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ST. GALLEN/ Theater/ Grosses Haus: RUSALKA. Neuinszenierung

Glücksmomente eines Kritikers

02.10.2019 | Oper

Bildergebnis für st.gallen rusalka

TRAILER

Antonín Dvořák: Rusalka, Theater St. Gallen, Grosses Haus, Vorstellung: 02.10.2019

(3. Vorstellung seit der Premiere am 21.09.2019)

Glücksmomente eines Kritikers

Mit der «Rusalka» zur Saisoneröffnung hat das Theater einen grossen Wurf gelandet. Einen ganz grossen Wurf! Ganz selten sind Produktionen auf so durchgehend hohem, wenn nicht höchsten Niveau zu erleben. Das Leading Team, Vera Nemirova (Regie; Mitarbeit Regie: Sonja Nemirova) und Modestas Pitrenas (Musikalische Leitung) hat Dvoraks Spätwerk entschlackt ohne sich am Werk zu vergehen oder ihm auch nur zu schaden. Das nahezu ideal besetzte Sängerensemble folgt ihm dabei mit beeindruckendem Engagement.

Hebt sich der Vorhang, fühlt sich der aus Zürich angereiste Opernbesucher unvermittelt an das Entsetzen von Prof. Pahlen selig über Ruth Berghaus Zürcher Freischütz erinnert: Freischütz und kein Wald auf der Bühne! Hier gibt es eine «Rusalka» ganz ohne romantischen See, Wald und Mond. Denn: Wie im Programmheft zu lesen ist, kämpft Rusalka um «die verlorene Kraft ihrer Beine im Namen ihrer Leidenschaft». Dazu hat Youlian Tabakov das passende Bühnenbild geschaffen: einen unterirdischen Ballettsaal mit Garderobe für den ersten Akt. Einziges Zeichen von Natur ist ein Wohl durch Feuchtigkeit entstandener striemenförmiger Schimmelpilz. Nemirova exponiert damit nicht nur ihr Inszenierungskonzept sondern thematisiert gleichzeitig das vom Werk angesprochene Verhältnis Mensch-Natur und erzählt die Geschichte als Theater im Theater. Die höchst geschmackvollen, diskreten Kostüme von Marie-Thérèse Jossen, das Licht von Andreas Enzler und die choreografische Mitarbeit von Bärbel Stenzenberger unterstützen Nemirovas Konzept perfekt. Für Rusalkas Arie an den Mond öffnet sich der Raum etwas und eine grün beleuchtete Show-Treppe wird sichtbar. In dieser, von Rusalka als so trist empfundener Umgebung, kann es keinen romantischen oder realistischen Mond geben und so muss sie mit einer Discokugel (Spiegelkugel) vorlieb nehmen. Treffen Rusalka und der Prinz zusammen, hat sich die Bühne geöffnet und es dominieren die Showtreppe und ein Piano. Rusalka löst als Muse hier die Schreibblockade des Prinzen, der als Komponist gezeigt wird. Im zweiten Akt kommt dann die Bar «H2O» zum Piano hinzu. Die Festgesellschaft auf dem Schloss des Prinzen kommt gerade aus einer Vorstellung der Oper «Rusalka» im Theater St.Gallen. Der dritte Akt beginnt mit Rusalkas Einsamkeit (einsame Strassenlaterne) bis dann wieder die Showtreppe erscheint. Sie führt nun aber zu Sitzreihen des Theaters St.Gallen. Nemirova gelingt es so die Geschichte «Rusalkas» dem Libretto entsprechend und trotz «unromantischer» Umgebung verständlich zu erzählen.

Auf neue Höhenflüge begibt sich das Sinfonieorchester St.Gallen unter seinem Chefdirigenten Modestas Pitrenas. Pitrenas schlägt angemessen rasche Tempi an und vermag seinem Orchester gleichermassen lyrisches Schwärmen wie eruptive Leidenschaft zu entlocken. So saftig hört man Dvořák selten. Bravissimi!

Die Krone der Solistenschar gebührt zweifelsohne der Rusalka von Sofia Soloviy. Mit der Ausstrahlung der kühlen Blonden passt sie hervorragend in die Inszenierung. Die lyrischen Stellen gelingen ihr genauso perfekt wie die Dramatischen. Und wie sie spielt! Hat sie im ersten Akt ihre
Flosse ausgezogen, bewegt sie sich – wir befinden uns im Ballettsaal – erst einmal robbend fort, bevor sie sich an der Stange hochzieht, sich nur mühsam auf den Beinen halten und fortbewegen kann. Gerade in dieser Umgebung eindrückliche Bilder. Grossartig! Gewissheit, dass ihr nichts fehlt, erhält der Zuschauer erst nach ihrer Menschwerdung, wo sie sich dann normal fortbewegen kann. Hervorragend auch der Prinz von Kyungho Kim. Mit perfekt geschultem, metallisch-kräftigem Tenor setzt er Nemirovas Intentionen auch im schauspielerischen Bereich perfekt um. Den genialen Komponisten wie den Lebemann nimmt man ihm gleichermassen ab. Mit wunderbarem Bass überzeugt Marcell Bakonyi als Wassermann, der als eine Art Ballettmeister angelegt ist. Perfekt besetzt sind Alžběta Vomáčková als divenhafte Fremde Fürstin mit manchmal doch sehr dramatischen Tönen und Nora Sourouzian als Ježibaba, die gar nicht „hexisch“ sondern als Mensch unserer Zeit aus der ersten Reihe des Publikums auftritt. Das hochstehende Ensemble ergänzen Riccardo Botta als Heger, Jennifer Panara als Küchenjunge und Nik Kevin Koch als Jäger. Tatjana Schneider als Erste Waldelfe, Eva Zalenga als Zweite Waldelfe und Taisiya Labetskaya Dritte Waldelfe nehmen nicht nur mit ihren hellen, klaren Stimmen sondern auch mit ihren tänzerischen Fähigkeiten für sich ein.

Kaum etwas zu kritisieren, fast nur zu loben: Glücksmoment eines Kritikers.

Weitere Aufführungen jeweils im Grossen Haus: 6. Oktober 2019, 20. Oktober 2019, 29. Oktober 2019, 2. November 2019, 14. November 2019, 8. Dezember 2019, 13. Dezember 2019, 17. Dezember 2019 und 7. Februar 2020.

 

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