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ST. PETERSBURG/ Mariinsky-Theater: THE CHRISTMAS TALE von Rodion Shchedrin

06.12.2016 | Oper

Mariinsky-Theater – Rodion Shchedrin: The Christmas Tale – 4.12.2016

Was Opernaufführungen für Kinder zur Weihnachtszeit anbelangt, ist man in Deutschland traditionell einfallslos: Humperdincks “Hänsel und Gretel” landauf, landab. Glückliches Russland, glückliches St. Petersburg, wo die Kinder am Mariinsky-Theater (neben diversen, speziell an sie gerichteten Angeboten) die Auswahl zwischen Banevichs „Die Geschichte von Kai und Gerda“, „Hänsel und Gretel“ (in russischer Sprache!) und Rodion Shchedrins „The Christmas Tale“ haben, die am 25. Dezember 2015 hier uraufgeführt worden war. Dabei wäre die Shchedrin-Oper es wert, auch in Deutschland zur Winterzeit gespielt zu werden.

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Larisa Yudina, Pelageya Kurennaya und Anna Kiknadze – Foto: Mariinsky-Theater

Es ist eine Art Aschenputtel/Cinderella/Cenerentola-Geschichte à la Russe, die am Silvestertag spielt. Zamarashka, so heißt Aschenputtel hier, wird von Stiefmutter und -schwester tyrannisiert, die beide von einem besseren Leben träumen. Die Aussicht darauf ist plötzlich ganz nahe. Die exzentrische Zarin, die eine Vorliebe für die Farbe Lila zu haben scheint, erlässt ein Dekret, in dem ihre Untertanen aufgefordert werden, ihr ihre Lieblingsblumen Veilchen zu bringen, und das im strengsten Winter! Dafür würden sie reich entlohnt werden. Solange die Zarin die Blumen nicht bekäme, dürfte das neue Jahr nicht beginnen.

Daraufhin wird Zamarashka von Stiefmutter und -schwester in den Wald geschickt, um die Veilchen zu suchen. Dort trifft sie auf den Holzfäller, der ihr von den zwölf Monaten erzählt, die hier an diesem letzten Tag des Jahres zusammenkommen, um sich zu beraten. Sie haben von Zamarashkas Leiden gehört und beschließen, ihr zu helfen. Sie wird in einen langen Schlaf versetzt, und als sie wiedererwacht, liegt sie in einem Feld voller Veilchen. Sie erhält noch einen magischen Ring. Sollte sie in Not geraten, brauchte sie ihn nur vom kleinen Finger auf einen anderen zu stecken, und ihr würde sofort geholfen werden.

Als Zamarashka mit den Blumen nach Hause kommt, werden diese ihr von Stiefmutter und -schwester abgenommen, die an ihrer Stelle zur Zarin eilen und auf die Belohnung hoffen. Als sie zugeben müssen, dass nicht sie, sondern Zamarashka die Veilchen gefunden haben, wird diese an den Zarenhof geholt, wo man ihr nicht glaubt. Veilchen im Winter – unmöglich! Doch als sie sich des magischen Rings erinnert, wendet sich alles zum Besten und das neue Jahr kann endlich beginnen. „Seid umschlungen, Millionen!“

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Zamarashka (Pelageya Kurennaya) inmitten der Veilchen – Foto: Mariinsky-Theater

Rodion Shchedrin hat zu diesem Sujet eine farbenreiche Musik komponiert, die auch die vielen festlich angezogenen Kinder nicht überfordert. Fantasievoll die Inszenierung des Teams ALEXEY STEPANYUK (Regie), ALEXANDER ORLOV (Ausstattung), IRINA CHEREDNIKOVA (Kostüme) – ein Fest auch für das Auge.

Wenn „Christmas Tale“ gespielt wird, dann meistens in zwei Vorstellungen am Nachmittag und am Abend, und es gelingt dem Mariinsky-Theater mit Leichtigkeit, jede einzelne Rolle dieses Viel-Personen-Stücks doppelt und dreifach zu besetzen. Wie schon im April, als ich diese Oper erstmals hörte, brillierte wieder die junge PELAGEYA KURENNAYA als Zamarashka und versetzte den Zuhörer in Staunen und Begeisterung, mit welcher Sicherheit und Tonschönheit sie die überaus schwierigen Anforderungen ihrer Partie bewältigte, alles in einer sehr hohen Lage notiert, dazu kaum einmal Piano oder Pianissmo überschreitend. Diese Leistung nötigt umso mehr Respekt ab, als sie hier ihre eigentlich viel fülligere, viel dunklere Stimme künstlich auf die Bedingungen dieser Partie reduzieren musste. Kompliment, dass man trotzdem jederzeit heraushören konnte, um welch ein großes Talent es sich bei dieser jungen Dame handelt. Mit ihrem sinnlichen Timbre war als Zarin EKATERINA SERGEYEVA wieder einmal eine Augen- und Ohrenweide. Es bleibt mir ein Rätsel, warum sie mit diesen vokalen und optischen Voraussetzungen bisher noch nicht mit der Carmen betraut worden ist. Dies ist eines der vielen Rätsel der Ensemblepolitik dieses Theaters! Köstlich in Stimme und Spiel ANNA KIKNADZE und LARISA YUDINA als Stiefmutter und -schwester. EDWARD TSANGA tat sich mit der hohen Lage des Monats Dezember ein wenig schwer, während ALEXANDER MIKHAILOV als April einen angenehm timbrierten lyrischen Tenor hören ließ und OLEG SYCHOV als Holzfäller mit seinem dunklen Bass wie immer eine sichere Bank war.

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Zamarashka (Pelageya Kurennaya) und April (Alexander Mikhailov) – Foto: Mariinsky-Theater

Und der Dirigent? Dies sollte laut Programmzettel VALERY GERGIEV persönlich sein, doch nicht zu übersehen war es nicht der Hausherr, sondern VLADISLAV KARKLIN, der schon die Einstudierung dieser Produktion und an diesem Tag die Nachmittagsvorstellung geleitet hatte. Insidern (und wer über das Mariinsky schreibt, sollte dies sein) war natürlich bekannt, dass Gergiev sich einer Knieoperation hatte unterziehen müssen und wegen Komplikationen am Wochenende davor alles in St. Petersburg abgesagt und lediglich zwei prestigereiche, im Fernsehen übertragene Konzerte dirigiert hatte. Wenn sein Name auf dem Theaterzettel genannt wurde, er aber trotzdem nicht dirigiert hatte, muss es sich alles um eine recht kurzfristige Absage gehandelt haben. Kein Problem! Aber ich habe ein Problem damit, dass die Zuhörer (unter denen sich zufällig jemand von der schreibenden Zunft befand) nicht durch eine Ansage von dieser Umbesetzung in Kenntnis gesetzt wurden. Typisch Mariinsky! Keinen kümmert es, wenn in der Kritik über einen berichtet wird, der gar nicht dirigiert hat! Nun, der hohen Qualität dieser Aufführung tat es keinen Abbruch, dass nicht der Hausherr am Pult stand, denn Vladislav Karklin ist ein versierter Dirigent, der mehr und mehr mit dem Einstudieren neuer Produktionen und dem Nachdirigieren betraut wird, denn – normale Gesundheit vorausgesetzt – das „ius primae noctis“ gilt nach wie vor am Mariinsky-Theater!

Sune Manninen

 

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