth, der zwei auf deutscher Seite kämpfende Söhne im 1. Weltkrieg verloren hatte, weigerte sich nach Kriegsende, die französische Staatsangehörigkeit zu beantragen. 1921 wurde er seiner Funktionen enthoben und verließ Straßburg, musste aber sein Vermögen und seine Rentenansprüchen zurücklassen. „Etwa ein Jahrhundert später sind wir verpflichtet, diese Undankbarkeit wieder gut zu machen und die Verdienste des lange Zeit in Vergessenheit geratenen Retters des Münsters zu würdigen,“ so die offizielle Verlautbarung.

Münsterplatz, Maison Kammerzell von 1589
 Münsterplatz, Maison Kammerzell von 1589.  Foto: Ursula Wiegand

 Der Blick von der Plattform über die Altstadt zeigt, dass diese auf einer vom Fluss Ill umschlungenen Insel steht. Seit 1988 zählt diese mit allen Bauten zum UNESCO-Weltkulturerbe und damit auch das „Maison Kammerzell“ auf dem Münsterplatz, errichtet 1465-1585. Es ist Straßburgs schönster Holzbau, und sein Gourmet-Restaurant gehört zu den ersten Feinschmecker-Adressen.

 neu gestalteter Platz neben dem Münster
Neu gestalteter Platz neben dem Münster.  Foto: Ursula Wiegand

 Junge Leute beißen jedoch lieber auf dem umgestalteten ehemaligen Parkplatz an der Südseite der Kathedrale in ihr Baguette. Dieses Areal gehört nun nicht mehr den Autos, sondern den Menschen aus aller Welt.  

Ab 22 Uhr recken alle die Hälse, taucht dann doch – noch bis zum 20. September – eine Licht-Ton-Inszenierung das Münster in Farbkaskaden und lenkt die Blicke auch auf die spektakulären Details des fabelhaften Westwerks.   

 Petite France, echt malerisch
Petite France, echt malerisch.  Foto: Ursula Wiegand

 Straßburg hat aber noch mehr zu bieten. Eine Bootsfahrt durch das malerische Petite France mit seinen bunten Fachwerkhäusern ist ebenfalls ein Muss. Die gleich dahinter liegende Vauban-Festung bietet dann das bekannte Postkartenmotiv: den Blick über die so genannten Gedeckten Brücken, die Wehrtürme und die Ill bis zum Münster.

die gedeckten Brücken, die Ill und das Münster
 Die gedeckten Brücken, die Ill und das Münster.  Foto: Ursula Wiegand

 Im Nordosten machen die Boote schließlich einen Abstecher zu den Europäischen Institutionen und passieren den Europapalast, das Europäische Parlament und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Architektur-Highlights aus den 1990er Jahren.

 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte.  Foto: Ursula Wiegand

 Ansonsten war und ist das Universitätsviertel ein Bau-Schwerpunkt. Denn die deutlich steigenden Studentenzahlen erfordern weitere Aktivitäten. Den nötigen Platz erlangte man durch die Nutzung des alten Hafengeländes.

 Cité de la Musique et de la Danse, 2006, von Henri Gaudin
Cité de la Musique et de la Danse, 2006, von Henri Gaudin.  Foto: Ursula Wiegand

 2006 entstand dort Straßburgs Cité de la Musique et de la Danse, geplant von Henri Gaudin. Davor, als nostalgische Beigabe, ein zum Theater umfunktionierter Dampfer.

 Mediathek André Malraux, 2008,  Jean-Marc Ibos und Myrto Vitart
Mediathek André Malraux, 2008, Jean-Marc Ibos und Myrto Vitart.  Foto: Ursula Wiegand

 Außerdem haben die Architekten Jean-Marc Ibos und Myrto Vitart bis 2008 ein Lagergebäude von 1930 durch einen Stahl-Glasanbau in die Mediathek André Malraux verwandelt. Straßburg kann auch Neues, und die Kräne drehen sich weiter.

 Infos unter www.tourismus-elsass.com und www.otstrasbourg.fr.

 

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