STRASSBURG, TOULOUSE und PALERMO: PARSIFAL, NI vom 26.-30. Januar 2020
Schlussapplaus „Parsifal“ in Straßburg. Foto: Klaus Billand
Das war ein Erlebnis der besonderen Art! Nach einer digital überfrachteten „Turandot“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe (Rezension siehe unten) kamen drei Neuinszenierungen von Richard Wagners Weltabschiedswerk „Parsifal“ hintereinander in den drei o.g. Städten – und sie konnten unterschiedlicher nicht sein! Was wieder einmal die schier unglaubliche Interpretationsvielfalt dieses Universalwerks der Opernliteratur unter Beweis stellt.
Straßburg
Ankündigungsplakat in Straßburg. Foto: Klaus Billand
An der Opéra du Rhin in Straßburg wählte der erstmalig Wagner inszenierende Japaner Amon Miyamoto in den Bühnenbildern von Boris Kudlicka einen äußerst komplexen und manches Rätsel aufgebenden Interpretationsversuch mit großer Detailverliebtheit. Er greift die Japan-Begeisterung der beliebten, im letzten Jahr verstorbenen Intendantin Eva Kleinitz auf und thematisiert die japanische Überzeugung, dass der Mensch eins ist mit der Natur. Diese wünscht sich Harmonie. Das ostasiatische Land ist bekanntlich starken Natureinflüssen ausgesetzt. Miyamoto bringt einen Affen in die Handlung ein als Symbol der Natur, in Referenz an das Ramayana des Hinduismus, wo der Affengott die Vergöttlichung der Naturphänomene symbolisiert. Parallel dazu lässt er Herzeleide permanent ihren verlorenen Sohn suchen, der auch als Kind auftritt. Er will damit zeigen, dass es sich im „Parsifal“ um sehr menschliche Aspekte handelt und dieser damit gar nicht weit von unserer Realität entfernt ist. Der Regisseur verbindet also durchaus eindrucksvoll Mystik mit Realität. Unter dem erstklassigen Dirigat von Marko Letonja des Orchestre philharmonique de Strasbourg imponierte besonders Thomas Blondelle als jugendlich charismatischer Parsifal und Markus Marquardt als klangvoller Amfortas.
Klaus Billand und Prof. Stephan Braunfels im Gespräch mit Maestro Marko Letonja in Straßburg. Foto: privat
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Toulouse
„Parsifal“-Ankündigung Toulouse. Foto: Klaus Billand
Am Théatre du Capitole de Toulouse inszenierte der französische Regisseur Aurélien Bory den „Parsifal“ nahezu diametral entgegensetzt zu Miyamoto in Straßburg. Gemeinsam mit Pierre Dequivre auch für das Bühnenbild verantwortlich, und insbesondere mit einem fundamentalen Einsatz des Lichts von Arno Veyrat, erleben wir ein Höchstmaß an Abstraktion von konkreter Handlung, die ästhetisch an Wieland Wagner und Robert Wilson erinnert, aber auch an Olivier Py, was den bedeutenden und runenhaften Einsatz von weißen Leuchtstoffröhren angeht. Bory will demonstrieren, dass sich seit dem mittelalterlichen Epos „Parsifal“ die metaphysischen Bedingungen des Menschen zwischen Himmel und Erde kaum verändert haben. Dabei stellt er auf die Bedeutung der Kunst ab, frei nach Dostojewskis Aussage „Die Schönheit wird die Welt retten.“ Wenn dem nur so wäre… Ausgangspunkt ist für den Regisseur der persische Prophet Mani, der die Welt in zwei Bereiche teilte, das Reich des Lichts, also des göttlichen Lebens, verbunden mit dem Begriff der Ewigkeit; und das Reich der Dunkelheit, also der Materie, der Toten, von Raum und Zeit. Parsifal durchschreitet beide Reiche, wobei es Bory darauf ankommt, das Stück als ein Theater der Schatten zu zeigen und den beständigen Wandel im Einklang mit Wagners Musik und Leitmotivik. Das gelingt ihm auch eindrucksvoll, alles ist optisch ständig im Fluss, wenn man in Kauf nimmt, dass sich die Figuren und auch der Chor kaum bewegen, dafür aber die wenigen Bewegungen nahezu metaphysische Bedeutung erlangen. Damit will Bory dem Werk eine mythische und universale Dimension geben. Eine exzellente, zum Teil auf Weltlasse-Niveau singende und agierende Besetzung macht diese Interpretation zu einem Erlebnis. Die französische Mezzosopranistin Sophie Koch gab ihr Rollendebut als Kundry und stellte alle in den Schatten, die ich bisher hörte, bis auf Waltraud Meier. Ein Riesenerfolg! Matthias Goerne als Amfortas war reiner Wohlklang und Peter Rose ein wie immer balsamischer Gurnemanz. Nikolai Schukoff fiel vokal etwas gegen dieses Niveau wegen des doch mangelnden tenoralen Glanzes ab. Frank Beermann dirigierte das Orchestre national du Capitole der Inszenierung gemäß mit getragenen und ausdrucksstarken Tempi sowie mystisch orientierter Farbgebung.
