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ST. PÖLTEN/ Festspielhaus: ANNE TERESA DE KEERSMAEKER mit „Mozart/Concert Arias“

05.12.2022 | Ballett/Performance

ST. PÖLTEN/ Festspielhaus: Anne Teresa De Keersmaeker mit „Mozart/Concert Arias“ (2.12.2022)

30 Jahre nach der Uraufführung kommt eine für den zeitgenössischen Tanz wegweisende Arbeit wieder auf die Bühne. Der neue Künstlerische Leiter des Opera Ballet Vlaanderen Jan Vandenhouwe, er übernahm die Intendanz in diesem Jahr von Sidi Larbi Cherkaoui, der sieben Jahre lang der Kompanie vorstand, will mit einer groß angelegten Reihe Meilensteine der flämischen Tanzgeschichte zu neuem Leben erwecken.

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Mozart/Concert Arias Anne Teresa De Keersmaeker ©FilipVanRoe

Einstudiert von Anne Teresa De Keersmaeker und damaligen Mitgliedern der Rosas-Kompanie, bleibt der Geist von „Mozart/Concert Arias“, untertitelt mit „Un moto di gioia“ („Eine Bewegung der Freude“) frisch und lebendig. Die 24 konzertanten Stücke, von selten gespielten instrumentalen Miniaturen und Divertimenti bis zu großen Arien, von Austauschwerken für Opern bis zu Auftragswerken für damalige Primadonnen reicht das Spektrum, führen musikalisch virtuos in emotionale Welten und durch sie hindurch. Während dieser kurzen „Mini-Opern“ geschieht Entwicklung. Verliebtheit und Schwärmerei, Koketterie und forsches Werben, verspielte Laszivität und unverhüllte Begierde, Abschied und Verlust, verlassen Werden und Verzweiflung, narzisstische Kränkung und Traurigkeit, Sehnsucht und Verlangen, Gefühle und Attitüden, die allesamt in Beziehungsdramatiken wurzeln.

Anne Teresa De Keersmaeker ist mithin bekannt und berühmt für ihre Lust am Strukturell-Formalen. Ihr Werk ist gekennzeichnet von der Auseinandersetzung mit Meisterwerken der klassischen bis zeitgenössischen Musik, Monteverdi, Beethoven, Schönberg, Steve Reich und viele andere; bei ImPulsTanz 2018 zum Beispiel zeigte sie in Wien „Mitten wir im Leben sind/Bach6Cellosuiten“; bei deren Analyse sie tief in komplexe rhythmische und melodisch-harmonische Gefüge eindringt. Ergänzt um mathematische und natürliche Strukturen, die Fibonacci-Folge sah man variantenreich in Raum und Bewegung umgesetzt, choreografiert sie zwischen formaler Strenge und experimenteller Neugier.

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Mozart/Concert Arias Anne Teresa De Keersmaeker. ©FilipVanRoe

Gefühle auf die Bühne zu bringen überlässt De Keersmaeker großenteils, auch in „Mozart/Concert Arias“, ihren musikalischen Co-Performern. Ulises Maino führt das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich feinnervig durch die Dynamiken der in die Musik gegossenen Emotionen. Der Pianist Pedro Beriso, er sitzt hinten im blauen, goldbestickten Livree an seinem Klavier und überspielt nonchalant partielle Unsicherheiten, kommt in einigen Stücken zum Einsatz. Meist im Duett mit einer der drei Sängerinnen. Emma Posman (Koloratursopran), Olga Pasitschnyk (Sopran) und Raphaële Green (Mezzosopran) in ihren schlichten dunkelblauen Kleidern errichten mit allzeit sicher geführter und wunderbar nuancierter und modulierter Stimme von lyrisch bis dramatisch das emotionale Gerüst dieser Arbeit. Mehrfach mit Zwischenapplaus bedacht überstrahlen sie das in den tiefen Graben verbannte Orchester mühelos. Herausragend!

Die konsequent im Rokoko-Stil designte Bühne von Herman Sorgeloos, Stühle, elektrische Kerzen und vor allem ein leicht schräges, dem Parkett-Muster des Wiener Schlosses Schönbrunn nachempfundenes oval-elliptisches Plateau, die zwei Brennpunkte einer Ellipse stehen für das allen Kompositionen zu Grunde liegende Gefühl der Verbundenheit von (zwei) Menschen, wird von den drei Sängerinnen und den 16 TänzerInnen des Opera Ballet Vlaanderen dialogisch virtuos bespielt. Und das im Wortsinne.

