Giacomo Puccini: La Bohème • Theater St.Gallen • Vorstellung: 25.10.2025
(2. Vorstellung • Premiere am 18.10.2025)
Erfolg löst nicht alle Probleme
Mit «La Bohème» in der Regie von Guta Rau hat das Theater St.Gallen einen der grossen Opernklassiker in handwerklich hervorragender Umsetzung im Repertoire. Ungewöhnlich, aber stimmig gelingt die Umsetzung des vierten Bildes.

Foto © Ludwig Olah
Guta Raus Inszenierung lebt von profunder Werkkenntnis, echtem Handwerk, akribischer Probenarbeit und der daraus resultierenden Frische. Die vier Freunde dürfen Künstler sein und sind sorgfältig individuell gezeichnet, die drei Schauplätze sind so umgesetzt, dass Alt sich damit anfreunden und Jung sich etwas darunter vorstellen kann. Stellwände mit trüben Scheiben sind die bestimmenden Elemente des Bühnenbilds (Bühne: Isabelle Kittnar), rufen dem Habitué die klassischen Bilder der Mansarde ins Gedächtnis und ermöglichen zusätzlich noch das (beschreibende) Spiel mit Schattenfiguren (Licht: Andreas Enzler). Das zweite Bild ist liebevoll gestaltet, mit zur Jahreszeit passendem Marroni-Verkäufer (Verkäufer gerösteter Edel-Kastanien), und wirkt, trotz des grellen, weissen Lichts, luftig leicht. Wenn sich zum Ende des Bildes die Paare gefunden haben, schweben sie «auf Wolke 7». Der Beziehung von Musetta und Marcello scheint Rau nicht ganz zu trauen: im Gegensatz zu Mimì und Rodolfo sitzen sie getrennt. Das vierte Bild findet immer noch in der Mansarde statt. Diese ist nun aber, denn Rodolfo und Marcello «haben es geschafft», zur Galerie geworden. Ausgestellt sind Dinge wie Mimìs Mütze aus dem ersten Bild, der Ofen, ein Stuhl, ein Bücherstapel und, in Vorwegnahme dessen, was noch kommt, Collines Mantel. Es scheint gerade eine Vernissage zu laufen und so sind geladene, voyeuristisch gaffende Gäste zugegen. Man trinkt und plaudert – bis plötzlich mit Musetta und der Nachricht von der todkranken Mimi der brutale Alltag hereinbricht. Die «feine Gesellschaft» interessiert das überhaupt nicht und so geht der «courant normal» weiter. Mimì stirbt im Kreis ihrer Freunde zusammengekauert in einer Ecke. Erfolg löst nicht alle Probleme. Die Kostüme von Melina Poppe sind dezent modern (Totenkopf T-Shirt Schaunards) mit historisierenden Elementen bei den Hauptfiguren.
Das Sinfonieorchester St.Gallen unter musikalischer Leitung von Modestas Pitrenas überzeugt mit rhythmisch fein austariertem, «saftigem» Klang. Filip Paluchowski hat den Chor des Theaters St.Gallen und den Opernchor St.Gallen tadellos einstudiert. Besonders überzeugt der saubere Klang des Kinderchors (Einstudierung: Terhi Kaarina Lampi).
Brian Michael Moore gibt den Rodolfo mit gut fokussiertem, strahlendem Tenor. In den lyrischen Passagen kommt die helle, schmelzreiche Stimme gut zur Geltung, mit grosser Orchesterbegleitung oder im Dialog mit Bühnenpartnern schwindet die Durchsetzungskraft zuweilen. Die Tongebung wirkt an diesem Abend leicht gaumig. Vincenzo Neri gibt mit sehr dominantem, tenoral ambitioniertem Bariton einen Marcello, der mehrfach Rodolfo zu überflügeln droht. Sylvia D’Eramo überzeugt als Mimì mit perfekt fokussiertem, agil geführtem Sopran und einfühlsamer Gestaltung des ersten Zusammentreffens mit Rodolfo. Die Pianissimi zeugen von tadelloser Technik. Kali Hardwicks Musetta begeistert mit vollem, rundem Sopran und luftig-leichtem, glaubwürdigem «Quando m’en vò». Felix Gygli gibt den Schaunard mit perfekt geführtem Charakterbariton und, nicht nur in der pantomimischen Schilderung von Lolitos Tod, grossartiger Bühnenpräsenz. Jonas Jud gibt den Colline mit schlank geführtem, ausgesprochen wohlklingenden Bass. Er hätte es mehr als verdient die Mantelarie «Vecchia zimarra, senti» im Vordergrund der Bühne singen zu dürfen. Inmitten der Besucher der Vernissage droht er visuell unterzugehen. Riccardo Botta als Benoît und Alcindor, Barna Kovács als Parpignol, Robert Virabyan als Sergeant und Frank Uhlig als Zöllner ergänzen das formidable Ensemble.
Eine rundum gelungene Bohème.
Weitere Aufführungen:
Sonntag, 2. November 2025, 19.00; Freitag, 21. November 2025, 19.30;
Montag, 8. Dezember 2025, 19.30; Donnerstag, 11. Dezember 2025, 19.30;
Sonntag, 14. Dezember 2025, 17.00; Sonntag, 21. Dezember 2025, 19.00;
Dienstag, 24. Dezember 2025, 19.30; Mittwoch, 31. Dezember 2025, 19.00;
Montag, 5. Januar 2026, 19.30; Freitag, 9. Januar 2026, 19.30 Uhr
Dienstag, 20 Januar 2026, 19.30.
26.10.2025, Jan Krobot/Zürich

