Giuseppe Verdi: Ernani • Theater St.Gallen • Vorstellung: 28.01.2024
(2. Vorstellung • Premiere: 20.01.2024 • Premiere Opera Ballet Vlaanderen: 16.12.2022)
Koproduktion mit Opera Ballet Vlaanderen, Antwerpen/Gent
Vier Konzeptänderungen für drei Hornstösse
Nach Bregenz im vergangenen Sommer zeigt nun das Theater St.Gallen Verdis Frühwerk «Ernani». Das spärlich erschienene Publikum zeigt sich begeistert.
Christopher Sokolowski, Kristján Jóhannesson, Foto © Edyta Dufaj
Oper muss mit der Zeit gehen. Sie muss dabei aber sich selbst treu bleiben und Traditionen immer wieder wissend hinterfragen. Oper ist kein Sprechtheater und demzufolge weder regelmässig an die konkreten Umstände der Aufführung anzupassen. Und die Tatsache, dass früher Opern regelmässig angepasst wurden ist immer vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Werke höchst individuell waren, geschrieben, um den Fähigkeiten eines vorher bekannten Ensembles exakt zu entsprechen. Das waren häufig so hervorragende Sänger, dass andere Theater die Rollen nicht adäquat besetzen konnten und die Werke deshalb anpassen mussten. Und so manches Werk, nehmen wir Rossinis «Otello» als Beispiel, wird heute nicht oder kaum gespielt, weil es so schwierig zu besetzen ist. Und gab es szenische Änderungen wie die Metamorphose von König Franz I. zum Herzog von Mantua in Verdis «Rigoletto»: diese waren aber von der Zensur bedingt. Für Verdi war das nicht wirklich ein Problem: im lag daran, dass die Leiche im Sack blieb. Des weiteren darf nicht der Versuchung erlegen werden, mit den Seh- und Hörgewohnheiten der Gegenwart Werke der Vergangenheit zu beurteilen und umzusetzen. Was uns heute als stringente Erzählung gilt, wurde damals schlicht nicht gewollt. Es ist ein Charakteristikum der Libretti von Verdis Opern, die auf der französischen Romantik (oder spanischen als deren Schule) basieren, dass es um Schlaglichter auf einzelne Momente der Handlung, aber nicht eine stringente Erzählung geht. In den Libretti, die wesentlich von der Kontrastdramaturgie leben, steht die psychologische Verfassung der einzelnen Figuren nicht im Vordergrund: der (manchmal übertriebene) Individualismus unserer Zeit war damals nicht bekannt. Die Tradition wissend zu hinterfragen, heisst auch, die «Traditionen» der Gegenwart in Frage zu stellen. Es dient dem Werk in keiner Art und Weise, die Handlung schon im Vorfeld als altbacken und kompliziert darzustellen. Wenn man sich offen mit der Oper befasst, ist die hier genausowenig wie beim Trovatore und den anderen «üblichen Verdächtigen» der Fall.
Die Oper muss mit der Zeit gehen. Aber nur, wen die, die sie in die Zukunft führen, das dafür nötige Sensorium haben.
Libby Sokolowski, Foto © Edyta Dufaj
Erfrischend offen und ehrlich wirkt der Umgang mit damit, dass Regisseurin Barbora Horáková (Inszenierung) sich mit vier Konzeptänderungen intensiv mit dem Werk auseinandergesetzt hat und Texte des flämischen Schriftstellers Peter Verhelst (Texte) eingefügt hat. Jede Medaille hat aber zwei Seiten und so kann dies auch als Zeichen dafür gesehen werden, dass die Regisseurin mit dem Werk nicht zurechtkommt, ihm nicht vertraut. Horáková erzählt die Geschichte aus der Perspektive Ernanis, der bei ihr Soldat ist und, so lassen die militaristisch inspirierte Ausstattung (Eva-Maria Van Acker), die Videos (Tabea Rothfuchs) der verhüllten Frauengestalten und die in Schützengrabenlyrik ausartenden Texte Verhelsts vermuten, kämpft im ersten Weltkrieg. Durch die Arbeit mit nur wenigen Versatzstücken und der über weite Strecken harten Beleuchtung mit starkem weissem Licht (Stefan Bolliger), ist der visuelle Eindruck des Abends stark unterkühlt und von Dunkelheit geprägt – obwohl Verdi auch hier mit den Gegensätzen (Dunkel der Gruft – Farben des Maskenballs) arbeitet.
Christopher Sokolowski gibt den Ernani mit sauber geführtem, baritonal eingefärbtem Tenor und grosser Bühnenpräsenz. Die Stimme hat Fundament und trägt gut im Haus und doch bleibt das Gefühl, er möge nicht der Verlockung erliegen und zu häufig Rollen dieses Kalibers singen. Das Etwas an Metall ist da, aber nur selten kann die Stimme, wie für diese Partie eben auch nötig, Wärme entwickeln und frei strömen. Birgit Bücker verkörpert Ernanis Seele: von unauffällig bis penetrant stehen ihr alle Schattierungen zu Verfügung. Vincenzo Neri gibt mit seinem kräftigen Bariton ein eindringlichen Don Carlos. Die Technik ist tadellos, der Atem gewaltig, die Stimme eher «nordisch» timbriert. Das Gewicht liegt auf der Kraft und dunklen Färbung, weniger bei Emotion und Wärme. Ganz ähnlich liegt der Fall beim Don Ruy Gomez de Silva von Kristján Jóhannesson. Sein Bariton ist noch ein Spur dunkler und «gewaltiger» als derjenige Neris, der Mangel an Verdischer Wärme ähnlich. Zwei wunderbare Stimmen, denen – Kritik auf hohem Niveau – das gewisse Etwas an Wärme fehlt. So bleibt Verdis Melodienreichtum immer ein bisschen unterkühlt. Ganz hervorragend gelingt Libby Sokolowski die Elvira. Ihr runder, voller Sopran kann das für die Liebhaberin und von drei Männern begehrte Frau notwendige Feuer entwickeln. Ihre Stimme ist «gewaltig», ohne aber direkt so zu tönen. Jennifer Panara, Sungjune Park und Msimelelo Mbali ergänzen das Ensemble.
Franz Obermair hat den Chor des Theaters St.Gallen und den Opernchor St.Gallen einstudiert. Den beiden Kollektiven gelingt der Abend über weite Strecken tadellos. In seltenen Momenten zerfasert der Klang etwas und die Textverständlichkeit lässt etwas nach.
Das Sinfonieorchester St.Gallen unter musikalischer Leitung von Chefdirigent Modestas Pitrenas ist ungewohnt uninspiriert und unterkühlt. Der Funke, das Brio will nicht so recht überspringen.
Ein Verdi-Abend, dem die Wärme fehlt.
Weitere Aufführungen:
31.01.2024, 19:30 – 22:10; 04.02.2024, 14:00 – 16:40; 09.02.2024, 19:30 – 22:10;
19.02.2024, 19:30 – 22:10; 22.02.2024, 19:30 – 22:10; 03.03.2024, 17:00 – 19:40;
10.03.2024, 19:00 – 21:40; 12.03.2024, 19:30 – 22:10; 21.03.2024, 19:30 – 22:10;
19.04.2024, 19:30 – 22:10.
29.01.2024, Jan Krobot/Zürich