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ST. PETERSBURG/ Festival ”Stars der Weißen Nächte”: DON CARLO

13.06.2017 | Oper

St. Petersburg – Festival ”Stars der Weißen Nächte”, 10./11.7.2017

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Blick auf die „Zarenloge“ im Neuen Mariinsky (Foto: Archiv Manninen)

Wie VALERY GERGIEVs Festtage im nur 3 ½ Zugstunden von St. Petersburg entfernten Mikkeli, das einmal als finnische Sommerresidenz des Mariinsky-Theaters dienen sollte, fand auch das heimische Festival „Stars der Weißen Nächte“ zum 25. Mal statt, in Mikkeli mit nur 4tägiger Anwesenheit Gergievs, in der Neva-Metropole gar zwei Monate vom 26.5. – 23.7. Anders als beim Tagesgeschäft dieses Theaters, dessen oft kurzfristige Planung mehr „aus dem Bauch heraus“ diktiert zu sein scheint, trägt die langfristige Planung für das an Prestige reiche und bei vielen Touristen zum Pflichtprogramm gehörende Festival Früchte. Eine besondere Attraktion ist natürlich Anna Netrebkos erste Adriana Lecouvreur, doch auch mit Ferruccio Furlanetto (Zaccaria, Quichotte) konnte ein dem Maestro langjährig verbundener Freund als Gast gewonnen werden, zu dem sich Eva-Maria Westbroek in „Lady Macbeth von Mtsensk“ gesellt. Apropos Freunde. Da darf natürlich Plácido Domingo nicht fehlen, der im Juli als Macbeth-Sänger und als Trovatore-Dirigent gastieren wird. Mit einer interessanten Besetzung (Melton, Gubanova, Vekua, Nikitin, Pape) ist gerade „Tristan“ in konzertanter Form aufgeführt worden, an drei aufeinander folgenden Abenden, was darauf hinzudeuten scheint, dass mitgeschnitten wurde.

Die von mir am 10.7. besuchte „Don Carlo“-Produktion hatte im November 2012 Premiere gehabt, damals im historischen Theater, und war nun mehr oder weniger erfolgreich zur neuen Bühne transferiert worden. Aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, ist leider der damals gespielte Fontainebleau-Akt auf der Strecke geblieben; mag sein, dass die Elisabetta- und Carlo-Sänger ihn nicht „drauf“ hatten. Regie (falls man angesichts des Steh- und Rampentheaters davon sprechen kann) und Bühnenbild GIORGIO BARBERIO CORSETTIs sind nicht überzeugender geworden, doch war gegenüber der Premiere die musikalische Seite der Aufführung wesentlich erfreulicher. Waren damals Gergiev und sein Orchester erst wenige Tage vorher von einer mehrwöchigen Asien-Tournee zurückgekehrt, was bei mir den Eindruck hinterlassen hatte, mehr einer ersten Verständigungsprobe als einer Premiere als Höhepunkt der Vorbereitungszeit beizuwohnen, so war diesmal der Zusammenhalt zwischen Bühne und Graben nicht zu kritisieren, hatte die Horngruppe Gelegenheit, ihren luxuriösen Klang zu produzieren, und der Zuhörer konnte so manchem wunderschön gespielten Solo (Cello!!!) lauschen. Auch VALERY GERGIEV zeigte sich in verbesserter Verfassung, zwar zu Beginn noch etwas verhalten, doch im Verlauf des langen Abends immer mehr „Fahrt aufnehmend“ und ihn somit mehr zu leiten, als sich ihm unterzuordnen.

Endlich war auch die Sängerbesetzung der Bedeutung dieses Werks angemessen und – ganz im Gegensatz zu 2012, als man auf die Schnelle zur Hausbesetzung zurückgegriffen hatte – festspielwürdig. Da ist an erster Stelle der Posa ALEXEI MARKOVs zu nennen, und das Mariinsky ist zu beneiden und zu beglückwünschen, mit Markov und Vladislav Sulimsky zwei Baritone der Extraklasse im eigenen Ensemble zu haben. Wie immer, wenn Markov singt, konnte man sich beruhigt zurücklehnen und sich dem balsamischen Klang seines Luxusmaterials entspannt und begeistert hingeben. Hier trägt die behutsame Aufbauarbeit des Theaters, eine der letzten Ensemblebastionen von Weltklasse, Früchte. War Markov nach frühen Wettbewerbserfolgen im deutschsprachigen Ausland mit (zu dramatischen Rollen) wie Jago (Dresden), Tomsky (Frankfurt) und Scarpia besetzt worden, so bekam er am Mariinsky in „Pikovaya Dama“ statt Tomsky über eine lange Zeit den lyrischeren Yeletsky (wie auf Yevgeny Onegin) zu singen. Zwar sah sich der ehrgeizige Bariton durchaus schon damals in diesen Partien, doch hätte sein Edelmaterial mit Sicherheit Schaden davongetragen, womit wieder einmal bewiesen ist, dass zu einem Fehlengagement immer zwei gehören: einer, der anbietet, und einer der annimmt.