Schlussapplaus „Parsifal“ in Toulouse. Foto: Klaus Billand
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Palermo
Ankündigung „Parsifal“ in Palermo. Foto: Klaus Billand
Gestern Abend erlebte ich dann im Teatro Massimo Vittorio Emanuele, dem größten Theaterbau Italiens, einen thematisch wiederum ganz anders gelagerten „Parsifal“ in der Regie von Graham Vick mit minimalen Bühnenbildern, wenn man überhaupt davon sprechen kann, von Timothy O‘Brien. Ein noch diametralerer Gegensatz zwischen einem noch mit dem Begriff „spartanisch“ diplomatisch beschriebenen Bühnenbild und der Opulenz eines prunkvollen und ehrwürdigen Opernhauses aus Italiens großer Opern-Zeit ist kaum vorstellbar. Aber von Vick kennt man ja seine Verliebtheit in zeitgenössische und vor allem sozialorientierte Opern-Interpretationen als Künstlerischer Direktor der Birmingham Opera Company. An Mystik wie bei Bory oder metaphysische Gedanken zur Einheit von Natur und Mensch in göttlichem Kontext wie bei Miyamoto war da also gar nicht zu denken. Schon vor Beginn sieht man über die profane rechteckige Pressspan-Bühne bis auf die 123 Jahre alten Brandmauern, Feuerlöscher inklusive. Ihr oberer Teil erinnert an die Klagemauer in Jerusalem. Kurioserweise – nach heutigen Inszenierungsusancen – geht zu Beginn des Vorspiels erst mal der Vorgang runter. Was dann kommt, ist zunächst kaum verständlich: Eine Truppe von US-amerikanischen GIs mit MGs im Anschlag kommen als Gralsritter, während Amfortas schwerst leidend und aus der Wunde blutend mit Dornenkrone durch ihre Reihen robbt. Die Gralserhebung (in einer weißen Kaffeetasse, aus dem Boden in einem Plastiksackerl hervorgekramt (!) wird zu einer Szene blutiger Selbstverstümmelung. Wie auch später immer wieder Gewalttaten bis hin zu Morden im Namen der Religion – irgendeiner – gezeigt werden – als eindrucksvolles Schattenspiel hinter einem langen Vorhang, der nach Belieben auf- und zugezogen wird. Es geht Vick darum zu zeigen, dass auch bei einem erleuchteten Papst („papa illuminato“), der religiöse Intoleranz verdammt, Zwistigkeiten bis Feindschaften zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland, zwischen Schiiten und Sunniten, zwischen Christen und Moslems weiter bestehen, ganz abgesehen vom fortwährenden Antisemitismus. Der Regisseur will den Finger heben gegen das, wie er in einer äußerst kurzen Regienotiz im Programmheft sagt, weitergehende „usare la religione per asserire il nostro tribalismo“, also das Weiterbetreiben eines Stammesdenkens mit Hilfe der Religion. In diesem Sinne, meint der Regisseur, hatten wir einen Parsifal noch nie so nötig gehabt wie jetzt. Und er hofft, dass er bald kommt. Auf all das kommt man allerdings nicht gleich, wenn man die Inszenierung erlebt, was ja des Öfteren zu sehen bzw. nicht zu sehen ist, wenn stimmige und ernsthafte Gedanken sich nicht recht abbilden lassen in der dramaturgischen Umsetzung. Peter Konwitschny lässt grüßen. Am Ende siegt bei Vick natürlich die Menschlichkeit mit einer Verbindung der Blumenmädchen mit den wenigen noch überlebenden Soldaten und einer Gruppe lustiger Kinder, die durch den Karfreitagszauber wieder zum Leben erweckt wurden und im Finale von Parsifal unterhalten werden… Bei dem hochsitzenden Orchestra del Teatro Massimo unter der Leitung seines erst kürzlich bestellten GMG Omer Meir Wellber klang Wagners Musik viel plastischer und monumentaler als in Straßburg und Toulouse. Tómas Tómasson brillierte stimmlich und darstellerisch als Amfortas und John Relyea mit tiefem und resonantem Bass als Gurnemanz.
Schlussapplaus „Parsifal“ in Palermo. Foto: Klaus Billand
(Detaillierte Rezensionen folgen).
Klaus Billand aus Palermo