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ST.GALLEN/ UM!BAU: THE TIME OF OUR SINGING von Kris Defoort. Schweizer Erstaufführung/ Premiere

12.03.2023 | Oper international

Kris Defoort: The Time of Our Singing • Theater St.Gallen im UM!BAU • Premiere: 11.03.2023

Schweizer Erstaufführung

Koproduktion mit der belgischen Nationaloper La Monnaie/De Munt

Ein schwarzer Punkt zwischen den Knien eines weissen Riesen

Das Theater St.Gallen zeigt in Koproduktion mit der belgischen Nationaloper La Monnaie/De Munt Kris Defoorts Oper «The Time of Our Singing» als Schweizer Erstaufführung. Das Libretto der am 14. September 2021 in Brüssel uraufgeführten Oper gestaltete Peter von Kraaij nach Richard Powers Roman «Der Klang der Zeit».

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Foto © Edyta Dufaj

 «The Time of Our Singing» erzählt detailreich das Leben und Schicksal der Familie Strom im Amerika des20. Jahrhunderts. Der deutsche, jüdische Physiker David (1915-1971) und die Schwarze Sängerin Delia (1919-1953) verlieben sich 1939 beim Open-Air-Konzert von Marian Anderson vor dem Lincoln Memorial in Washington, D.C. Nachdem die Frauenbewegung «Daughters of the American Revolution» ihren geplanten Auftritt vor der Constitution Hall verhinderte, sang Anderson schliesslich am Lincoln Memorial vor über 75’000 Zuhörern («Ein schwarzer Punkt zwischen den Knien eines weissen Riesen»). Die beiden haben keine Probleme mit ihrer unterschiedlichen Herkunft, Religion und Hautfarbe. Delias Vater William ist jedoch nicht glücklich über die entstehende Liebesbeziehung. Aufgrund ihrer verschiedenen Hintergründe müssen David und Delia einige Hindernisse überwinden, wobei ihnen die gemeinsame Liebe zur Musik hilft («Es geht darum sich in der Musik zu verlieren.». Ihre drei Kinder, Jonah, Joey und Ruth, wollen sie zuhause unterrichten, um sie von den Rassenproblemen in der Schule fernzuhalten. Grossvater William betrachtet eine Erziehung ohne Berücksichtigung der Hautfarbe als Verleugnung der Identität seiner Familie. Dazu kommt, dass er David vorwirft, mit seinen Forschungen zur Entwicklung der Atombombe und deren Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki beigetragen zu haben. William bricht mit der Familie seiner Tochter. Der älteste Sohn Jonah ist ein talentierter Sänger und wird mit seinem Bruder Joey auf ein Konservatorium geschickt, wo sie sich gegen ihre weissen Kommilitonen durchsetzen müssen. Als Jonah und ein weisses Mädchen («Tochter eines berühmten italienischen Dirigenten») sich ineinander verlieben, nehmen die Eltern ihre Tochter von der Schule. David holt seine Söhne von der Schule ab und überbringt ihnen die Nachricht, dass Delia bei einem Brand ums Leben gekommen ist (1953). Jonah nimmt am 7. Dezember 1961 in Durham (North Carolina) am Gesangswettbewerb «America’s Next Voices» teil und gewinnt. Dies ist der Beginn einer erfolgreichen Karriere. Er geht eine Liebesbeziehung mit der weissen Sängerin Lisette Soer ein. Als sie schwanger wird, möchte Jonah sie heiraten, doch Lisette hat das Kind bereits abgetrieben. Ruth zweifelt die offizielle Begründung an, der Wohnungsbrand, bei dem Delia starb, sei die Folge eines Gaslecks gewesen. Sie setzt sich aktiv gegen die Diskriminierung der Schwarzen Bevölkerung ein und plant, in Washington an einem Protestmarsch teilzunehmen. David vermutet, dass Ruth ihn aufgrund der Mischehe für mitschuldig am Tod ihrer Mutter hält.  Am 11. August 1965 prüfen Jonah und Joey in den Watts Recording Studios in Los Angeles ihre Aufnahmen von Werken Henry Purcells. Als Jonah auf die Strasse geht, wird er bei den Watts-Aufständen verletzt. Ruth zeigt Joey den Polizeibericht über den Brand. Obwohl darin von einem Brandbeschleuniger die Rede ist, wurde die Angelegenheit nicht weiter untersucht. Ruth hat inzwischen Robert Rider (1939-1984) geheiratet. Zusammen sind sie den Black Panthers beigetreten, um für ihre Rechte zu kämpfen. Als Jonah ein Angebot für die Schwarze Rolle in einer Oper an der Metropolitan Opera bekommt, lehnt er ab, da er wegen seines Könnens und nicht wegen seiner Hautfarbe engagiert werden möchte. Er will seine Karriere in Europa fortsetzen, doch Joey möchte ihn nicht begleiten. David ist schwer krank und verstirbt. Joey ist als Einziges der drei Geschwister anwesend. Jonah arbeitet in Europa, Ruth und Robert sind untergetaucht. Jonah berichtet am Telefon von seinem Auftritt an der Mailänder Scala und seinem A-cappella-Ensemble in Flandern, für das er seinen Bruder gewinnen will, doch dieser lehnt ab. Ruth erzählt, dass ihr Mann Robert am 12. Juli 1984 bei einer Verkehrskontrolle von Polizisten angeschossen wurde und nicht überlebt hat. Gemeinsam mit Joey besucht sie am 30. Juni 1984 ihren Grossvater William. Als William ein Jahr später verstirbt, gehen Ruth und Joey gemeinsam nach Oakland, wo sie ein Schulprojekt umsetzen, das der Traum von Ruths Mann gewesen ist. Jonah macht eine Tournee durch Amerika und besucht seine Geschwister in Oakland. Er ist begeistert davon wie Joey und Ruth in der von ihnen gegründeten Schule Schwarzen und gemischten Kindern ihre Identität vermitteln. Joey erreicht ein Telefonanruf von Jonah. Jonah nimmt an den Unruhen in Los Angeles ab dem 29. April1992 teil und wird verletzt. Er bittet Joey, Ruth zu sagen, dass er nun ihre Suche nach Identität versteht. Nach dem Telefonat erliegt Jonah seinen Verletzungen.

