St. Pölten/Europaballett: DIE FLEDERMAUS am 31. Dezember 2023
Die Operette kehrt glanzvoll nach St. Pölten zurück!
Eisenstein (Stephen Chaundy) mit Rosalinde (Natalia Ushakova); Dr. Falke (Agnes Palmisano) mit Orlowsky (Arno Raunig). Fotos: Wolfgang Mayer
Das war ein Silvesterabend der besonderen Art! Einmal nicht die für viele ja obligatorische „Fledermaus“ zum Anstoßen auf Neujahr in der Wiener Staatsoper, sondern zur Star-Operette von Johann Strauss mit dem Europaballett St. Pölten in das seit der Spielzeit 2005/06 in seiner heutigen Form wieder bestehende Europaballett. Wie von Monika Närr, einer langjährigen Kennerin der Verhältnisse in St. Pölten, zu erfahren war, definiert sich das Landestheater als Einspartenhaus nur noch über das Sprechtheater. In den Jahren 1975 bis 1991, unter der Leitung von Direktor Herwig Lenau, war das Stadttheater St. Pölten offenbar das erfolgreichste und beste Operettentheater Österreichs. Ab den 1990er Jahren, unter der Leitung von Direktor Peter Wolsdorff, hieß die Bühne Theater der Landeshauptstadt St. Pölten – Theater für Niederösterreich. Ab 1992 war Wolfgang Gratschmaier, seit mittlerweile 22 Jahren an der Wiener Volksoper, für einige Jahre Ensemblemitglied des Theaters und wurde zum großen Publikumsliebling.
Und nun kommt die Sensation: Gratschmaier, zuständig für den Winter-Konzertbereich und Mitglied des Kulturbeirats des Europaballetts St. Pölten, brachte an den letzten zwei Tagen des alten Jahres und damit nach 18 Jahren Absenz (!) der Operette in St. Pölten im festen Spielplan-Betrieb – in freundschaftlicher Zusammenarbeit mit Intendant Michael Fichtenbaum – die Operette mit „Die Fledermaus“ wieder zurück nach St. Pölten – der ehemaligen Hochburg der Operette! Somit war dieser Abend einer mit ganz besonderen Vorzeichen und selbstredend wie die Premiere am Vorabend vollkommen ausverkauft. Und die hohen und gespannten Erwartungen auf diesen möglicherweise Neubeginn der Operette in St. Pölten wurden voll erfüllt, ja man kann angesichts der Begeisterung des Publikums am Ende sogar sagen, übertroffen.
Alfred (Wolfgang Gratschmaier) im Publikum). Foto: Wolfgang Mayer
Wolfgang Gratschmaier war nicht nur der Initiator dieses Projekts, er führte mit Karin Schynol auch die Regie bei dieser Neuproduktion der „Fledermaus“, in der Intendant Michael Fichtenbaum die gute Choreographie beisteuerte und Ulrike Otter-Hofmann für die Dramaturgie verantwortlich zeichnete. Mit dem „Fledermaus Quartett“ unter der musikalischen Leitung von Angelika Ortner am Klavier sowie Wolfgang Augustin an der Violine, Johannes Eder am Kontrabass und Harald Haslinger an der Klarinette kam man völlig ohne das klassische Orchester aus! Und ganz ehrlich und ohne übertrieben zu wollen, man merkte es angesichts der Spielfreude aller Akteure nicht einmal! In bester Silvester-Laune bewegten sie sich von der Bühne immer wieder durch die Reihen des Publikums, sangen dort bisweilen sogar ihre großen Arien und lotsten einmal sogar Zuschauer zu kleineren Aktionen auf die Bühne. So fühlten sich alle im Saal direkt und emotional mit viel gutem Humor und gekonnter Komödiantik angesprochen und wie in einer großen, mit bewährt guter Musik und pfiffigen Pointen gespickten Party dem ominösen „Rutsch ins Neue Jahr“ entgegengetragen.