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Mozart/Concert Arias Anne Teresa De Keersmaeker. ©FilipVanRoe 3

So wie die Kostüme von Rudy Sabounghi. Er bricht die Strenge der Kleidernormen des Barock, wie es das Rokoko tat, nochmals auf und bindet die Protagonisten ans Jetzt. Die Männer tragen Livrees über freiem Oberkörper oder später legere Westen. Den Frauen, gleich am Anfang ganz in Schwarz und mit sehr kurzen Röcken, weist er das Progressiv-Selbstbewusste des offensiv gelebten, auch erotischen weiblichen Selbstverständnisses unserer Tage zu. Die raffinierten Kleider wechseln mit der Stimmung der Musik, die sich im zweiten Teil des insgesamt gut zweieinhalbstündigen Abends spätestens mit der Konzert-Arie „Ch’io mi scordi di te“ in die Tiefen menschlicher Tragik begibt.

Das Verspielte der Musik Mozarts übersetzen die Choreografin und ihr Regisseur Jean-Luc Ducourt in ein tänzerisch-performatives Geschehen, dessen Leichtigkeit in der Verschränkung von klassischem und zeitgenössischem Material sowie vielen theatralen und Slapstick-Elementen begeistert. Höfischer Tanz und die himmelwärts strebende Schwerelosigkeit der Klassik neben der Arbeit mit der Gravitation und dem Boden, animalischen und Disco-Moves zeitgleich gezeigt werden zum Sinnbild für die Unsterblichkeit der Musik Mozarts und seiner Themen. Und der des Tanzes. Geometrische Muster und die Pferde der Spanischen Hofreitschule, die sich reißverschlussartig in eine Reihe fügen zeigt sie ebenso wie Musik in Bewegung. Horizontale melodische Linien werden zu tanzenden Körpern, vertikale harmonische Strukturen zu räumlichen Beziehungen zwischen diesen. Als Meisterin darin erwies sich De Keersmaeker schon früh.

Was im ersten Teil mit viel Humor garniert wie ein Fest der Verspieltheit und oberflächlichen Vergnügungen daherkommt, Flirts und Neckereien, Frivolitäten und Dandyhaftes, Dramaqueen und verletzte männliche Eitelkeit, das komische Talent mancher TänzerInnen vermag zu überraschen, wächst zum Ende hin in Nähe, Intimität und Innenschau, in ein „Selbstgespräch mit seinen Emotionen“, wie Intendantin Bettina Masuch bei der Werks-Einführung anmerkte.

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Mozart/Concert Arias: Anne Teresa De Keersmaeker. ©FilipVanRoe 4

De Keersmaeker gibt den TänzerInnen-Persönlichkeiten viel Raum zur Entfaltung. Aus der formalen Stringenz ihrer Choreografie bricht immer wieder auch Individualität. Dass Emotionen in ihrem Tanz bestenfalls, das Pathos der Musik brechend, persifliert werden, großenteils jedenfalls, mag man ihrem Fokus auf die formalen und strukturellen Eigenheiten der Musik zuschreiben. In diesem Stück zieht die Choreografin mit ihrem Tanz und den Kostümen weitere Ebenen in die zwischen Text und Musik existierenden Spannungen ein. Der in der Gesamtschau sichtbaren Dynamik von Musik und Text stellt sie eine ebenso variantenreich Geschwindigkeit, Intensität, Besetzung und durch die Sängerinnen den emotionalen Gehalt gestaltende Choreografie zur Seite.

Das Ensemble des Opera Ballet Vlaanderen agiert meisterlich und erweist sich auch in seiner Bandbreite als ein herausragendes. Tanz und Performance, Musik, Gesang, Text, Kostüme und Bühne, Mozart, Musical und Pop verschmelzen in „Mozart/Concert Arias“ zu einer ungemein komplexen, intensiven, die Künste, die Moden und die Menschen bindenden, mit Standing Ovations bedachten Einheit.

Rando Hannemann

 

 

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