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STEYR/Theater/OÖ: ESMARALDA – eine historische Schönheit zum Kennenlernen. Tournee des Tatarischen Staatsballetts Kasan

08.12.2017 | Ballett/Performance

Auf Tournee mit dem Tatarischen Staatsballett Kasan: „ESMERALDA“ – eine historische Schönheit zum Kennenlernen (6.12.2017 in Steyr/OÖ)

Ballett der Tatarischen Staatsoper Kasan zu Gast in Steyr
Copyright: Ballett der Tatarischen Staatsoper Kasan

Diese einmalige Begegnung in Österreich mit einer Schönheit aus vergangenen Tagen ist hoch zu schätzen: „Esmeralda“ zählt zu den großen und reich dokumentiert in die Ballettgeschichte eingegangenen historischen Tanzspektakel. Komplette Fassungen dieses dreiaktigen hochromantischen Balletts, 1844 in London in der Choreographie von Jules Perrot uraufgeführt, werden heute nur äußerst selten und dann von russischen Kompanien einstudiert. Das Ballettensemble der Tatarischen Staatsoper Kasan führt dieses Schauballett auf seiner großen dreimonatigen Wintertournee quer durch Frankreich, Holland, Schweiz, Deutschland im Reisegepäck. Natürlich, „Schwanensee“ und der „Nussknacker“ werden ebenfalls und auch viel öfters ausgepackt. Einzige Zwischenstation dabei in Österreich ist das Theater von Steyr gewesen. Steyr ist somit für einen Abend zur Balletthauptstadt des Landes aufgestiegen. Und „Esmeralda“, auch als „Der Glöckner von Notre Dame“ betitelt, hat sich hier sehr wohl zu behaupten vermocht.

Das Ballettensemble des Opernhauses in der alten Wolgastadt Kasan, 800 Kilometer östlich von Moskau und Metropole der russischen Republik Tatarstan, wird als eine der besten Kompanien Russlands geschätzt. Als eine rein auf akademische Tradition ausgerichtete. Rudolf Nurejew, ein Tatare, ist mit Kasan eng verbunden gewesen, hat hier getanzt und vor seinem Tod als Dirigent seine allerletzte Vorstellung geleitet. Seit 1993 wird alljährlich ein ‚Nurejew Ballettfestival‘ mit internationalem Zuschnitt veranstaltet. Und aktuell: Oleg Ivenko, der einundzwanzigjährige Jungstars des Ensembles, wurde ausgewählt, um in dem britischen Film über Nurejews dramatische Flucht in den Westen, „The White Crow“ (Regie: Ralph Flennes), der demnächst in die Kinos kommt, die Rolle des legendären Tänzers zu verkörpern.

Die gefühlsschwangere Geschichte rund um „Esmeralda“, frei, sehr frei nach Victor Hugos „Notre Dame de Paris“ und nach damaliger dramaturgischer Schablone phantasievoll wirr und versponnen aufgebauscht, ist zu einem Paradestücke für Carlotta Grisi, Fanny Elßler und vielen anderen gefeierten Primaballerinen dieser Epoche geworden. Nun, ganz so dramatisch ist das alles auch wieder nicht. An Galaabenden oder bei Tanzwettbewerben sind heute gelegentlich noch virtuose Variationen der Esmeralda oder der „Phoebus und Diana“-Pas de deux zu sehen. Das hat, vorgetragen mit all der geforderten Tanzartistik, seinen guten Unterhaltungswert. Und auch die überkommenen Relikte von Einstudierungen früherer großer Choreographen – neben „Esmeralda“-Erfinder Jules Perrot später in Russland Marius Petipa oder Agrippina Vaganova – sind auf romantisierende Ballettästhetik ausgerichtet.

In Kasan wurde die choreographische Fassung von Andrej Petrov, dem Chef des Kreml Ballett, übernommen. Diese Version bietet so richtig akademisches Ballett nach bester russischer Tradition in bunter Folge: Eine Reihe sehr poetisch gestalteter Gruppentänze mit munteren Zigeunerinnen, mit einer frohgemuten Bettlerhorde, mehrmals dann Kampfesstimmung zwischen den nach Esmeralda begehrenden Noblen – ein Offizier, ein Poet, der hier besonders hinterhältig gezeigte Archidiakon Claude Frollo. Und schlussendlich folgt nach Esmeraldas Hinrichtung (die Show könnte ruhig wohl auch weniger tragisch enden) der impulsive Racheakt des Quasimodo, des verkrüppelten Glöckners von Notre Dame. Perfekt studierte Tanzartistik der Solisten wird dazwischen der Reihe nach immer wieder geboten.

Die durchaus genießbare Musik komponierte der Genuese Cesare Pugni (1802 bis 1870). Er ist ein beliebter und gefragter Vielschreiber mit Erfolgsstationen in Mailand, Paris, London, St. Petersburg gewesen. Der Ruhm von anno dazumal ist durchaus verständlich. In Pugnis stets glaubwürdig narrativer „Esmeralda“-Melange ist alles zu finden, das stimmungsmäßig passt oder die Tänzer schwungvoll zu beflügeln vermag. Artistische Brillanz ist gegeben, das geforderte Bühnenpathos wird dezent eingesetzt, die überwiegend jungen Ballerinen (es sind in Kasan auch TänzerInnen aus Japan, Südamerika, England engagiert) wirken durchaus westlich und überzeugen mit einem angenehmen Charme. Recht stolz wird gesagt: „Alle unsere Solisten sind Preisträger von Wettbewerben!“ Neben Ivenko etwa die Primaballerina Kristina Andreeva oder die in Steyr angetretene Amanda Moraes Gomes, die Gewinnerin der Goldmedaille in Varna 2016. Somit: Das reiselustige wie sich spielfreudig einsetzende Tatarische Staatsballett aus der Wolgarepublik Tatarstan vermittelt ordentlichen Ballettzauber auf tradierte russische Art.

Meinhard Rüdenauer

 

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