Strasbourg: „LOHENGRIN“ – 13.03.2024
Michael Spyres, Johanni van Oostrum. Foto: Klara Beck
Dem Datum des 13. haftet nach wie vor ein gewisser Aberglaube an, doch für mich war es wie schon so oft ein wahrer Glückstag, denn die DB beendete in der Nacht zum Mittwoch ihren xsten Streik, der pünktlichen ICE-Reise zur L´Opéra national du rhin Strasbourg stand nichts mehr im Wege und somit besuchte ich die zweite Aufführung der Neuinszenierung „Lohengrin“ von Richard Wagner. Wie schon viele Jahre zuvor sorgte das traditionsreiche, renommierte, französische Opernhaus erneut für eine angenehme Überraschung. Florent Siaud verlegte die Handlung mehr in neuzeitliche Gefilde, Lohengrin erschien als Heilsbringer (?) im Mönchsgewand mit Kapuze und Schwert. Im ersten Bild fand eine militärischen Lagebesprechung des Königs mit Offizieren statt, die Herren in blauen Uniformen, dunklen Anzügen, Ortrud ebenso anwesend mit Schärpe dekoriert an einer Bankett-Tafel mit wunderschönem Hintergrund-Gobelin einer Schlachtszene mit edlen Rössern. Zur Verwandlung bediente man sich auf der vornehmlich leeren Bühne (Romain Fabre) mit wenigen Dekors einer breiten Fünfstufen-Treppe, dem seitlichen Podest seitlich, währenddessen Söller etc. per Video und bestens illuminiert (Eric Maniengui/Nicolas Descoteaux) auf Zwischenvorhänge projiziert ihre optische Wirkung nicht verfehlten. Elegante, dunkelblaue, moderne Roben für die Damen, weißes Brautkleid für Elsa und Gefolge creierte Jean-Daniel Vuillermoz und verhalfen dieser Produktion zu einer vortrefflichen, sehr ästhetischen Gesamtoptik. Regisseur Siaud erzählte die Story ohne Fauxpas nach Textur, verstand es prächtig alle Protagonisten incl. Chöre zu bewegen und zu glaubwürdiger Charakterisierung zu animieren. Lohengrin entledigte sich der Kutte schnell, erschien als attraktiver Held in schmucker Uniform, Elsa ein junges Mädchen entwickelte sich zunehmend zur emanzipiert wissend-.fordernden Frau, das „böse“ Paar hingegen erschien mir persönlich etwas unterbelichtet zu souverän. Wollten die zeitgeschichtlichen Gegensätze zwar nicht zusammen passen taten diese Verschiebungen dem Gesamt-Kontext keinen Abbruch.
Schier sensationell könnte man das eindringliche Dirigat von Aziz Shokhakimov bezeichnen, der usbekische junge Dirigent bescherte dem Auditorium Wagner-Wonnen pur, umsichtig waltete der passionierte dynamische Maestro am Pult des bestens disponierten Orchestre philharmonique de Strasbourg und bezauberte mit einer sehr eindringlichen Lesart dieser romantischen Partitur. Portato-Tempi welche er besonders im Lyrischen favorisierte gaben diesem Lohengrin eine geradezu mystische Aura, die elegischen Streicher-Pastelle zur Einleitung verhießen bereits lukullisch-akustische Genüsse, steigerten sich allmählich von Holz- und Blechbläsern assistiert zu glamourös latentem Gesamtklang. Auf besondere Weise brachte Shokhakimov Wagners Poesie und Prosa natürlich auch Dank des bemerkenswert akkurat musizierenden Orchesters in wunderbarer Formation zum Leuchten, ohne jedoch die äußerst dramatischen Aspekte zu obsoleszieren um somit die prächtig disponierten Blechfraktionen (teils rechts und links in Bühnenlogen platziert) die Partitur-Effekte stilvoll ausbalanciert zu präsentieren. Zudem erwies sich der versierte Mittdreißiger als vorzüglicher Sängerbegleiter mit stets wachem Blick zur Bühne, kleine Dissonanzen mit dem Chor lassen sich vermutlich noch ebnen.
Agil in bester Formation präsentierten Choeur de l´OnR (Hendrik Haas) vereint mit Choeur d´Angers Nantes Opéra (Xavier Ribes) die Tableaus in klangvoll-transparenter Ausgewogenheit.
Während der letzten Jahre hatte ich das genussvolle Vergnügen Michael Spyres in div. Partien und zwei unvergesslichen Lied-Recitals zu erleben, nun gab der charmante Amerikaner sein Lohengrin-Debüt und präsentierte sein lyrisches, feinstimmiges, herrlich timbriertes Tenormaterial in bestens differenzierter Kombination von kernig maskulinen Qualitäten. Zunächst verhalten sich allmählich steigernd ohne konditionelle Einbußen sang Spyres die Partie in eindrucksvoller Disposition und hinreißender Legato-Kultur. Wunderschön belkantisch erklang die Gralserzählung wiederum als Mönch vorgetragen mit Bibel (?) Schriftblätter verteilend. Pourquoi pas? Vermisste ich bei dem intelligenten Sympathieträger zwar die silberstrahlenden Aufschwünge, revanchierte sich Spyres mit prächtigen Goldhöhen-Reserven sowie enorm sinnhafter Ausdruckskraft.
Johanni van Oostrum ließ sich indisponiert ansagen, jedoch in keinem Moment waren sangliche Schwächen erkennbar. Zu anmutiger Darstellung verstand es die exzellente Sängerin Elsas Ambivalenz vokal höchst souverän umzusetzen. Der Klang ihres jugendlich-lyrischen, schönstimmigen Soprans, die Feinheiten der Phrasierungen, das strömende Legato, die betörenden Piani in Kombination des silbern tönenden Höhenpotenzials, ließ sie zur idealen Rollenvertreterin avancieren.
Diese vokalen Attribute waren Martina Serafin nicht zu eigen. Ihr Sopran entfaltete sich eindimensional, farblos dahin strömend, die Höhenausbrüche lernten mich das Fürchten. War es von der Regie kalkuliert, dass ihrer Ortrud auch das Flair der wilden Seherin völlig abhanden ging?
Darstellerisch zwar durchaus imposant stellte sich Josef Wagner als prägnanter Telramund vor, hielt jedoch vokal nicht was die Optik versprach (wie bereits seine Partnerin). Seinem Bariton fehlten die markanten Couleurs, die kräftige Ausdrucksstärke, zuweilen der Atem, die technische Überlegenheit dieser Partie vollends gerecht zu werden.
Mit metallischen Aufschwüngen gab Timo Riihonen dem König Heinrich zwar eine gewichtige Dominanz, jedoch fehlten seinem Bass die nachtschwarzen Schattierungen sowie die kraftvollen Nuancierungen.
Damit war Edwin Fardini im Gegensatz bestens gesegnet, überzeugte mit ideal fokussiertem Bariton in schönstimmiger müheloser Intonation als hervorragend disponierter Heerrufer.
Vier Chor-Damen traten stimmschön als Elsas Begleiterinnen in Erscheinung sowie fünf Chor-Solisten schenkten Telramunds Getreuen eine vortreffliche vokale Präsenz.
Das leider sehr undisziplinierte Strasbourger Publikum hustete lautstark, unterhielt sich ungeniert, bedachte aber dennoch alle Beteiligten sehr nachhaltig mit wohldosiertem prasselndem Applaus und Bravorufen.
Gerhard Hoffmann