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ST. PÖLTEN/ Festspielhaus: Ballett Zürich . Cathy Marston . Tonkünstler-Orchester mit „Clara“

23.11.2025 | Ballett/Performance

ST. PÖLTEN/ Festspielhaus: Ballett Zürich . Cathy Marston . Tonkünstler-Orchester mit „Clara“

 Zwei Zahlen dominieren die Choreografie. Sieben Tänzerinnen erzählen von sieben Facetten der Persönlichkeit der Pianistin und Komponistin Clara Schumann (1819-1896). Und mit weiteren Personen und Aspekten findet sie sich mehrmals in konfliktgeladenen Dreiecksbeziehungen. Aus dem Orchestergraben ertönt Musik von drei Komponisten: Clara und Robert Schumann und Johannes Brahms, vom Tonkünstler-Orchester Niederösterreich unter der Leitung von Daniel Capps feinnervig intoniert. Am Klavier die großartige Clara-Schumann-Kennerin Ragna Schirmer.

 Die seit der Spielzeit 2023/24 amtierende Direktorin Cathy Marston holte mit ihrem Ballett Zürich das Handlungsballett aus dem Reich der Fantasie. Wie schon in ihren ebenfalls biografischen Stücken „Victoria“ über Queen Victoria (2019) und „The Cellist“ über Jacqueline du Pré (2024). In ihrem im Oktober 2024 am Opernhaus Zürich uraufgeführten und hier als Österreich-Premiere gezeigten zwei dreiviertel Stunden langen Ballett „Clara“ hat Romantik durchaus noch einen Platz, sie wird jedoch von der Lebensrealität der Tochter eines ehrgeizigen Klavierlehrers und Ehefrau eines begabten, bald aber erkrankten Komponisten überrollt.

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Ballett Zürich . Cathy Marston: „Clara“ (c) Carlos Quezada

 Die Ausübung der Kunst ist ja ein großer Teil meines Ichs, es ist mir die Luft, in der ich atme.“ So schrieb die bedeutendste Pianistin des 19. Jahrhunderts 1868, zwölf Jahre nach dem Tod ihres Mannes, an Johannes Brahms. Die 40 Jahre, die Clara länger lebte als Robert, in denen sie sich der Konzerttätigkeit, der Pflege und Herausgabe des Nachlasses ihres Mannes und der Lehre widmete, sind schon nicht mehr Thema dieses Ballettes. Für Cathy Marston waren die Jahre bis zu Roberts Tod mit Claras ständigem Ringen um individuelle, menschliche, ökonomische und künstlerische Autonomie die interessanteren.

 Als Scheidungskind (wie Vater und Mutter an ihr zerren erinnert an Brechts Kaukasischen Kreidekreis) bei ihrem Vater, einem ehrgeizigen Klavierlehrer, geblieben, musikalisches Ausnahmetalent und schon als Teeny auf Konzertreisen geschickt, lernt Clara Wieck den neun Jahre älteren Klavierschüler und Komponisten Robert Schumann kennen. Der beschreibt das Temperament der Zwölfjährigen als wild und schwärmerisch. Er kompensiert mit seiner Zuwendung ihre schmerzlich erlebten Aufmerksamkeitsdefizite.

 Wegen der Missbilligung der freundschaftlichen, nach dem ersten Kuss mit 16 dann Liebes-Beziehung zu Robert durch den Vater kommunizierte das Paar in Briefen und vor allem gegenseitig gewidmeten Kompositionen. Gegen den Willen ihres Vaters heiratet sie 1840 den zu der Zeit schon berühmten Tonsetzer, schenkt ihm acht Kinder (also sprach der Patriarch), doch verliert nie ihre eigene Kunst aus den Augen. Auch nicht, als Robert in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wird und sie ab diesem Zeitpunkt (über dessen Tod zwei Jahre später (1856) hinaus) für den Unterhalt der Familie allein sorgen muss.

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 Ballett Zürich . Cathy Marston: „Clara“ (c) Carlos Quezada

 Johannes Brahms, zu dem sie eine enge Beziehung pflegt, Cathy Marston hält deren tatsächlichen Charakter in der Schwebe wie Johannes vor einem Beinahe-Kuss über Clara, verlässt sie zwar, eine Liebesbeziehung mit dieser kraftvollen Frau scheuend, bleibt ihr aber lebenslang tief verbunden.

 Die so unterschiedlichen Rollen Wunderkind, Künstlerin, Ehefrau, Mutter, Pflegerin, Managerin und Muse lässt Cathy Marston von sieben sehr ähnlich, aber doch nicht gleich in Klaviertasten-Schwarz-Weiß gekleideten Tänzerinnen verkörpern (Kostüme: Bregje van Balens). Oft allein agierend, von den anderen sechs jedoch beobachtet, trippeln sie auf Spitze immer wieder als Ensemble von vereinten Aspekten über die und von der Bühne.

 Eine durchaus humorige Szene wird zum vieldeutigen Schlüsselmoment für das Stück und die Beschreibung der Beziehung zwischen Clara und ihrem Mann. Robert dirigiert zunehmend ungehalten die sieben Frauen in einer mit den sieben Tönen einer Tonleiter spielenden Komposition. Jede knickst devot, sobald ihr Ton erklingt. Sein vermutlich durch eine Syphilis verursachter schlechter Gesundheitszustand beeinträchtigt ihn bereits erheblich. Die Szene zeigt, dass eigentlich er die vielen Rollen Claras provoziert und steuert.

