Charles Gounod: Faust, Theater St.Gallen, Vorstellung: 04.02.2020
(14. Vorstellung seit der Premiere am 26.10.2019)
Faust 1917
Mit Gounods «Faust» in der Regie von Ben Baur ist dem Theater St. Gallen wieder ein ganz grosser Wurf gelungen. Der Abend überzeugt in jeder Hinsicht, sei es Regie, Orchester, Chor oder Solisten.
Das Sinfonieorchester St.Gallen unter Leitung von Stéphane Fromageot spielt einen wunderbar duftig-lyrischen Gounod ohne je ins Kitschige abzugleiten. Wo es wie zum Beispiel im Soldatenchor angebracht ist, dreht das Orchester auf, aber zarte Pianostellen sind genauso möglich. Einzelinstrumente sind in solistischen Passagen bestens vernehmbar, ohne dass die Partitur je akademisch-blutleer klingen würde.
Der Chor des Theaters St.Gallen und der Opernchor St.Gallen, einstudiert von Michael Vogel, haben einen ganz grossen Abend. Ein satter, homogener Klang, leidenschaftliches Spiel und absolute Textverständlichkeit bereiten reine Freude.
Kyungho Kim, der in dieser Saison schon als Prinz in Dvořaks »Rusalka» begeisterte, singt den Faust mit kraftvollem, strahlenden Tenor. Der lebensmüde Ennui („Wann kann ich endlich sterben?“) ist weniger sein Ding, umso leidenschaftlicher gibt er dann Liebenden. Tatjana Schneider singt eine formidable Marguerite. Die leicht unterkühlte Interpretation verleiht ihrer Rolle das gewisse Etwas. Tadas Girininkas gibt den Méphistophélès mit grossartiger Bühnenpräsenz und kraftvollem Bass. In dieser Inszenierung fällt es nicht ins Gewicht, dass er die Stimme noch etwas an Bosheitmangelt. Shea Owens überzeugt in der Rolle des Valentin und Jennifer Panara bringt in Stimme und Spiel genau jene jugendliche Frische und Natürlichkeit mit, die dem Siebel bestens zu Gesichte stehen. Taisiya Labetskaya als Marthe und David Maze als Wagner ergänzen das hochkarätige Ensemble.
Regisseur Ben Baur (Inszenierung und Bühne) hat sich bei seiner Inszenierung erfreulicherweise gegen eine Psychologisierung wie auch gegen deutsche (Trachten-)Gemütlichkeit entschieden. Er siedelt, durchaus passend zum Libretto und der dortigen Rolle der Historie als blosses Kolorit, die Liebesgeschichte in der Zeit des Ersten Weltkriegs an. Inspiriert durch Gounods Karrierebeginn als Kirchenmusiker und dessen Begeisterung für die kirchlichen Gesänge im Faust, mit denen Gounod ja auch die Komposition begann, hat Baur sich einen kirchenartigen Raum als Einheitsbühnenbild geschaffen. Im Verein mit den hochästhetischen, angenehm schlichten Kostümen von Uta Meenen und der hervorragenden, immer wieder eindrückliche Stimmungsbilder zaubernder Beleuchtung von Mariella von Vequel-Westernach, entsteht so der hervorragende optische Eindruck des Abends.
Baur erzählt die Geschichte eng am Libretto und führt das Personal absolut schlüssig. Immer wieder entstehen so nachdenkliche Szenen, so wenn im ersten Akt die Frage gestellt wird „Gibt Gott mir Liebe, Glaube, Hoffnung?“. Die Frage kann immer gestellt werden, sei es im Kontext mit den Kriegen des 16. Jahrhunderts (Zeitangabe im Libretto), des 19. Jahrhunderts (Zeit Gounods) oder der Gegenwart. Die Begeisterung in den Krieg zu ziehen und die Rückkehr der gebrochenen Helden zu den Fanfaren schmissiger Marschmusik ist ebenso zeitlos. Eindrücklich auch die Idee Marguerite im dritten Akt als Marienfigur zu zeigen, denn Fausts momentane Verehrung hat religiöse Komponenten. Und wie die Religion verlassen und wieder gefunden wird, passt das bestens zu Fausts verhalten (4. und 5. Akt).
Ein rundum begeisternder Abend. GANZ GROSSE OPER!
Weitere Aufführungen jeweils 19.30 im Grossen Haus:
Donnerstag, 5. März 2020; Mittwoch, 25. März 2020.
Jan Krobot/Zürich