Claudio Monteverdi / Ernst Křenek: L’incoronazione di Poppea, Theater St. Gallen, 26.05.2019
(4. Vorstellung seit der Premiere am 11.05.2019)
Ohne Zwischenfall, Sensation, Ruhm oder Skandal
Die St.Galler Inszenierung der Krönung der Poppea funktioniert trotz ihrer Defizite weiterhin. Regisseur Alexander Nerlich verknüpft, etwa weit hergeholt, mit den Begriffen «Rom» und «Nero» die Thermen, die Bäder des antiken Rom und den Brand der Stadt. So hat ihm Bühnenbildner Wolfgang Menardi ein raumfüllendes Schwimmbad geschaffen. Mit seiner schwarz-weiss Optik, den Aschehaufen und den Trümmern des Brandes (Stühle, ein Cembalo und eine Art Hochsitz, der von einem Tennisplatz stammen könnte). In Kombination mit den dunklen Kostümen (Žana Bošnjak) und der Beleuchtung (Andreas Enzler) wird, auch wenn sich der Regisseur auf die Macht der Liebe und nicht die Liebe zur Macht konzentrieren möchte, jedes noch so kleine Fitzelchen Erotik vermieden. Die Tänzerin des Amor, später mehr dazu, erleichtert das Verständnis der Inszenierung nicht wesentlich.
Křenek selbst äusserte sich mit den Worten „Ohne Zwischenfall, Sensation, Ruhm oder Skandal“ über die Uraufführung seiner Bearbeitung am 25. September 1937 im Wiener Stadttheater.
Seine Bearbeitung von Monteverdis Spätwerk ist im Rahmen der Wiederentdeckung von Monteverdis Partituren (um 1890) und der darauf entstandenen Bearbeitungen (d’Indy, Westrup, Benvenuti, Ghedini, Malipiero u.A.) zu sehen. Dreissig Jahre nach der Wiederentdeckung glaubte man an die Kraft der Poppea. Der ausgeprägte Fortschrittsglaube jener Zeit ist mit dafür verantwortlich, dass Bearbeitungen und nicht Rekonstruktionen gefragt waren. Hinzu kommt die spezifische Überlieferung der Barockopern, nur Melodiestimmen der Sänger und der Generalbass sind notiert, die dem Grundsatz „Was wichtig ist, ist notiert“ widerspricht. Zudem verlangte der zeitgenössische Opernbetrieb Voraussetzungen (wie Klavierauszüge, Orchester-Stimmen oder Verwendung der damals üblichen und im Orchester vorhandenen Instrumente), die Barock-Opern gerade auf Grund ihrer Überlieferung per se nicht leisten konnten. Das Umdenken historische Instrumente zu verwenden und sich im Rahmen des möglichen dem „historischen“ Klang anzunähern, sollte dann ab den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts folgen.
Anders als die Quellen, besonders die autobiographischen Zeugnisse Křeneks selbst es vielleicht nahelegen, ist die Bearbeitung nicht primär für Paul Csonka, dessen „Salzburg Opera Guild“ und deren Amerika-Tournee, entstanden. Nach publizistischer Vorbereitung suchte Křenek zusammen mit seinem Verlag „Universal-Edition“ nach einer Aufführungsmöglichkeit für sein Stück. Csonka, Sohn eines Industriellen, hatte ihn Wien studiert und war seit dieser Zeit mit Künstlern und Impresarii wie Herbert von Karajan, Sol Huroc, Marcel Prawy und Rudolf Bing befreundet. Csonka hatte die „Salzburg Opera Guild“ als antifaschistische und antirassistische Kompanie gegründet und, um den geschützten prestigeträchtigen Namen „Salzburg“ verwenden zu können, das aufgelöste Kloster Mondsee als Probelokalität angemietet. Unklar ist, warum das die Verwendung von „Salzburg“ erlauben sollte: Mondsee lag und liegt in Oberösterreich und nicht in Salzburg. Nachdem sich Radio Hilversum, Radio Lugano oder das Stadttheater Basel nicht für die Uraufführung gewinnen liessen, brachte Csonkas Truppe die Poppea am 25.09.1937 im Wiener Stadttheater zur Uraufführung. Weiter szenische Aufführungen sind dann von der Tournee aus Nordamerika überliefert: am 03.11.1937 in Montreal, am 09.11.1937 in New York, Anfang Dezember in Chicago und wohl später, zu einem nicht mehr festlegbaren Datum, in New Orleans. Nach dieser Tournee sind keine weiteren szenischen Aufführungen bekannt, wohl aber eine konzertante Aufführung im Jahre 1973 in Wien.
Křeneks Bearbeitung fordert den heutigen Zuhörer und seine Hörgewohnheiten. In Kenntnis der historischen Aufführungspraxis und ihrer Erkenntnisse mag das Stück schwierig auszuhalten sein. Ist man aber bereit, die historische Aufführungspraxis, die damals noch in weiter Ferne lag, auszublenden, die Umstände der Zeit, den damaligen Stand der Wissenschaft zu akzeptieren und dem Stück auch auf Grund seiner Ehrlichkeit (konsequente Bezeichnung als „Bearbeitung“: Křenek steht dazu, verändert und ergänzt und nicht nur Noten spielbar gemacht zu haben) selbst künstlerischen Wert beizumessen, so ist dem Zuhörer ein höchst Interessantes Erlebnis sicher.
Das Orchester der Křenekschen Poppea-Bearbeitung umfasst Streichern, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Trompete, Posaune, Harfe, Klavier, Harmonium und Mandoline. Die Kombination Křenek-Monteverdi ergibt letztlich einen Stil, der mit gängigen Kriterien nicht einzuordnen ist.
Das Sinfonieorchester St.Gallen unter Leitung von Corinna Niemeyer bleibt an diesem Nachmittag ungewohnt blass. Der Chor des Theaters St.Gallen war von Michael Vogel gut vorbereitet worden.
Raffaella Milanesi und Anico Zorzi Giustiniani konnte als Poppea und Nero konnten ebenso überzeugen wie Ieva Prudnikovaite als Ottavia und Tatjana Schneider als Drusilla. Shea Owens als Ottone war wieder im Vollbesitz seiner Kräfte. Absolut überzeugend sang Martin Summer den Seneca.
Ein Erlebnis, das den Ausflug nach St.Gallen auf jeden Fall lohnt!
Weitere Aufführungen: 29.05.2019, 02.06.2019 und 15.06.2019.
27.05.2019, Jan Krobot/Zürich