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STRASBOURG/ Opera National du Rhin Strasbourg: „LAKMÉ“ – ein stilisierter Traum von Exotismus

13.11.2023 | Oper international

Opera National du Rhin Strasbourg: „LAKMÉ“ 12.11.2023 nachmittags (Premiere 2.11.) – ein stilisierter Traum von Exotismus

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 Sabine Devielhe als Lakmé während der zentralen Glöckchenarie. Copyright: Klara Beck

Einst ein im Zuge der Faszination von allem Exotischen im 19.Jahrhundert viel gespieltes Werk – heute selbst ein Exot auf den Bühnen, obwohl sich die Werbung mehrfach des Blütenduetts  im 1.Akt bedient hat, dass es nun offensichtlich so bekannt ist und allein deshalb einen Teil des Publikums in die Vorstellungen lockt, wie in dieser nachmittäglichen Aufführung in Strasbourg gleich mehrfach in erlauschten Gesprächen zu hören war. Nach 66 Jahren kam das 1883 uraufgeführte Stück erstmals wieder auf die Bühne der dortigen Opéra National du Rhin, und zwar in der Originalfassung mit gesprochenen Dialogen, wie sie am Geburtsort, der Pariser Opéra comique Usus bzw. Voraussetzung waren. In Koproduktion mit dieser Bühne und der Opéra de Nice gab es die dort bereits gezeigte Inszenierung nun im Elsass zu erleben.

Der speziell im französischen Fach mit geschickt modernisierten und dabei die Essenz der Stücke wahrenden Inszenierungen bekannt gewordene Laurent Pelly verzichtet hier auf jegliches indische Kolorit, das ohnehin nur der aufgrund von wenigen reisenden Zeugen des 19.Jahrhunderts in Gang gesetzten Phantasie entspringt und Träume exotischer Kultur darstellt. Vielmehr besinnt sich der Regisseur und Kostümbildner in Personalunion mit seinem Team, der Ausstatterin Camille Dugas und dem Lichtdesigner Joel Adam auf die eher minimalistisch nüchterne Welt asiatischen Theaters. Die mit beidseitigen transparenten an japanisches Papier erinnernden Zwischenhängern, einem magisch wirkenden großen Käfig voller weißer Blüten für Lakmés Welt und so schnell wie aufgespannt auch wieder  weggezogenen, laternenartig beleuchteten Marktbuden sparsam gehaltene Bühne richtet in magisch heller und dazu kontrastierend dämmeriger Ausleuchtung den Blick ganz auf die einzelnen Personen. Alle Äußerlichkeiten eines von blühenden Düften berauschten fernöstlichen Paradieses hat Komponist Leo Delibes in seiner Musik so sensibel stimmungsvoll eingefangen, dass eine gleich gerichtete Bebilderung überflüssig erscheint.

Die aufeinander prallenden Welten der heimisch brahmanischen Bevölkerung und der englischen Kolonisten sind in Auftreten und Spiel wie auch den Kostümen klar voneinander getrennt. Auf der einen Seite die ganz in Weiß gehaltene heilige Sphäre von Lakmé, demgegenüber die sich in strengem Habitus des 19.Jahrhunderts passend affektiert davon abhebenden Engländer. Wie eine magische Attraktion wird Lakmé beäugt und bestaunt, wenn sie in ihrem mit weißen Blüten bedeckten Käfig oder später auf dem Marktplatz von ihrem Vater auf einem hölzernen Gestell gezogen wird. Der Offizier Gérald verfällt gar total ihrem geheimnisvollen Wesen und muss für diesen Frevel beinahe mit dem Tod bezahlen. Doch die gleichfalls von ihm bezauberte Frau kann ihn zwar nicht vor einer Verwundung durch ihren rächenden Vater, aber mit einem beiderseits eingenommenen und so verbindenden rituellen Trank und ihrem eigenen Opfer durch eine giftige Blüte retten.

