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ST.PÖLTEN/ Festspielhaus: Ailey II mit 4 Choreografien

22.01.2024 | Ballett/Performance

ST.PÖLTEN/ Festspielhaus: Ailey II mit 4 Choreografien

„Ich wollte die ,black culture‘ erforschen, und ich wollte, dass diese Kultur eine Offenbarung ist.“ Diese Äußerung von Alvin Ailey beschreibt das Erlebte an diesem Abend trefflich. Die vor 50 Jahren gegründete Nachwuch-Kompanie Ailey II der Ailey School zeigte vier Stücke, darunter die wichtigste Arbeit ihres Gründers, im Festspielhaus St. Pölten. „The Next Generation of Dance“ titelt dieser Abend. Wie angemessen diese Headline gewählt wurde, spürt man sehr schnell. Was da an tänzerischem Talent und hervorragender Ausbildung zu sehen war, hat das voll besetzte Haus begeistert.

Alvin Ailey ist von herausragender Bedeutung für die Welt der modernen Tanzes. Er wurde 1931 in Texas, in den von Rassentrennung und Weltwirtschaftskrise geprägten amerikanischen Südstaaten geboren. Seine Kindheit und Jugend beeinflussten sein künstlerisches Schaffen ebenso wie sein politisches Engagement. Mit der Gründung des AAADT (Alvin Ailey American Dance Theater) im Jahre 1958 legte er den Grundstein für die Verwirklichung seiner Vision von der Bewahrung der einzigartigen afroamerikanischen Kultur.

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Ailey II: Francesca Harper: „Freedom Series“ (c) Erin Baiano

Mit den in Folge gegründeten Alvin Ailey American Dance Center (1969, heute: The Ailey School) und Alvin Ailey Repertory Ensemble (1974, heute: Ailey II) schuf er die Voraussetzungen für die Ausbildung von afroamerikanischen TänzerInnen und das Sammeln erster Bühnenerfahrung seiner Zöglinge. Die zwölf in St. Pölten Tanzenden sind alle Anfang 20. Ein weißer Tänzer und einer mit asiatischen Wurzeln zeugen von Aileys späterer Öffnung seiner Schule für junge Menschen aller Herkünfte, ohne jedoch den ursprünglichen Fokus aufzuweichen.

Das erste Stück des Abends, „FREEDOM SERIES“ von Francesca Harper, die seit 2021 die Kompanie Ailey II künstlerisch leitet, ist die spürbar modernste der gezeigten Arbeiten und zeugt zugleich von der neben der Pflege des Erbes ebenso bedeutsamen Vorbereitung der TänzerInnen auf ein Leben in anderen Tanz-Kompanien mit vornehmlich zeitgenössischem Fokus.

Die TänzerInnen führen weiß leuchtende Kugeln als faszinierend in Szene gesetzte Objekte. Die Bewegung der Kugeln, anfangs wie in einem Kristallgitter gefangen, löst sich aus den festen Strukturen. Das sequenziell choreografierte Stück bildet mit hinreißendem Tanz, Harper findet eine sehr expressive, individuelle Bewegungssprache, ein Gegengewicht zur weiß dominierten Gesellschaft und Kultur. Nicht nur im Sinne von Selbstbehauptung und Opposition, sondern viel eher als Beispiel für eine Hochkultur, die sich gleichberechtigt neben eine andere stellt, offen für gegenseitige Durchdringung.

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Ailey II: Kali Marie Oliver und Andrew Bryant in Alvin Ailey’s !The Lark Ascending! (c) Nir Arieli

Ganz anders der Auszug aus dem 1972 von Alvin Ailey choreografierten Stück „THE LARK ASCENDING“. Eine schwarze Tänzerin beginnt mit einem lyrischen Solo vor einem Hintergrund von bunten Punkten, der eine Blumenwiese suggeriert, über die sie barfuß und mit wundervoller Leichtigkeit wie ein Schmetterling von Blüte zu Blüte zu flattern scheint. Erst später kommt ein schwarzer Mann hinzu. Im klassischen Stil höchst anspruchsvoll choreografiert, mit Drehungen der Partnerin und vielen Hebungen, sind letztere eine Herausforderung für den jungen Mann. Trotzdem: Das zur Romanze für Violine und Orchester „The Lark Ascending“ von Ralph Vaughan Williams getanzte Duett begeistert.

