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ST. GALLEN /UM!BAU: Joseph Bologne «CHEVALIER DE SAINT-GEORGES»: Der anonyme Liebhaber

21.11.2022 | Oper international

Joseph Bologne «Chevalier de Saint-Georges»: Der anonyme Liebhaber • Theater St.Gallen im UM!BAU • Vorstellung: 20.11.2022

 (7. Vorstellung • Premiere am 17.09.2022)

Superstar Joseph oder die Unsitte des Vergleichs

Noch zweimal ist «Der anonyme Liebhaber» von Joseph Bologne «Chevalier de Saint-Georges» am Theater St.Gallen zu erleben. Die Produktion ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Stück, das quer zu unseren Sehgewohnheiten steht, auf die Bühne gebracht werden kann.

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Foto © Edyta Dufaj

Grundsätzlich ist die Originalfassung eines Stücks immer vorzuziehen. Ist man nun der Auffassung, eine Handlung sei dem Publikum nicht zuzumuten, gilt es zu überlegen, ob und wie man das Stück bearbeitet. (Welche Qualitäten eine Handlung mitbringen muss, um unzumutbar zu sein, und was dem Publikum zuzumuten ist, soll hier nicht diskutiert werden). Hier ist man nun der Auffassung die Geschichte vom jungen Adligen, der unsterblich in seine beste Freundin verliebt ist, ihr dies aber nicht zu gestehen wagt, sei unzumutbar. Hier verknüpft man die Biographie des Komponisten mit der Handlung, was auf Grund der Tatsache, dass Bologne einer der frühesten Komponisten klassischer Musik afrikanischer Abstammung ist, die Möglichkeit ergibt, die Ängste des jungen Adligen, die Anonymität des Liebhabers zu motivieren. Unter theaterpraktischen Gesichtspunkten ist die Operation (Neufassung von Femi Elufowoju Jr.) vollauf gelungen. Die Kommentare der anonymen Stimme (Kay Kysela) lassen das Theater zur moralischen Anstalt werden, wenn sie daraufhin weist, dass Boulogne, was der junge Adlige (angstbedingt) nicht will, nämlich Heiraten, von Gesetzes wegen nicht durfte. Und wie sieht es heute, wo man noch immer auf den ersten farbigen Intendanten wartet, aus? Es wird ja wohl niemand mehr für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat, verurteilt? Und gewichten wir Bologne im Vergleich mit Mozart immer noch per se als mindertalentiert («der schwarze Mozart»)?

Femi Elufowoju jr. (Inszenierung) und Sebastian Juen (Inszenierung) arbeiten bei der „Comedie en deux actes melée de ballets“ eng am Libretto und lassen die Tänzerinnen der Theatertanzschule St. Gallen (Choreographie: Elenita Queiroz) die thematisierten Ereignisse aus Bolognes Biographie, so zum Beispiel den Fechtkampf mit dem Chevalier d’Eon, zusätzlich zum Gesang mit den Mitteln des Tanzes darstellen. Die Schlussansprache der anonymen Stimme stellt dann die entscheidenden Fragen ohne jeglichen kontraproduktiven ideologischen Furor: Wäre das heute noch möglich, dass eine Person of Colour für ein Verbrechen verurteilt wird, das sie nie begangen hat? Könnte eine Person of Colour heute ohne Weiteres eine Frau aus dem europäischen Adel (Oberschicht) heiraten? Werden Künstler heute auf Grund ihrer Hautfarbe ignoriert? Der Regisseur sieht diese Fragen eher pessimistisch, denn wenn Georg Bologne die Bühne betritt, komplettiert er sein Kostüm mit dem Frack, der auf der Bühne hängt und diesen hängt er am Schluss der Oper dann wieder zurück. Es war nur ein Traum… ULZ (Bühne und Kostüm) hat für die Produktion ein ganz schlichtes Bühnenbild entworfen, eine Treppe mit zwei grossen Vasen auf Sockeln, geraffter Stoff als Hintergrund. Charles Balfour und Andreas Enzler besorgen das Licht, das, wenn die anonyme Stimme spricht, die Bühne jeweils in schwarz einfrieren lässt.

Das Sinfonieorchester St. Gallen unter musikalischer Leitung von Kazem Abdullah spielt hoch konzentriert mit präsentem, natürlichen Klang. Nach einigen Wacklern sind dann auch die Blechbläser parat.

Joshua Stewart gibt den Joseph mit prächtigem, höhensicheren Tenor und grosser Bühnenpräsenz. Phasenweise klingt die Stimme leicht gaumig. Florina Ilie ist ihm als Léontine eine formidable Partnerin mit wunderbar vollem Sopran. Äneas Humm singt mit prächtigem Bariton den teilweise en travestie angelegten Ophémon. Libby Sokolowski gibt Leontines quirlige Dienerin Dorothee. Die Stimmen des zweiten Paares (Jennifer Panara als Jeannette und Christopher Sokolowski als Colin) harmonieren prächtig.

Eine Rarität, die es nicht länger verdient hat, Rarität zu sein!

Weitere Aufführungen: FR 02.12.2022, 19.30 und FR 09.12.2022, 19.30.

22.11.2022, Jan Krobot/Zürich

 

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