STAATZ / Felsenbühne: EVITA
19. Juli 2024 – Premiere
Manfred A. Schmid
Am Anfang des Musicals Evita von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice (Story und Text) steht ein Konzeptalbum 1976, dem zwei Jahre später die erfolgreiche Musicalfassung folgt. Erzählt wird die Geschichte eines aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Mädchens in einem Provinzstädtchen, das sich, an der Seite von Präsident Perón zur First Lady Argentiniens hocharbeitetet. Auslöser für die sensationelle Karriere von Maria Eva Duarte ist die Begegnung mit dem Tangosänger Augustin Magaldi, den sie überredet, sie, die erst 15-Jährige, nach Buenos Aires mitzunehmen. Ein kometenhafter Aufstieg zu Macht und Ruhm nimmt seinen Anfang.
Die erste Szene des Musicals, das eigentlich eine Rockoper ist, weil die ganze Geschichte in Liedern erzählt wird und es keine gesprochenen Dialoge gibt, beginnt mit ihrem Ende im Jahr 1952. In einem Kino der Hauptstadt wird die Filmvorführung plötzlich unterbrochen und dem Publikum mitgeteilt, dass die allseits geliebte und verehrte Evita, erst 33 Jahre alt, gestorben ist. Unmittelbar darauf folgt die pompöse Beerdigung. Von nun an erzählt und kommentiert Ché – dahinter steht wohl der argentinische Revolutionär Ché Guevara – was vorher geschah. Ché, der Erzähler, eine Art „Jedermann“ und Griechischer Chor, ist das kritische Sprachrohr der Regimegegner, die miterleben müssen, wie das Volk, vor allem die Armen und Ausgebeuteten, von Evita fasziniert sind und sie wie eine Heilige verehren, obwohl sie an der Seite eines populistischen Diktators steht, der ganz andere Interessen verfolgt. Für sie ist und bleibt Evita eine der Ihren, die es zu etwas gebracht hat und immer ein Ohr für ihre Sorgen und Nöte haben wird. In Rückblicken trifft man auf die Männer, mit denen sie sich allmählich hochschläft, und bekommt mit, wie ihre Legende in der breiten Masse wächst, während sie anfänglich bei den Damen der Gesellschaft und den Militärs auf Ablehnung und Verachtung stößt. In einer Achterbahnfahrt kommt sie bis an die Spitze und will von Perón schließlich auch politische Macht übertragen bekommen. Dazu aber kommt es wegen ihrer tödlichen Erkrankung nicht mehr. Der Kreis schließt sich, wieder ist man bei Evitas Beerdigung angelangt. Und eine ganze Nation in Trauer.
Das Bühnenbild von Intendant Werner Auer, der auch Regie führt und die Rolle Perons übernimmt, besteht aus einem rosafarbenen Palast, der der Casa Rosada, dem Amtssitz des argentinischen Präsidenten, nachgebildet ist und auf mehren Ebenen Spielflächen und verbindende Stiegen anbietet. Die Gefahr der Eintönigkeit wird durch geschickte Licht- und Videoeffekte (Jürgen Erntl, EJ-Creations) bei den Szenewechseln überwunden. Die Inszenierung Auers setzt auf eine ansprechende Personenführung, auch wenn es manchmal etwas länger dauert, bis man herausfindet, von wo aus der unermüdlich in Bewegung befindliche Erzähler Chè das Geschehen gerade kommentiert. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass Matthias Liener zwar ein guter Sänger und Darsteller, aber in punkto Bühnenpräsenz nicht ganz so überzeugend ist. Da hätte man vielleicht bei der Kostümierung, die ansonsten gut klappt (Kostümwerkstatt der Felsenbühne), etwas nachhelfen können. Auch der Sarkasmus, mit dem er das Geschehen kommentiert, wäre noch ausbaufähig.
Gerade bei einem Stück, das ziemlich handlungsarm ist, weil das meiste nur erzählt, nicht dargestellt, sondern höchstens nur angedeutet wird, ist die Besetzung der drei Hauptrollen von entscheidender Bedeutung. Da sind vor allem Ausstrahlung und Charisma gefragt. Damit kann, trotz ihrer Jugend, am ehesten Anna Burger als Evita aufwarten. Sie braucht zwar einige Zeit, bis sie so richtig in die Gänge kommt, wird dann aber doch der strahlende Mittelpunkt der Aufführung. Wenn sie von oben, in einem feinen weißen Kleid und mit blonden Haaren, ihr hymnisches „Wein‘ nicht um mich, Argentinien“ singt, ist sie die erwartete Diva, die sich ihrer Wirkung auf die Massen voll bewusst ist und ihre Mittel der Entzückung und Verführung voll einsetzt.
Werner Auer, vor vierzehn Jahren, als auf der Felsenbühne zum ersten Mal Evita gegeben wurde, noch als Ché im Einsatz, hat sich in der Neuinszenierung selbst als Perón besetzt und dabei leider ziemlich überfordert. Eben noch, bei der Begrüßung des Publikums auf der Bühne, ein Kommunikationstalent erster Güte, gibt er nun als Perón einen farb- und kraftlosen Staatsmann ab, dem man nicht zutraut, sich als Populist jemals erfolgreich in Szene gesetzt zu haben. Dass der Oberst Perón es schließlich bis zum Präsidenten gebracht hat, daran war gewiss auch die phänomenale Evita wesentlich beteiligt. Aber etwas mehr Engagement, Statur, wenigstens etwas Charme, sollte man ihm schon abverlangen dürfen. Aus unerfindlichen Gründen ist das bei der Premiere aber noch nicht der Fall. Da ist noch Luft nach oben, und dem Tausendsassa Auer ist eine enorme Steigerung durchaus zuzutrauen.
Besonderen Beifall gibt es für Yvonne Preisler, die ihren Kurzauftritt als Peróns Geliebte und ihr beim schmählich erzwungenen Abgang gesungenes Lied zum Ereignis macht. Filip Torndal Sevemar als Tangosänger könnte dessen Eitelkeit und blasierte Überheblichkeit bei seinem Gastspiel in der Provinz und sein wachsendes Interesse an der jungen Eva noch deutlicher herausarbeiten.
Tadellos sind die von zündenden lateinamerikanischen Rhythmen geprägten Tanzszenen (Choreographie Korbininan Reile und Stefan Ulreich), der von Doris Graf-Sommer einstudierte Chor sowie das von Gregor Sommer geleitete Orchester.
Die folgenden Aufführungen sind schon so gut wie ausgebucht, so dass schon eine Sondervorstellung angeboten wird. Eine treffliche Sommerunterhaltung, die, sollte da und dort noch etwas daran gearbeitet werden, noch empfehlenswerter werden könnte.