Trotz der schon erwähnten medialen Verbreitung des Blütenduetts, in dem sich der warm leuchtende Mezzosopran von Ambroisine Bré schmiegsam mit Lakmés Stimme vereint, bleibt die zentrale Glöckchenarie mit der sagenhaften Erzählung von einem Hindu-Mädchen, die hier als Schattenspiel erläutert wird, der Glanzpunkt der Oper. Nach dem Abtritt von Natalie Dessay steht mit Sabine Devielhe nun wieder eine in jeder Beziehung herausragende Artistin für diese Bravour-Partie im Rampenlicht. Nicht so üppig und dramatisch unterfüttert wie die Vorgängerin, dafür aber mit einer klareren lyrischen Strahlkraft und einer Piano-Kultur in den auch vielen leisen innigen Momenten der Partitur, die zu Herzen geht. Ihr Sopran trägt in allen Lagen ohne Einschränkungen und paart eine oftmals schlichte Phrasierung mit unaufgeregter Bühnenpräsenz. Und während jener Glöckchenarie herrschte gebannte Stille im Haus ob der bis in die feinste Nuance ausgekosteten Gesangslinie mit mühelosen Schwelltönen, Trillern und einer nur nicht ganz so unangestrengt erreichten und gehaltenen Schlussnote, wobei letzteres sicher der Tagesverfassung zuzuschreiben ist.

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Das Quintett der Engländer: I.Perruche, L.Oliva, J.Behr, E.Roux Chamoux und G. Andrieux (v.l.). Copyright: Klara Beck

Rund um sie ein komplett französisch sprachiges Ensemble, das vor allem die Dialogfassung rechtfertigte und diese Passagen mit entsprechend natürlichem Tempo auflud.

Nicolas Courjal behauptete sich als strenger Brahmanen-Anführer Nilakantha mit Autorität heischendem, etwas knorrig dröhnendem Bass, der in der Zwiesprache mit seiner Tochter allerdings auch eine zurück genommen weichere Klangkultur hören lässt. Zum Personal des Heiligtums gehört solistisch außerdem noch der Aufseher Hadji, von Raphael Brémard mit feiner charaktertenoraler Klinge gezeichnet.

An der Spitze der besetzenden Engländer steht natürlich jener von Lakmé so verblendete Gérald. Julien Behr gibt ihm in seinen Liebeserklärungen hinreichend lyrische Poesie und ausreichend großen Atem für die sich immer wieder zu Höhepunkten aufschwingenden Kantilenen mit durchweg stabiler Tonqualität in den oft hoch liegenden Passagen. Nur das Timbre dürfte etwas mehr farbliche Attraktivität aufweisen.

Landsmännisch accompagniert wird er von Offiziersfreund Fréderic, den Guillaume Andrieux mit leichtem Tenor und Spielfreude gestaltet, seiner Verlobten Ellen und deren Freundin Rose (Lauranne Oliva und Elsa Roux Chamoux mit klaren Sopranstimmen und herzhaft lockerer Präsentation) sowie die sich aufgeregt und echauffiert gebende Gouvernante Mistress Bentson in Gestalt von Ingrid Perruches trefflich tantenhaft anverwandeltem Mezzosopran. Mit vergnüglichem Parlando vereinigten sie sich im Quintett, dessen spritzige melodische Wendungen immer wieder an das der Schmuggler aus Bizets „Carmen“ erinnert.

Der Choeur de l’Opéra National du Rhin war von Hendrik Haas sicher, geschlossen und mit konzentriertem Ausdruck auf seine nicht unwesentlichen Aufgaben zwischen getrageneren und fast tänzerisch anmutenden Szenen vorbereitet. Auch das Orchestre symphonique de Mulhouse vermittelte unter der sorgsam koordinierenden Leitung von Guillaume Tourniaire die mit so mancher instrumenten-technischer Finesse viel Atmosphäre transportierende Musik von Leo Delibes in all ihrer Eleganz, Feierlichkeit, aber auch schlichten Schönheit. Da wirkte nichts mit dickem Pinsel aufgetragen, alles erstand in gefühlvoll natürlicher Weise ohne Süßlichkeit und aufgesetztem Pathos.

Im wie gesagt komplett gefüllten Haus herrschte am Schluss von Vorhang zu Vorhang mehr und mehr anschwellende Begeisterung für eine Aufführung, die ganz klar bewiesen hat, dass Delibes einzig bekannt gewordene Oper wieder öfter auf die Bühne gehört.

 Udo Klebes

 

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