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Alexei Markov 2006 mit Elena Obraztvova (Foto: Archiv Manninen)

Natürlich ist auch das Mariinsky in seiner Ensemblepolitik nicht vor Fehlern gefeit. Bestes Beispiel dafür ist die Sopranistin TATIANA SERJAN, die, gebürtig in Leningrad, anfangs von Valery Gergiev und dem Mariinsky-Theater übersehen wurde und dann nach Italien ging, um vor wenigen Jahren, nunmehr als ein auch von Riccardo Muti geförderter Star, zurückzukehren. Leider war bei ihrer Carlo-Elisabetta nicht zu überhören, dass sie im Ausland hauptsächlich mit solchen „Killer-Rollen“ wie Lady Macbeth, Abigaille und Odabella angesetzt wird. War ihre „Trovatore“-Leonora am Mariinsky vor wenigen Jahren noch geprägt von einer in allen Lagen homogenen Klangkultur, so schien ihre Stimme – zumindest an diesem Abend – in zwei Teile zu zerfallen, in eine traumschöne dunkle Mittellage und Tiefe und in einer grelle mit viel Vibrato versehene Höhenlage; hoffentlich nur Resultat einer nicht optimalen Abendverfassung. Wie bei Markov zeigt sich auch bei der Eboli EKATERINA SEMENCHUKs der vorteilhafte, langsame Aufbau durch die sog. Akademie des Mariinsky-Theaters für Junge Sänger sowie durch das Theater selbst. Heute ist die 41jährige Sängerin auf ihrem Höhepunkt angekommen und ist zu Recht an den größten Bühnen der Opernwelt in den dramatischen Mezzospran-Rollen wie Azucena, Amneris zu hören, was man exemplarisch an ihrer Eboli ablesen kann. Es gibt nicht viele Sängerinnen, die den verschiedenen Anforderungen wie Geläufigkeit im Schleier-Lied und dramatischem Aplomb in der großen Szene gleichermaßen überzeugend gerecht werden.

Abgesehen von Sergei Skorokhodov, der aber zunehmend im Ausland gastiert, verfügt das Mariinsky im Verdi-Tenorfach nur über gediegene Hausmannskost. So ist es nicht verwunderlich, dass man sich bei anderen Theatern bedient. Gemessen daran, wie schwierig und undankbar der Don Carlo ist, war NAZHMIDDIN MAVLYANOV als Gast vom Moskauer Stanislavsky und Nemirovich-Danchenko-Theater ein guter Vertreter der Titelrolle, ein Sänger mit einem angenehmen Timbre, dem die Lyrismen gut gelangen, der aber auch keine Angst vor den Höhenattacken haben musste. MIKHAIL PETRENKO war und ist für mich ein merkwürdiger Fall. Ohne jeden Zweifel ein guter Sänger, und ich habe selten einen Filippo gehört, der so perfekt Ton an Ton reihte, in keinerlei Lage irgendwelche Schwierigkeiten kennend. Doch für solche Partien, bei denen ein Sänger im Mittelpunkt stehen sollte, ist mir sein Timbre zu hell, zu farblos, zu wenig individuell, bleibt er als Darsteller zu unpersönlich, lässt beim Zuschauer kein Interesse an der Figur aufkommen. MIKHAIL KOLELISHVILI, immerhin ein Bassist, der vor vielen Jahren beim Elena-Obraztsova-Wettbewerb mit dem Grand Prix ausgezeichnet worden war, ist nun bei größeren Partien des secondo basso angekommen, löst aber weiterhin mit seiner verquollenen Singweise bei mir keine Freude aus. DMITRY GROGORIEV war der Mönch; es gibt Bassisten, die mir in dieser Rolle schon mehr aufgefallen sind.

Die Auswahl nicht nur an diesem Wochenende war verlockend groß. So konnte das Mariinsky mit drei „Onegin“-Aufführungen an nur zwei Tagen unter Beweis stellen, dass es in der Lage war, alle Partien in allen Vorstellungen mit verschiedenen Sängern zu besetzen, doch auch für Musikfreunde gab es abseits der Oper viel Interessantes, so am 11.7. ein Konzert des sog. Stradivarius-Ensembles, alles Musiker des Mariinsky-Orchesters, die auf Stradivari-Instrumenten oder ähnlichen Hochkarätern spielen. Mit diesem kleinen, aber feinen Luxus-Ensemble lässt Valery Gergiev, wenn er denn nicht selber am Pult steht, bevorzugt Konzertmeister seiner Gast-Orchester arbeiten. War es früher Igor Gruppman vom Rotterdam Philharmonic Orchestra, so ist es nun LORENZO NASTURICA-HERSCHKOWICI von den Münchner Philharmonikern, der ein attraktives Programm mit den Vier Jahreszeiten von Vivaldi und von Piazzolla leitete. An den Gesichtern der Musiker konnte man ablesen, wie viel Spaß sie an der Zusammenarbeit mit diesem Musiker hatten, der zusammen mit ANTON KOZMIN (Violine) und OLEG SENDETSKY (Cello) auch für die Soli verantwortlich war. Ein Konzert mit großem Spaßfaktor, das für den Besucher aus dem westlichen Ausland wieder einmal dadurch beeinträchtigt wurde, dass die Zuhörer nach jedem einzelnen Satz (und es gab viele davon) applaudierten, ein Verhalten, das mich immer wieder irritiert.

Sune Manninen

 

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