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STOCKHOLM: LA TRAVIATA – Wiederaufnahme

26.05.2015 | Oper

STOCKHOLM: LA TRAVIATA am 25.5. 2015 (Werner Häußner)

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Copyright: Königliche Oper Stockholm

 Allein, verlassen in dieser bevölkerten Wüste, die man Paris nennt: Der Satz, den Francesco Maria Piave seiner Violetta in den Mund legt, war öfter schon Basis der Deutung von „La Traviata“. Auch Kasper Bech Holten zeigt in seiner Stockholmer Inszenierung der populären Oper Giuseppe Verdis die Einsamkeit des modernen Menschen in seinen selbst geschaffenen Biotopen, setzt konsequent auf die Verortung in einer heutigen Welt in den kühlen, ein wenig „retro“ angehauchten Designs von Steffen Aarfing. Die Produktion von 2007 kehrte am 13. Mai für acht Vorstellungen in den Spielplan der „Kungliga Operan“ Stockholm zurück.

Während der Ouvertüre versinnbildlicht ein Film die erdrückende Anonymität der Mega-Städte, der großen Strukturen: Der Blick fällt auf ein Hochhaus, alle Geschoße sind dunkel, nur eines ist hell erleuchtet. Die Kamera fährt die dunklen Stockwerke entlang nach oben, bleibt an der hellen Etage hängen, die sie vorher hinter sich gelassen hat. Ein paradoxes Bild, das die lineare Bewegung mit dem Kreis verbindet, den Irrende in der Wüste gehen: Es gibt keinen Ausweg aus einer Welt, die in sich gekrümmt ist.

Der Kreis kehrt wieder im ersten Bild, zu den Klängen von Verdis scheinbar so fröhlich-rhythmischer Tanzmusik: Elegante Herren umstehen ein rundes Zirkuspodest, auf dem vier Leder-Girls ihre Reize ausstellen. Wie auf Knopfdruck löst sich eine Gestalt aus der geometrischen Figur – die Handlung setzt ein. Für den intimen Moment der ersten Begegnung Violettas mit Alfredo verschwinden Podest und Kronleuchter im Schnürboden, um sich zum letzten Teil der Finalszene Violettas („Follie, follie …“) wieder herabzusenken: ein aufwändig wirkender technischer Effekt, der aber Sinn macht, weil er die unvereinbaren Sphären in Violettas Dasein visuell präsent setzt.

Das zweite Bild schließt die Natur, das romantische Arkadien des Rückzugsorts aus: Das junge Paar verbringt seine Zeit in einem – durch das Design verdeutlicht – schon etwas überlebten Hotelzimmer. Der Ausblick aus dem Fenster geht ins Diffuse – ein Bild für die Zukunft Alfredos und Violettas. Wer in dieser auf Funktionieren geeichten Gesellschaft vom Wege abkommt, endet als Ausgeschlossene: Der dritte Akt sieht die „vom Weg Abgekommene“ mit der treuen, gealterten Annina – die Rolle ist mit zwei Sängerinnen (Jessica Forsell Clarhäll und Monika Mannerström Skog) besetzt – auf der Straße, umgeben von Pennersackerln. Bei „Addio del passato“ klebt Violetta mit dem Gesicht an einem Schaufenster, das einen Ausschnitt ihrer Vergangenheit zeigt: unerreichbar, ins Monströse verzerrt.

In diesem schlüssigen visuellen Rahmen sieht man – wie oft bei Wiederaufnahmen – viel darstellerisches Handwerk: Nur punktuell gelingt es, zwischen den Darstellern Spannung aufzubauen, ein psychologisch motiviertes Flechtwerk freizulegen. Dazu agieren etwa Karl-Magnus Fredriksson als Vater Germont und Lana Kos als Violetta zu stereotyp, zu wenig aufeinander bezogen, zu ungeformt im Detail. Jonas Degerfeldt tritt als Alfredo zunächst wie ein gesetzter, schon in die Jahre gekommener Unternehmensberater auf, kann bei der Halbweltdame seiner Wahl kein Interesse erzeugen. Das entzündet sich erst, als er mit dem „Brindisi“ seine situativ motivierte kommunikative Kompetenz beweisen kann. Später signalisiert legeres Auftreten, dass Alfredo sich bemüht, die Konvention hinter sich zu lassen – letztlich vergeblich. Der Vater, ein eleganter, grauhaariger Herr, zieht ihn von der Leiche der zusammengebrochenen Violetta weg: Der Tod ist ein einsames Geschäft.

Gesungen wird in Stockholm auf gutem, wenn auch nicht überragendem Niveau. Vor allem Karl-Magnus Fredriksson als Germont kann überzeugen: ein durchsetzungsfähiger, aber nie forcierter Bariton mit schlanker Tongebung, maßvollem Vibrato und wandlungsfähiger Farbe. Jonas Degerfeldt, seit zwanzig Jahren eine Stütze des Ensembles der Königlichen Oper, hat keine Probleme, sich mit einem strahlenden Trinkspruch einzuführen, gestaltet das Rezitativ zu Beginn des zweiten Akts („Lunge da lei per me non v’ha diletto …“) rhetorisch sorgfältig, hat auch die Reserve für „O mio rimorso, o infamia …“. Manchmal kommt Degerfeldt an seine Grenzen, etwa wenn er hohe Töne nicht frei in eine Linie einbinden kann. Doch das schmälert die sympathische Leistung des Tenors nicht, der außerhalb Schwedens kaum bekannt ist und nur wenige Male etwa an der Deutschen Oper Berlin oder in Glyndebourne gesungen hat.

Anders Lana Kos: Die junge Kroatin, 2010 als Sonja in Lehárs „Zarewitsch“ in Mörbisch zu Gast gewesen, baute auf ihrer Violetta in der Arena di Verona 2011 eine Karriere auf, die sie inzwischen von Madrid bis Peking und von Sao Paulo bis Palermo führt. Sie verkörpert den modernen Typ des italienischen Soprans. Schlank und attraktiv, gewandt in der Bewegung und erotisch in der Ausstrahlung. Stimmlich freilich können diese jungen Soprane nicht mit der Belcanto-Tradition mithalten. Kos‘ Sopran ist präsent und brillant, aber auch hart und vibratoreich. Gerade im Legato zeigt sich, wie wenig geschmeidig dieser auf die „Maske“ konzentrierte Art der Tonproduktion ist. Lana Kos zeigt schöne Momente, etwa in den intimen Selbstoffenbarungen des zweiten Akts im Gespräch mit Germont. Auch „Addio del passato“ ist überlegt gestaltet. Problematisch sind stets Intervallsprünge, vor allem im Mezzoforte und Piano, Sostenuti und lange Phrasen, die mit erfülltem Ton gestützt genommen sein wollen.

So kommt es der Sängerin entgegen, dass Dirigent Giampaolo Bisanti das Fest bei Flora in das momentan übliche hastig-schematische Tempo kleidet: die dreimalige Selbstbefragung Violettas mit ihrer Bitte um Gnade beschleunigt sich ebenfalls und fordert nicht den sonst üblichen langen Atem. Bisanti zeigt ansonsten solide Routine, lässt es im ersten Bild ordentlich krachen, kann der Königlichen Hofkapelle kaum subtile Details entlocken. Weder sängerisch noch orchestral also ein Verdi, der stilistisch überzeugen kann. Doch mit diesem Manko steht Stockholm wahrlich nicht allein in der Welt der Oper.

Werner Häußner

 

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