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STITTGART/ Liederhalle: ANTRITTSKONZERT VON CORNELIUS MEISTER (Cage, Haydn, Mahler)

Der Stille folgt klangliche Wucht

07.10.2018 | Konzert/Liederabende

Antrittskonzert Cornelius Meister im Beethovensaal der Liederhalle Stuttgart am 7.10. 2018 (Cage, Haydn, Mahler)

DER STILLE FOLGT KLANGLICHE WUCHT

Bei „4’33“ von John Cage passiert überhaupt nichts, es ist kein Ton zu vernehmen. Die offene Prozessform besteht einfach darin, einen bestimmten Zeitabschnitt zu beschwören und somit auch Spannungsmomente herzustellen. Cage wünschte sich ganz einfach eine Musik, die nicht auf ihn einredet. Sein Experimentieren mit graphischen Formen erreicht hier seinen absurden Höhepunkt. Ein Anfangs- und Schlusspunkt wird geradezu ultimativ gesetzt. Nicht jeder kann sich damit anfreunden. Der neue Stuttgarter Generalmusikdirektor Cornelius Meister beschwört mit dem Staatsorchester Stuttgart dann bei Joseph Haynds Sinfonie Nr. 6 in D-Dur „Le matin“ aus dem Jahre 1761 ganz andere Klangflächen. Das Werk hört sich nach den seltsamen Spannungsmomenten bei Cage auch ganz anders an. Die Parodie auf witzige Vorgänge im höfischen Leben ist hier ganz deutlich herauszuhören. Cornelius Meister verleugnet auch die thematischen Verbindungen bei dieser vor neuen Einfällen nur so sprühenden Musik nie. Der Sonnenaufgang besitzt einen wahrhaft leuchtenden Lichtstrahl, der sich immer weiter ausdehnt. Wie aus dem Nichts erklingen plötzlich die Geigenstimmen, blühen in leidenschaftlicher Weise auf, reissen den Zuhörer unmittelbar mit sich. Solo-Flöte und Solo-Oboen spielen sich die Motive wie Bälle zu, traumartig wirkt dann das Adagio des zweiten Satzes. Das Menuett zeigt sich nicht derb-unbeholfen, sondern im Duo von Fagott und Kontrabass geradezu tänzerisch-beschwingt. Die Aufwärtsbewegung der Morgensonne im Finale wird vom Staatsorchester Stuttgart unter Meister sehr energiegeladen musiziert.

Mit raschem Tempo, aber auch breiten lyrischen Legato-Bögen kommt Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 7 in e-Moll aus den Jahren 1904/1905 daher. Laut Paul Bekker hat Mahler die Kontraste in seinem zwiespältigen Ich als für sich gesonderte Welten behandelt. Und gerade diesen Aspekt arbeitet Cornelius Meister mit dem Staatsorchester Stuttgart minuziös heraus. Dumpfes Drängen begleitet den ersten Satz. Die Bläser rufen Zukunftsthemen auf, dann erscheint das Hauptthema in Heldenpose. Das zweite Thema der Violinen erfasst Meister mit dem Staatsorchester sehr überzeugend, alles drängt in leidenschaftlicher Weise auf die Durchführung zu. Das Gegen- und Ineinander des bisherigen Materials erreicht fieberhafte Grade, es ist ein großes Aufbäumen gegen das Bestehende. Beim Wiederkehren der trauermarschartigen Episode kommt es zum siegreich-jubelnden Höhepunkt. Die Hornrufe des zweiten „Nachtmusik“-Satzes bringen ein Aufleuchten und Erlöschen, das im Orchester blitzend zu Gehör kommt. Es ist eine spukhafte Vision mit biedermeierlich-gefühlvoller Melodik. In fahlem Dunkel gibt sich das schattenhafte Scherzo zu erkennen, das hier wie ein dämonischer Tanz ausklingt. Hervorragend gelingt Meister außerdem die unheimliche Wehmut des Trio. Serenaden der Wiener Klassik melden sich dann bei dieser ausgefeilten Interpretation mit den Klängen von Mandoline und Gitarre. Horn, Harfe und Cello beschwören ein betörendes Idyll. Die Siegerpose kehrt trügerisch im pompösen Rondo-Finale zurück, das mit seinen funkelnden Marschrhythmen wechselhafte Stimmungen erzeugt. Aber Cornelius Meister ist wahrhaft ein Meister im Innehalten und Erzeugen von ungeheuren Spannungsmomenten, die für Gustav Mahler so wichtig sind. Glockenklang und Orchesterprunk gehen nahtlos ineinander über. Paul Bekker erkannte in diesem Satz einen Rausch „lebensbejahenden Erkennens“. Im letzten Aufbäumen sind alle Fasern des Riesenorchesters in einer unbeschreiblichen Weise gespannt – da gelingt Cornelius Meister eine ganz besondere Sternstunde. Man spürt auch schon die grandiosen Welten von Mahlers achter Sinfonie. Das C-Dur geht auch bei den Staccato-Attacken durch Mark und Bein. Für diese Wiedergabe gab es begeisterten Applaus, wenngleich die sehr guten Bläser sogar zu noch größerer Präzision fähig sind.  

Alexander Walther

 

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