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ST. GALLEN/ Theater: DIE KRÖNUNG DER POPPEA von Claudio Monteverdi / Ernst Krenek

«Good old Europe» in seiner ganzen Komplexität

20.05.2019 | Oper

Claudio Monteverdi / Ernst Krenek: L’incoronazione di Poppea, Theater St. Gallen, 19.05.2019 nachmittags

 (3. Vorstellung seit der Premiere am 11.05.2019)

«Good old Europe» in seiner ganzen Komplexität

Möchte ein Theater heute eine Barockoper aufführen, stellt sich nicht nur die Frage der Fassung sondern auch die Frage nach dem Orchester. Hat mein kein Spezialorchester zur Hand, kann man das Hausorchester verwenden (so beim aktuellen «Poros» an der komischen Oper in Berlin), man verzichtet auf die Aufführung (Komische Oper zu Zeiten Andreas Homokis) oder man zeigt, wie jetzt das Theater St.Gallen Einfallsreichtum und Spürsinn. Für die letzte Premiere der Saison hat man Ernst Křeneks Bearbeitung von Claudio Monteverdis «L’Incoronazione di Poppea». Diese Fassung, neudeutsch wohl Überschreibung genannt, war nach ihrer Entstehung 1937/1938 nur wenige Male anlässlich einer USA-Tournee und dann in den 70er-Jahren im Rahmen einer Rundfunkaufnahme zu hören

Křeneks Bearbeitung, so der St.Galler Dramaturg bei der Einführung und bezugnehmend auf die Entstehung der Bearbeitung, zeige «Good old Europe» in seiner ganzen Komplexität. 1. Jh., 17. Jh., 20. Jh. und 21. Jh.

Die Handlung von Monteverdis Oper beruht im Grossen und Ganzen auf historischen Ereignissen und spielt im 1. Jh. n.Chr., als Kaiser Nero Poppea ehelichen möchte und dazu seine erste Ehefrau Octavia loswerden muss. Die Ehe mit Octavia, Schwester von Neros Vorvorgänger Calligula und eheliche Tochter seines Adoptivvaters Claudius, wurde von Neros Mutter Agrippina in die Wege geleitet. Sie war es auch, die Seneca als Lehrer ihres Sohnes engagierte. Seneca musste ebenfalls weichen, da auch er der neuen Verbindung im Wege stand. Der Überlieferung zufolge, die im Falle Neros meist aus späteren Jahrhunderten stammtvund auffällige Übereinstimmungen zur Überlieferung betreffend Calligula aufweist, starben beide im Jahre 62 n.Chr.

Montverdis Spätwerk ist eine der ersten Opern, die keinen mythologischen Stoff behandelt bzw. die Mythologie in den Prolog verbannt. Entstanden für das Teatro San Benedetto (und nicht für einen Hof), ist die Überlieferungslage recht dürftig.

Da Barockopern nur in Melodie-Stimme und Generalbass überliefert sind, muss jeweils eine Aufführungsfassung geschaffen werden. Das Bestreben von Křeneks Bearbeitung war es, eine zeitgemässe Fassung der Oper herzustellen.

Im 21. Jahrhundert stellt sich dann natürlich die Frage, wie man das Stück als Quasi-Uraufführung auf die Bühne bringen will.

Mit den Begriffen «Rom» und «Nero» verknüpft Regisseur Alexander Nerlich die Thermen, die Bäder des antiken Rom und so hat ihm Bühnenbildner Wolfgang Menardi ein raumfüllendes Schwimmbad geschaffen. Stilistisch könnte es, gerade auf Grund seiner schwarz-weiss Optik und den Formen, durchaus aus der Entstehungszeit von Křeneks Bearbeitung stammen. Die dunkel, mehrheitlich schwarz gehaltenen Kostüme von Žana Bošnjak wie die Videos von Stefano Buduo passen gut zum relativ tristen Einheitsbühnenbild. In diesem Rahmen erzählt Nerlich die Geschichte nun eng am von Křenek bearbeiteten und unter Anderem von allem Mythologischen befreiten Libretto entlang. Das Konzept geht zwar auf, wirkt aber trotz vom Regisseur neu eingefügten Tänzer (Flurin Stocker choreographiert von Jasmin Hauck) auf Dauer sehr ermüdend.

Die Konstanzerin Corinna Niemeyer hat die kleine Besetzung (etwa 24 Musiker) des Sinfonieorchester St.Gallen mit konsequenten Tempo- und Lautstärkevorgaben gut im Griff und erzeugt einen kompakten Klang. Die Musik ist nun das gleichermassen Überraschende und Faszinierende der Produktion. Monteverdi ist natürlich auch zu hören, manchmal etwas Bach, Debussy, Richard Strauss, Ausflüge ins Atonale und Vieles, an dem sich später Filmmusiker inspiriert haben könnten.

Raffaella Milanesi und Anico Zorzi Giustiniani konnte als Poppea und Nero auf ganzer Linie, besonders aber im schauspielerischen Bereich, überzeugen. Ieva Prudnikovaite sang die Ottavia. In der Höhe neigt ihre Stimme wie jene von Tatjana Schneider (Drusilla) zu unangenehmer Schärfe. Shea Owens als Ottone wirkte leicht heiser, überzeugte aber durch klare Diktion. Martin Summer war ein wunderbar volltönender Seneca, Milena Storti gab die Arnalta. Barna Kovács (Primo soldato), Robert Virabyan (Secondo soldato/libero capitano)  und Candy Grace Ho (Pallade) ergänzten das Ensemble.

Der Chor des Theaters St.Gallen war von Michael Vogel gut vorbereitet worden.

EMPFEHLUNG: Eine sehenswerte, vor allem aber hörenswerte Rarität!

Weitere Aufführungen: 26.05.2019 um 17.00 Uhr, 29.05.2019 um 19.30 Uhr, 02.06.2019 um 14.30 Uhr und 15.06.2019 um 19.30 Uhr.

20.05.2019, Jan Krobot/Zürich

 

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