Gioacchino Rossini: Guillaume Tell • Theater St.Gallen • Vorstellung: 02.06.2024
(6. Vorstellung • Premiere am 05.05.2024)
Koproduktion mit der Irish National Opera und Nouvel Opéra Fribourg
Wohlklang pur: grosse Oper ganz gross
Der überragend positive Eindruck des St.Galler Tell bestätigt sich ohne Abstriche. Hier wird an einem «kleinen» Haus grosse Oper ganz gross(artig) geboten.
Foto © Edyta Dufaj
Schon die Ouvertüre lässt erkennen, wie intensiv und genau Michael Balke mit dem Sinfonieorchester St.Gallen geprobt hat. Die Crescendi sind ohne der Versuchung die letzten Töne einzelner Passagen zu Gunsten des nächsten Höhepunkts «abzukürzen» eindrücklich herausgearbeitet. Einzelne Patzer im Blech können passieren, es begeistern die warmen Streicher, das Solo-Cello und das Englischhorn. Balke überzeugt erneut mit seiner fein austarierten Gestaltung des Abends und souveränem Dirigat.
Auf gleichem, hohen Niveau agieren die von Filip Paluchowski perfekt vorbereiteten Chöre (Chor des Theaters St.Gallen und Opernchor St.Gallen): mit ideal abgestimmter Klangwucht geniessen die Kollektive ihre aktive Rolle.
Da auch ein Teil der Tänze gespielt wird, sind 4 Solisten beteiligt: Laura García Aguilera, Jeanne Gumy, Federica Faini und Elenita Queiroz (Choreographie: Nicole Morel).
Theodore Platt gibt den Guillaume Tell mit warmem, beeindruckend höhensicherem Bariton. Nach der Pause lässt er seine Stimme als weggebrochen ansagen. Die Ansage wird strategisch gewesen sein, denn mehr als Aufrauhungen und wie notiert ausgehaltene Phrasen sind nicht zu bemerken. Da hat man doch schon ganz andere Desaster erleben müssen. Jonah Hoskins ist als Arnold Melcthal eine Idealbesetzung. Das «Asile héréditaire» und «Amis, secondez ma vengeance» im vierten Akt gelingen strahlend kraftvoll und mit endlosem Atem. Das Spiel ist geprägt von Natürlichkeit und Harmoniemit den anderen Solisten. Martin Summer gibt mit sonorem Bass den Walter Furst und den Melcthal. Kali Hardwick gibt mit sauber geführtem Sopran eine, je nach Empfinden, aufgedreht oder überdrehte Jemmy. Kristján Jóhannesson gibt den Gesler mit voluminösem Bass und ist mit seiner Körperlänge auch optisch die ideale Verkörperung des diabolischen Landvogts. Christopher Sokolowski ist als Geslers Scherge Ruodi eine Luxusbesetzung. Riccardo Botta meistert die unangenehm hoch notierte Partie des Ruodi beeindruckend sicher. Athanasia Zöhrer gibt mit grosser, leidenschaftlich geführtem Sopran eine Mathilde von grosser Bühnenpräsenz. David Maze als Leuthold, Jennifer Panara als Hedwige und Andrzej Hutnik als Jäger ergänzen das formidable Ensemble auf hohem Niveau.
Der Magdeburger Generalintendant Julien Chavaz siedelt die Produktion in einer traumartigen Welt an, die ihren eigenen Regeln folgt, und von naiven und unschuldigen Figuren bevölkert wird (Bühne: Jamie Vartan). Die Verbindung mit der Natur ist für ihn so stark, dass er eine Welt entworfen hat, in der nicht nur die Schweizer Facetten der Natur annehmen (Kostüm: Severine Besson) . So tragen die Habsburger als Besatzungsmacht Pest-Masken und selbstverständlich. Das bestimmende optische Element ist eine Lichtleiste (Lichtdesign: Sinéad Wallace und Andreas Enzler), die zum Beispiel als Bergspitzen oder Umrisse eine Hauses die Handlung verdeutlichen.
Wohlklang pur: grosse Oper ganz gross!
Weitere Aufführung: 06.06.2024, 19:30‐22:55.
03.06.2024, Jan Krobot/Zürich