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ST. GALLEN/ Theater/ UM!BAU: MESSA DA REQUIEM von Giuseppe Verdi. Die Feier der Ruhe des Verstorbenen

18.05.2023 | Oper international

Giuseppe Verdi: Messa da Requiem • Theater St.Gallen im UM!BAU • Vorstellung: 17.05.2023

(3. Vorstellung • Premiere am 06.05.2023)

Koproduktion mit dem Theater Winterthur

Die Feier der Ruhe des Verstorbenen

Für den Abschied von seiner Interimsspielstätte UM!BAU hat das Theater St.Gallen bewusst eine Produktion geplant, die allen Sparten beteiligt. Dafür hat der polnische Regisseur Krystian Lada Verdis Requiem eingerichtet.

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Foto © Edyta Dufaj

Das Sinfonieorchester St.Gallen unter seinem Chefdirigent Modestas Pitrenas spielt an diesem Abend wie von einem anderen Stern. Das «Requiem aeternam»beginnt mit einem ätherischen Piano und ist dann wunderbar durchgestaltet. Grandios dann das «Dies irae» mit dem genau richtigen Mass an Wucht, dass es seine volle Wirkung entfalten kann. Ein Extra-Lob verdienen die bombensicheren Posaunen, deren Positionierung in den Eingängen für eindrücklichen Raumklang sorgt. Selten hat man das Zittern des «Rex tremendae» so plastisch wahrnehmen können. Das auf der Bühne hinter einem Vorhang verborgene Orchester lässt herrlichste Farben hören und folgt hochkonzentriert seinem Chefdirigenten. So leidenschaftlich musiziert, kann man kaum genug bekommen und hofft das Orchester möglichst bald wieder mit diesem Repertoire zu hören.

Zum phantastischen Klangerlebnis tragen der Chor des Theaters St.Gallen, der Opernchor St.Gallen und der Theaterchor Winterthur, einstudiert von Franz Obermair, uneingeschränkt ihren Teil bei. Mit sattem Klang vom Piano bis zum Forte und grosser Textverständlichkeit überzeugten die Kollektive. Im zweiten Teil, nun nicht mehr mit den Solisten auf der Bühne, sondern hinter dem Vorhang und dem Orchester war keine Klangeinbusse festzustellen. Eine mustergültige Leistung!

Libby Sokolowski übernimmt den Sopranpart mit vollem, breitem, dramatischem Sopran und lässt so die Kritik am Requiem als «Oper im Kirchengewand» nachvollziehbar werden (was positiv zu verstehen ist). Die Überraschung des Abends ist der Mezzosopran von Martina Belli: eine souverän geführte Stimme mit wunderbaren Farben von idealem Volumen. Immer wieder glaubt man eine ideale Ulrica zu hören. Christopher Sokolowski geht den seinen Part mit heldisch geführtem, trockenen Tenor an.  Technisch gesehen gibt es nichts einzuwenden, aber die Stimme fehlt es den für Verdi nötigen Farben. Kristján Jóhannesson gibt den Bass-Part mit ideal geführtem Bassbariton.

Konzept, Regie, Bühnenbild des Abends stammen von Krystian Lada. Er geht dabei von der antiken Bedeutung für «requies», «Ruhe», «Erholung» aus (im mittellateinischen erstreckte sich die Bedeutung dann auch auf die Totenmesse, «missa pro defunctis») und stellt so den lebenden Menschen in den Mittelpunkt. Die «Überlebenden» feiern die Ruhe des Verstorbenen («Requiescat in pace»/»Er ruhe in Frieden») und die Lebenden, durch deren Beziehung zueinander, Verdis Freundschaften mit Rossini und Manzoni, das Werk überhaupt entstanden ist. Lada sieht das Requiem auch als vorzeitiges Fegefeuer («purgatorium» vom lateinischen «purgare» für «reinigen», «säubern») vor der Zeit (denn entsprechend der Lehre der Westkirche ist das Fegefeuer die Zwischenstufe zwischen Tod und Paradies oder Hölle). Hier setzt Lada nun an, indem er die vier Gesangssolisten zu Persönlichkeiten macht, die sich dieser Reinigung unterziehen, und sie um Schauspieler und weitere Figuren ergänzt. In sich gehen Christiaan Barnard (südafrikanischer Herzchirurg und Pionier auf dem Gebiet der Herztransplantation), Adriana Reye (Mutter des Attentäters von Uvalde, der in einer texanischen Grundschule 21 Personen erschoss), Thom Gunn (der in den 80er-Jahren seinen Geliebten Mike nicht in den Tod begleiten konnte) und Virginia Woolf (britische Schriftstellerin, die sich während einer starken Depression suizidierte. Dabei folgt Lada, so der Programm-Flyer, Manzonis Methodik, anhand einer Auswahl dokumentarischer Einzelgeschichten die Geschichte der eigenen Zeit zu erzählen. Die Umsetzung des Konzepts gelingt, trotz grossartiger Leistung der beteiligten Schauspieler (Marcus Schäfer, Swane Küpper, Steven Forster, Chantal Le Moign, Samuel Trachsel, Minghao Zhao, Christian Hettkamp, Guang-Xuan Chen und Emily Pak), leider nur bedingt. Während des Einschubs zwischen der Sequenz und dem Offertorium geht es auf der Bühne zu, wie am 1. Mai auf dem Wenzelsplatz. Die «Reinigungen» der Figuren laufen teilweise parallel und die Texte sind nicht immer verständlich: Konzentration kann so schwierig werden und das Konzept wirkt, wenn überhaupt, nur noch als Ganzes. Den wächsernen Versatzstücken fehlt letztlich die Verbindung zur Bühne und zu den Reinigungsvorgängen, denn das Schmelzen setzt erst nach der persönlichen Reue ein und ist ganz an den rechten Rand der Bühne verbannt.

Musikalisch absolut top, szenisch nur eingeschränkt begeisternd.

Weitere Aufführungen: 21.05.2023, 26.05.2023, 30.05.2023, 02.06.2023, 04.06.2023 und 11.06.2023.

17.05.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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