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ST.PÖLTEN/ Festspielhaus: „Drei Meister – Drei Werke“ mit dem Ballett am Rhein

18.03.2024 | Ballett/Performance

 

ST. PÖLTEN/ Festspielhaus: „Drei Meister – Drei Werke“ mit dem Ballett am Rhein

Die Entwicklung des Tanzes aus seiner klassischen Tradition heraus in eine überaus vielgestaltige Moderne hinein an einem Abend und mit solcher Meisterschaft präsentiert erleben zu dürfen ist ein Privileg. Das Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg zeigte mit „RUBIES“ von George Balanchine,  „VISIONS FUGITIVES“ von Hans van Manen und „ENEMY IN THE FIGURE“ von William Forsythe drei für den zeitgenössischen Tanz wegweisende Stücke in jeweils separater Besetzung.

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George Balanchine: „Rubies“ (c) Roman Novitzky

George Balanchine gilt als der Vater des neoklassischen Tanzes. Der hier gezeigte Teil „RUBIES“ ist der mittlere des 1967 in New York uraufgeführten Dreiakters „Jewels“, dem ersten abstrakten Ballett der Tanzgeschichte. Die drei Akte „Smaragde“, „Rubine“ und „Diamanten“ werden zu Kompositionen von Fauré, Strawinski und Tschaikowski getanzt und haben nichts mit Edelsteinen zu tun, wie der Choreograf darüber äußerte. Inspirieren ließ er sich von den Auslagen im Schaufenster eines Juweliers auf der 5th Avenue. Die Schönheit der Steine und ihren raffinierten Schliff aber übersetzt Balanchine meisterlich in Tanz.

Das 19 Minuten lange Stück „Rubies“ entstand zu „Capriccio für Klavier und Orchester“ (1928−29, rev. 1949) von Igor Strawinski, hier vom Tonkünstler-Orchester und der Pianistin Alina Bercu live gespielt. Die roten Kostüme sind mit funkelnden roten Steinen besetzt. Balanchine bricht das klassisch dominierte Bewegungs-Repertoire nur selten auf, kreierte jedoch ein energiegeladenes, feuriges, zwar schon von Handlung befreites, den klassischen Geschlechterrollen aber noch verhaftetes Ensemblestück mit eingestreuten solistischen Parts im Stile einer am Broadway gezeigten Revue.

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George Balanchine: „Rubies“ (c) Roman Novitzky

Aus einer geordneten, zentrierten Perspektive heraus bauen die TänzerInnen durch häufigen Blickkontakt mit dem Publikum Brücken ins Auditorium. Aus heutiger Sicht und insbesondere im Kontext des Abends bezeugt „Rubies“ einen ersten, trotzdem noch altbacken anmutenden choreografischen Auf- und Ausbruch aus der Enge der klassischen Tradition.

Der inzwischen 91-jährige Niederländer Hans van Manen choreografierte sein 1990 uraufgeführtes Stück „VISIONS FUGITIVES“ („Flüchtige Visionen“) zur gleichnamigen Komposition von Sergej Prokofjew (1915−1917). Hier werden 15 der insgesamt 20 musikalischen Miniaturen in der Bearbeitung für Streichorchester von Rudolf Barshai vom Tonkünstler-Orchester live gespielt. Drei Paare zeigen puren Tanz, der von einzigartiger Musikalität und partiellem Witz geprägt ist. Tief aus einer hoch konzentrierten Innerlichkeit heraus entstehen kurze tänzerische Interaktionen, in Duetten oder Gruppen. Männer und Frauen agieren in van Manens Choreografien gleichberechtigt. Er lässt Menschen aufeinander treffen.

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Hans van Manen: „Visions Fugitive“ (c) Roman Novitzky

Die Kostüme von Keso Dekke, hautenge, individuell gefärbte monochrome Ganzkörper-Leotards mit schrägen Schraffuren, betonen die Einzigartigkeit einer jeden Persönlichkeit auf der Bühne und ermöglichen faszinierende skulpturale Effekte. Die Transparenz der musikalischen Formen findet sich im klassisch dominierten, hoch präzisen Bewegungsvokabular wieder. Mit, zum Beispiel, wiederholt aus der Hüfte nach außen gedrehten, angewinkelten Beine führt van Manens unverwechselbare choreografische Handschrift in die Moderne.

Die letzte der Begegnungen endet mit dem Tod der Tänzerin, womit Hans van Manen die Flüchtigkeit von alltäglichen Begegnungen projiziert auf die Vergänglichkeit allen Lebens. Mit diesem tatsächlich einzigen erzählerischen Bild dieser Arbeit hebt er den Wert eines jeden gelebten Moments auf eine philosophische Ebene und anempfiehlt somit die bedingungslose Wertschätzung des Augenblicks. Von dieser erleuchteten Bewusstheit redet uns „VISIONS FUGITIVES“.