Ted Huffman (Inszenierung) legt die Oper als Kammerspiel an, dass sich ganz auf die Figuren und die dokumentarisch gehaltenen Video-Einblendungen zu den historischen Ereignissen (Video: Pierre Martin) konzentriert. Diese Konzentration geht so weit, dass sich auf der Bühne (Johannes Schütz) eine grössere Anzahl quadratischer Tische – sie bilden podestartig eine zweite Ebene für Auftritte und Abgänge -, Stühle für die gerade nicht beschäftigten Solisten und Kleiderständer (Kostüm: Astrid Klein) – umgezogen wird sich auf der Bühne – befinden. Durch diese radikale Konzentration geht jegliche Atmosphäre verloren, denn die Bühne mit dem Charme eines abgehalfterten Ballett-Probesaals und die (für einmal) zu knappen Videoeinblendungen können diese nicht bieten. Hinzu kommt, dass die musikalischen Referenzen an den Roman von Richard Powers derart zahlreich und ausführlich sind, dass im Verbund mit dem optischen Auftritt doch einige, wohl vermeidbare Längen entstehen. Der Abend könnte gerade angesichts der Thematik weit bewegender sein ihn der Kritiker empfindet (im Gegensatz zum Publikum, das die Künstler mit einer Standing Ovation feiert).

Die Gesangspartien der Oper sind nicht klassisch gehalten, sondern erinnern stilistisch immer wieder an «Porgy and Bess» und den Gesang der Afro Americans. Wenn man sich nun, zurecht, dem Kampf gegen den Rassismus verschreibt («Der Kampf ist noch nicht zu Ende»), bleibt zu fragen, wo Jonah doch das Engagement der Metropolitan Oper ablehnt, da er wegen seines Könnens und nicht wegen der Hautfarbe engagiert werden möchte, weshalb die Partien hier nicht freizügig besetzt sind, sondern allein David Strom von einem Weissen verkörpert wird.

Claron McFadden gibt mit klarem, bestens geführten Sopran die Delia Daley. Mark S. Doss verkörpert den William Daley natürlich Würde und Autorität. Kristján Jóhannesson singt mit seinem wunderbaren Bariton und grosser Bühnenpräsenz den David Strom. Die drei Kinder der Familie Strom sind Joshua Stewart als Jonah, Markel Reed als Joey und die vor kämpferischer Energie nur so strotzende Naomi Simmonds als Ruth. Jennifer Panara gibt Jonahs Geliebte Lisette Soer.

Das Sinfonieorchester St.Gallen, das Jazzquartett (Adrian Pflugshaupt, Tenorsaxophon; Jérémie Krüttli, E-Bass; Mischa Cheung, Klavier; Maximilian Näscher, Drumset) und Kunal Lahiry als Pianist auf der Bühne unter der musikalischen Leitung von Kwamé Ryan bringen die wie bereits erwähnt enorm vielfältige Musik Defoorts bestens zu Gehör und tragen durch den Abend.

Ein an sich interessanter Abend.

Weitere Aufführungen:

Sonntag, 19. März 2023, 19.00; Dienstag, 21. März 2023, 19.30; Mittwoch, 19. April 2023, 19.30;

Freitag, 21. April 2023, 19.30; Sonntag, 23. April 2023, 17.00.

11.03.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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