Robert Battle, bis 2023 künstlerischer Leiter des AAADT, kreierte inspiriert von seinem Martial-Art-Hintergrund im Jahre 2001 das Stück „THE HUNT“ für sechs männliche Tänzer. Ursprünglich. Francesca Harper entschied sich für ein reduziertes und gemischtes Ensemble. Drei Frauen und ein Mann tanzen zu einem perkussiven Soundtrack der französischen „Les Tambours du Bronx“ Bewegungsmaterial zwischen Gladiatoren-Ritualen und modernem Sport. Aus Leid und Tod wächst eine kämpferische Haltung, mit afrikanischen und zeitgenössischen Elementen fallend, hüpfend und laufend, jeden Falls sehr erdig, zu treibenden Drums von beiden Geschlechtern gleicher Maßen kraftvoll getanzt.

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Ailey II: Robert Battle: „The Hunt“ (c) Nan Melville

„REVELATIONS“ von 1960 ist das wichtigste Werk Alvin Aileys. Er verarbeitet darin Erinnerungen und Erfahrungen aus seiner Kindheit und Jugend in den Südstaaten. Eingespielte Gospel-Songs und Spirituals setzen mit ihrer Dauer den zeitlichen Rahmen für die mit Blackouts getrennten, eigenständigen kurzen Stücke. Die Stimmung der Musik greift Ailey in seinen Choreografien auf und führt sie mit dem Tanz in eine emotional noch intensivere Dimension. Glaube und Hoffnung, Schmerz und Klage, getragene Trauer, Gebete, Hingabe, unzerstörbarer Optimismus und schließlich die festliche, auch humorvolle, mitreißende Feier des Lebens und ihrer Kultur. Ailey packt Emotionen und Zustände in zeitlos schöne, starke, eindringliche und atmosphärische Bilder, die dieses Stück bis in die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko-City und die Angelobung der Präsidenten Jimmy Carter und Bill Clinton führten.

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Ailey II: A. Jordan, T. Strickland und M. van den Heuvel in Alvin Ailey’s „Revelations“ (c) Nir Arieli

Der Abend endet mit einem von allen zwölf TänzerInnen getanzten Freudenfest. Der dazu gewählte Gospel-Song „Rocka my Soul in the Bosom of Abraham“ trägt viel dazu bei, dass ein euphorisiertes Publikum in seine Welt entlassen wird, die von weit weniger fundamentalen und psychisch wirkaktiven Problemen geprägt ist. Vom Kampf solcher Pioniere wie Alvin Ailey gegen Ausgrenzung, Rassismus und Diskriminierung profitiert die Menschheit noch heute. Der hart erkämpfte Stellenwert der afroamerikanischen Kultur in der amerikanischen Gesellschaft ist beispielhaft für so manch einen Kampf, der hierzulande und heutzutage dazu beiträgt, die Gesellschaft grundlegend zu verändern.

Die an diesem Abend gezeigten Stücke fühlen sich anders an als europäische oder europäisch beeinflusste Arbeiten. Ganz wesentlich dafür ist die alles durchdringende und belebende Spiritualität der Schöpfer und der TänzerInnen. Es ist nicht ihre Kraft allein, die diese jungen KünstlerInnen von den Eleven der europäischen Ballett-Schulen unterscheidet. Ein Glaube, der das Leben feiert, wirkt anders auf den Menschen als die tief in eine Kultur eingegrabene Furcht vor der Strafe Gottes.

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Ailey II: Alvin Ailey’s „Revelations“ (c) Eduardo_Patino

Francesca Harper äußerte in einem Interview, dass mit Ailey II der Enthusiasmus und das unverbrauchte Talent der TänzerInnen am Anfang ihrer Karriere eingefangen würden. Dieser Abend bewies, wie Recht sie damit hat. Die Jugendlichkeit der TänzerInnen und ihre Freude an Tanz und Ausdruck mit klassischem Ballett, Modern und Jazz Dance sind hinreißend. Es ist erst ihr Start in ihr Leben als BerufstänzerIn. Möge ihnen eine Zukunft beschieden sein, die ihr Potential schätzt, fördert und gedeihen lässt. Und die von Ailey prophezeite Offenbarung traf das Publikum direkt ins Herz. Standing Ovations für eine herausragende Kompanie und vier tanzgeschichtlich bedeutsame, eindrucksvolle Choreografien.

Rando Hannemann

Ailey II mit „The Next Generation of Dance“ am 20.01.2024 im Festspielhaus St. Pölten.

 

Rando Hannemann

 

 

 

 

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