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Hans van Manen: „Visions Fugitive“ (c) Roman Novitzky

Allein der Titel „ENEMY IN THE FIGURE“ spielt mit seiner Vieldeutigkeit das Geheimnisvolle auch des Stückes (uraufgeführt 1989) von William Forsythe aus. Und trotzdem drängen sich physisch-physikalische Impulse für die mit Tanz, Bühnenbild, Kostümen, Licht und Musik erzeugten Bilder auf. Der eingespielte elektronische Sound von Tom Willems überlagert mehrere rhythmische Strukturen, die von den TänzerInnen für ihre Intermezzi differenziert und selektiert werden. Auf diese Weise entstehen parallele Aktionen, die nicht nur mit der Faszination, die das Bewegungsmaterial erzeugt, sondern zudem durch die unterschiedlichen Metriken eine den Forsythe’schen Stücken eigene Komplexität hervorbringen, die eine Gesamt-Rezeption streckenweise unmöglich machen und so eine ungeheure Dichte produzieren.

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William Forsythe: „Enemy in the Figure“ (c) Roman Novitzky

Die TänzerInnen erscheinen zwischen weißem Body und fransenbesetztem schwarzem Overall verschieden und wechselnd kostümiert, tanzen Schatten werfend ihre Sequenzen und verschwinden wieder hinter der hölzernen Wand, die das Publikum trennt von den Akteuren. Der Tanz ist beobachtbare temporäre Manifestation von ins Physische fluktuierender, hinter der Wand für das Publikum unsichtbar existierender kreativer Energie.

Inspiriert von der Architektur des US-amerikanischen Architektur-Revolutionärs Daniel Libeskind, die mit scharfkantigen Schrägen kristallin anmutende Gebäude in den Himmel ragen lässt, stechen die TänzerInnen mit Beinen und Armen in den Raum, zeichnen mit ihren Bewegungen Linien und Formen, deren Klarheit und Exaktheit Libeskindsche Architektur nachempfinden könnte. Deren auch klassizistische Gebäude aufbrechender Duktus findet sich in eingeflochtenen dynamischen Soli und einem streng strukturierten, ineinander greifenden Doppel-Duett wieder. Das zum Teil improvisiert präsentierte Bewegungsmaterial basiert auf Klassischem, wächst mit seiner Energie, Expressivität, Stringenz und Präzision jedoch in eine einzigartige, radikale Dimension von fesselnder Ästhetik.

Forsythe scheint parallel zu spielen mit dem quantenphysikalischen Welle-Teilchen-Dualismus der Licht-Teilchen, der Photonen. Bühnenbild und Requisiten (von William Forsythe) bestehen aus einer gewellten Wand aus Holz, die mittig aufgestellt den Bühnenraum visuell prägt, teilt und geradezu architektonisch strukturiert, einem Seil, das immer wieder auftaucht und verschwindet und das hinten, diagonal oder seitlich am Rand horizontal oder vertikal wellenförmig bewegt wird und einem fahrbaren Scheinwerfer, der mit seinem Licht den Raum strukturiert und einzelne tänzerische Aktionen hervorhebt. Womit er fokussiert auf beobachtbare physische Repräsentationen einer diffusen künstlerischen Energie.

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William Forsythe: „Enemy in the Figure“ (c) Roman Novitzky

Das Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg unter seinem künstlerischen Leiter Demis Volpi, der ab August 2024 die Nachfolge von John Neumeier als Intendant des Hamburg Ballett antreten wird, tanzt diesem Abend mit drei dedizierten Besetzungen von 15, 6 und 11 TänzerInnen. Einige der TänzerInnen performen bei anderen Vorstellungen alle drei Stücke an einem Abend. Was für eine Herausforderung. Die Bandbreite und das Niveau dieser (insgesamt 45 Mitglieder starken, international besetzten) Kompanie und – natürlich – die gezeigten Arbeiten begeistern. Alle drei Choreografien bindet der in ihr Zentrum gestellte Mensch. Das Tonkünstler-Orchester agierte unter der Leitung von Christoph Stöcker gewohnt hochklassig. Das Haus dankte beim Abschied den sich auf der Bühne drängenden KünstlerInnen mit teils stehenden Ovationen.

„Drei Meister – Drei Werke“ mit dem Ballett am Rhein und dem Tonkünstler-Orchester am 16.03.2024 im Festspielhaus St. Pölten.

 

Rando Hannemann

 

 

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