Vincenzo Bellini: I Capuleti e i Montecchi • Konzert und Theater St.Gallen, Grosses Haus • Premiere: 13.09.2025
Koproduktion mit der Opéra national de Lorraine, dem Theater Magdeburg und Opera Ballet Vlaanderen
Romeo und Julia im Wilden Westen
Konzert und Theater St.Gallen startet mit Bellinis «I Capuleti e i Montecchi» in die neue Saison. Pinar Karabulut, seit dieser Spielzeit Co-Intendantin am Schauspielhaus Zürich, führt Regie.
Foto © Edyta Dufaj
Regisseurin Pinar Karabulut (szenische Einstudierung: Clara-Sophie Freitag) habe sich, so die Internetseite des Hauses, durch die Tatsache, dass Bellinis Romeo von einer Mezzosopranistin gesungen wird, inspirieren lassen und spitze so den Geschlechterkonflikt zu. Davon ist auf der Bühne dann aber kaum etwas zu bemerken. Der Text gibt das auch nicht her, weil die Hosenrolle zur Entstehungszeit zwar nicht mehr eine Selbstverständlichkeit, aber auch noch nicht etwas Besonderes war. Ein Fehler, der im Regietheater häufig passiert: Man kann die Gedankenwelt (um nicht das böse Wort «Ideologie» zu gebrauchen) der Gegenwart nicht einfach einem fast zweihundert Jahre alten Libretto aufpressen. So beschränkt sich das Bühnengeschehen auf die erwartbaren (Liebes-)Szenen: auf die Tatsache, dass das Libretto nach den Vorlagen, die auch Shakespeare für sein Werk verwendete, das Gewicht auf den Konflikt der Familien und nicht auf die Liebe legt, geht die Inszenierung nicht ein. Der «Geschlechterkonflikt» wird bei Karabulut dadurch akzentuiert, dass der Männerchor uniforme Western-Kostüme (Kostüm: Teresa Vergho) trägt und eine reichlich überflüssige Bewegungs-Choreographie ausführen muss. Westernkostüme und stampfende Auftritte bleiben hier als Zeichen von Männlichkeit übrig. Die Frage, wie Männlichkeit konstruiert wird (Programmheft), beantwortet das nicht wirklich. Dabei fällt auf, dass eine geschickte Personenführung allein diesen Eindruck hätte erwecken können. Für Lacher sorgt der Moment, als Lorenzo erklärt Romeo durch einen Geheimgang zu Giulietta gebracht zu haben, dieser aber auf einem Pferd auf die Bühne geschoben wird. «Sci-Fi» als zweite Komponente der Ausstattung (neben «Wild West») beschränkt sich auf die Drehbühne (um bei den Bildern zu bleiben «laut wie eine Büffelherde in der Prärie») mit einem tellerartigen Aufbau und einem raketenartigen Aufsatz, der vermutlich für Giuliettas Welt stehen soll. Die anfangs (nur aus dem Parkett) sichtbare Darstellung von urwaldartigem Wurzelwerk bleibt ohne weiteren Zusammenhang (Bühne: Michela Flück). Bernd Purkrabeks Lichtgestaltung gelingen wiederholt stimmige Momente.
«Bellinis Musik verlangt grösste Aufmerksamkeit für Balance, Tempodramaturgie und Klangkultur» stellt Dirigent Michael Balke im Programmheft fest. Bei stimmiger Tempodramaturgie ist von Balance und Klangkultur leider kaum etwas zu hören. Ein übermässiger Hall von Bühne und Graben beeinträchtigt den Klang massiv und verschiebt die Balance zwischen dem eigentlich tadellos aufspielenden Sinfonieorchester St.Gallen und den Solisten zu Ungunsten des Hörenden. Der im zweiten Akt bessere, aber noch nicht befriedigende Klang lässt Probleme mit der Nachklang-Regelung vermuten. Die übermässige Lautstärke, die die Sänger zum Forcieren zwingt, lässt vermuten, dass die Auslastung des Hauses nicht angemessen berücksichtigt wurde.
Der Chor des Theaters St.Gallen (Choreinstudierung: Filip Paluchowski) erledigt seine Aufgabe unter den gegebenen Umständen mehr als überzeugend.
Jennifer Panara gibt den Romeo mit grossem szenischen Engagement. Die Stimme spricht gut an und kommt gut mit der Lautstärke zurecht. Es bleibt aber noch Luft nach oben, denn an diesem Abend scheinen die Tiefen mit der Mittellage und den Höhen nicht wirklich verbunden und in den Höhen treten vereinzelt Schärfen auf. Kali Hardwicks Giulietta überzeugt mit sauberen Höhen, inniger Gestaltung und, wenn man ihr die Möglichkeit lässt, mit berückenden Piani. Der Capellio von Jonas Jud begeistert mit seinem wunderbaren Bass, hat aber besonders mit den akustischen Problemen zu kämpfen, die den Klang seiner Stimme besonders stark verfälschen. Omar Mancini gibt mit strahlend kräftigen Tenor einen durch und durch glaubwürdigen Tebaldo, der mit wunderbaren, freien Höhen begeistert. Riccardo Botta als überzeugender Lorenzo ergänzt das Ensemble.
Das lokale Publikum zeigt sich enthusiastisch begeistert.
Weitere Aufführungen: 28.09.2025, 19:00; 29.10.2025, 19:30; 11.11.2025, 19:30; 16.11.2025, 14:00; 20.11.2025, 19:30;
23.11.2025, 17:00.
14.09.2025, Jan Krobot/Zürich