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Ballett Zürich . Cathy Marston: „Clara“ (c) Carlos Quezada

 Das Bühnenbild von Hildegard Bechtler rahmt das Leben Claras mit dem, was ihr am Wichtigsten war: Mit ihrer Musik. Ob eine Hauswand mit Öffnungen für Fenster und Portale im Stile einer Tastatur oder ein als schiefe Ebene installierter Deckel eines Grand Pianos, alles um sie herum atmet (Klavier-) Musik. Selbst der in der Anstalt isolierte Robert siecht auf dem Deckel bis zu seinem Ableben in ihren Armen. Jene Sterbeszene böte viel Raum für kitschiges Sentiment. Das aber umschifft Cathy Marston (wie bei einigen anderen inhaltlichen Angeboten solcher Art) mit sicherem Gespür für Zeitgenossenschaft.

 Und mit dem großartigen Ensembles des Ballett Zürich, dem größten und bedeutendsten Ballett-Ensemble der Schweiz, das gemeinsam mit dem Junior-Ballett, die überlebenden der ursprünglich acht Kinder der Familie Schumann werden von angehenden Tänzerinnen und Tänzern dargestellt, und Mitgliedern der Tanz Akademie Zürich vom gefühlvollen Duett bis zu lebendigen Massenszenen ein breites Spektrum an Atmosphären auf die Bühne zaubert.

 Herausragend agieren Karen Azatyan als Robert Schumann, Chandler Dalton als Johannes Brahms und von den sieben Rollen der Clara Schumann die Ehefrau Nancy Osbaldeston. Esteban Berlanga und Shelby Williams als Friedrich und Mariane Wieck markieren gemeinsam mit dem Wunderkind Alyssa Pratt auch das erste aus einer Reihe von Dreiecksverhältnissen. Hier steht das Kind zwischen den sich trennenden Eltern, der herrische Vater setzt sich durch. Er benutzt seine Tochter als Beweis für das Funktionieren seiner Klavierlehrer-Methodik.

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Ballett Zürich . Cathy Marston: „Clara“ (c) Carlos Quezada

 Clara Schumann schlittert, so scheint es, von Konflikt zu Konflikt, menschlich, emotional, sozial, ökonomisch und künstlerisch. Heute redet man von Mehrfachbelastung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Herausforderungen für Allein-Erziehende, der besonders notwendigen Unterstützung Kunst schaffender Eltern. Soziale Sicherungssysteme gab es zu Schumanns Zeiten noch nicht.

 Sie tat einfach, was notwendig war. Und ist damit weder feministische Aktivistin noch vorrevolutionäre, präsozialistische Klassenkämpferin. Die liebevolle Hingabe, mit der sie den vielfältigen Aufgaben ihres Lebens begegnete und die trotz allem immer brennende Leidenschaft für die Kunst machen Clara Schumann zu einer herausragenden Persönlichkeit nicht nur ihrer Zeit.

Die bedingungslose Entschlossenheit und die tapfere Beharrlichkeit, mit der sie die Musik zum Mittelpunkt ihres Lebens machte, ziehen sich als roter Faden durch diesen Dreiakter.

 Das Stück kommt gänzlich ohne Text und Sprache aus. Es ist die Musik, mit der die Protagonisten reden, es ist der Tanz, der als zweite non-verbale Ebene gemeinsam mit dem Klang das Implizite formuliert, die Worte in ihr Armenhaus verbannt. Die Musik und der klassisch dominierte Tanz sind bestens synchronisiert in Duktus, Rhythmik, Dynamik und emotionalem Gehalt.

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Ballett Zürich . Cathy Marston: „Clara“ (c) Carlos Quezada

 Die Musik, die Philip Feeney aus Kompositionen von Clara und Robert Schumann und Johannes Brahms zu einem die Atmosphären und Stimmungslagen kongenial beschreibenden Soundtrack band, wird zu einem emotionalen Reiseführer auf dem Lebensweg der Clara Schumann, geborene Wieck. Der musikalische Focus des ersten Aktes liegt auf Kompositionen von Clara, des zweiten bei Robert Schumann und des emotional stärksten dritten Aktes bei Johannes Brahms.

 Vater und Mutter, Robert und Johannes, Kinder und Kunst, Verpflichtungen und Kreativität, zwischen all diesem Außen und Innen lebt Clara. Mutig, emotional gefestigt und mit klarem Wertesystem steuert sie durch Untiefen und Stromschnellen, den Fokus ihres Lebens nie aus den Augen verlierend: Ihre Kunst.

 Als die sieben nach Roberts Tod in schwarzen Kleidern erschienenen und zu einem Organismus verschmolzenen Facetten Claras in der Schlussszene dissoziieren in sieben Persönlichkeiten, die die individuellen Eigenheiten, Stärken und die Kraft der jeweiligen Rolle tanzen und den Raum kühn erschließen in ihrer auseinander strebenden Vereinzelung, weitet sich die Rückwand, heller strahlend als je zuvor, wird zum verheißungsvollen Tor in das selbstbestimmte 40-jährige Leben nach Robert. Standing Ovations für das meisterlich getanzte und musizierte Fenster in das Leben einer großartigen Frau. „Clara“ atmet die stille Größe dieser Persönlichkeit auf ebenbürtige Weise.

 Ballett Zürich . Cathy Marston . Tonkünstler-Orchester mit „Clara“ am 22.11.2025 im Festspielhaus St. Pölten.

 Rando Hannemann

 

 

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