Einfache, aber assoziativ gut gewählte Bilder für den Bühnenhintergrund zierten das Stück perspektivisch. So spielt sich der 1. Akt vor dem berühmten Johann Strauss Denkmal im Wiener Stadtpark ab, der 2. Akt zeigt einen eleganten Salon mit dem obligaten Kristalllüster. Dann ist einmal ein liegender Akt von Egon Schiele zu sehen, und im 3. Akt das triste Ambiente eines Gefängnisses, freilich eines mit Wiener Charme.
Trotz der reduzierten musikalischen Ausstattung brachte diese „Fledermaus“-Inszenierung praktisch alle Nummern der Version von Karl Haffner und Richard Genée und wurde noch durch ansprechende Einlagen des Europaballets St. Pölten sowie einige sängerische Solo-Nummern bereichert. So konnte Wolfgang Gratschmaier, der natürlich auch im Ensemble – als Alfredo – aktiv war, zu Beginn des 3. Akts das „O sole mio“ singen, was ihm eindrucksvoll gelang und mit dem er nachdrücklich sein langes Verschwinden im Hefen sublimierte… Und im 2. Akt gab es als Einlagen die „Tritsch-Tratsch-Polka“ sowie an dessen Ende „Unter Donner und Blitz“.
Adele (Lena Stöckelle mit Orlowsky (Arno Raunig). Foto: Wolfgang Mayer
Natalia Ushakova, Sopranistin mit weltweiten Auftritten an den ganz großen Häusern wurde als Stargast für die Rosalinde engagiert und entwickelte sich schnell zum magischen Zentrum der Aufführung, nicht nur durch ihr phantasievolles, äußerst engagiertes Spiel mit reicher Mimik, sondern durch ihren kraftvollen und ebenso höhensicheren Sopran, der den Csárdás, also die „Klänge der Heimat“, mit der Emotion einer Ungarin und ausgelassenem Engagement in den Zuschauerreihen regelrecht inszenierte. Die noch blutjunge Lena Stöckelle sang und spielte eine Adele wie auch dem Bilderbuch. Man hätte meinen können, sie sei tatsächlich die Adele, die sich Strauss vorstellte. Ihr technisch perfekt geführter klarer Sopran paart sich mit einer authentischen und mitreißenden Schaupielbegabung. Hier entsteht offenbar ein neues Talent, das auch gerade erst vor seinem Abschluss steht. Stephen Chaundy gab einen respektvollen und stimmlich überzeugenden Eisenstein. Arno Raunig war ein elegant agierender Prinz Orlowsky mit bisweilen noch eindrucksvollen Ausflügen ins Countertenor-Fach. Dr. Falke war in sehr guten Händen bei der umtriebigen Agnes Palmisano. Georg Lehner war als Direktor Frank stimmlich nahezu überbesetzt und mimte die Rolle bestens, insbesondere auch mit dem humoristisch und darstellerisch erstklassigen Frosch von Robert Kolar im 3. Akt, der auch Dr. Blind und Ida gab. Wolfgang Gratschmaier sorgte in den Szenen, die er auf der Bühne war, für treffende Komödiantik, viel Humor und auch stimmlich prägnanten tenoralen Ausdruck. Florient Cador war Ivan, und Gerhard Hönig sorgte in geschlechtlich zweideutigem Outfit für viele Lacher als Putzfrau. Zu unterreichen gilt die gute Leistung der Cadorage, der vier jungen und sehr begabten Tänzerinnen des Europaballets, i.e., Miriam Schmid, Sofiia Stepura, Sofiia Kasyanenko und Margarida Abreu. Fünf immer wieder mit Putzwedeln über die Bühne huschende Stubenmädchen sorgten auch dafür, dass nie optischer Leerlauf entstand.
Das Publikum feierte die Akteure mit großer Begeisterung, worauf es sogar noch eine finale Ensemble-Extranummer gab. Man war sich im Saal einig, dass man auf dieser gelungenen musikalisch-tänzerischen Schiene des Europaballetts St. Pölten ideal ins Neue Jahr rutschen konnte. Natürlich hörte man auch die Frage: „Und was wird nächstes Jahr gespielt?“
Klaus Billand