Reinhard Keiser: Ulysses • Theater Orchester Biel Solothurn im Stadttheater Solothurn • Vorstellung: 23.03.2024
(2. Vorstellung • Premiere in Solothurn am 22.03.2024 • Premiere in Solothurn am 03.12.2022)
Koproduktion mit Theater und Orchester Heidelberg
Schweizer Erstaufführung
«Ich bin dann mal eben Zigaretten holen»
Mit der traditionellen Premiere einer Barock-Oper im Stadttheater Solothurn beendet Theater Orchester Biel Solothurn die Saison. Gezeigt wird als Schweizer Erstaufführung Reinhard Kaisers «Ulysses».
Gespielt wird am TOBS die musikalische Rekonstruktion von Clemens Flick mit Texten von Ulrike Schumann. Eine «Originalfassung» gibt es nicht, da in der überlieferten Partitur Kofferarien eingelegt sind und die im Libretto gedruckten entsprechenden deutschen Arien von Keiser gar nicht vertont wurden. Über eine reine Rekonstruktion, die Unterlegung der Arientexte mit Musik Keisers, hinaus geht die Psychologisierung von Ulysses Abstieg in die Unterwelt, wo er Urilas als Teil seiner selbst erkennt und der Kampf mit diesem als Duell vor dem Spiegel stattfindet. Unklar bleibt, wieso die komisch angelegte Figur des Arpax durch den Dichter Homer ersetzt ist (und dann doch auf dem Besetzungszettel erscheint). Wenn im Programmheft positiv vermerkt wird, das Stück sei als Huldigungsoper «weder zu lang noch übermässig tragisch» und die französische Vorlage (die Tragédie mise en musique «Ulysse» (1703) von Jean-Féry Rebel mit dem Libretto von Henri Guichard, Sieur d’Hérapine) um zahlreiche Szenen gekürzt, so ist weder die Notwendigkeit der Modernisierung noch die Ergänzung um Homer, nachzuvollziehen. Trotz dieser Kritik bleibt es das Verdienst Flicks, Keisers «Ulysses» in der vom Komponisten angedachten Gestalt der Aufführungspraxis wieder zugänglich gemacht zu haben (die Vorstellungen und Aufnahmen seit 2000 basieren auf der überlieferten Partitur mit den Kofferarien).
Foto (c) Joel Schweizer
Nicola Raab (Inszenierung) lässt die Geschichte in der Bar Ithaka (Bühnenbild und Kostüme: Madeleine Boyd) spielen. Der Dichter erzählt, wie Homer nach zwanzig Jahren von seinen Irrfahrten zurückkehrt und dann noch einmal aufbricht («Ich bin dann mal eben Zigaretten holen»). Raab erzählt die Geschichte eng an der Fassung Flicks. Um klarzumachen, wer da die ganze Zeit über in der Bar sitzt, gestaltet Raab den Dichter als kauzigen Seebären. Auf das von ihm nach reichlich Klarem auf dem Schifferklavier vorgetragene Seemannslied wäre problemlos zu verzichten.
Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn (SOBS) läuft unter der musikalischen Leitung von Clemens Flick zu grosser Form auf und bringt die Partitur so zu Gehör, dass man meinen könnte, ein Orchester für Alte Musik zu hören. Die ungemein farbenreiche Musik Keisers, die man auf Grund ihrer Modernität nicht nur im Barock verorten würde, wird hochkonzentriert und sensibel gespielt. Die zahlreichen Soli der einzelnen Instrumente gelingen perfekt.
Dora Pavlíková gibt die Circe mit grossem, dramatischem Sopran und verkörpert so die ideale Intrigantin. Clara Meloni ist eine Penelope von nobler Zurückhaltung und grosser Bühnenpräsenz. Roxane Choux gibt die Cephalia mit wunderbar natürlichem, vollen Sopran. Henryk Böhm lässt als Ulysses seine Talente als Liedsänger durchscheinen und harmoniert so perfekt mit «seiner» Penelope. Bassbariton Benjamin Molonfalean gibt einen überzeugenden Urilas. Die versiert geführte Stimme überzeugt mit kerniger Farbe und macht Hoffnung auf mehr. Remy Burnens als Eurilochus bestätigt den sehr positiven Eindruck früherer Auftritte (u.A. «Tancredi»). Klaus Brantzen gibt den Erzähler (Homer). Anna Beatriz Gomes, Eszter Gyüdi, Raísa Ierone und Gülden Vildan Atakan, alle Studierende Schweizer Opernstudio der Hochschule der Künste Bern, geben die vier Amouretten.
Eine Entdeckung!
Aufführungsdaten Biel:
Fr. 12.04.2024, 19:30, So. 14.04.2024, 19:00, Mi. 17.04.2024, 19:30, Di. 30.04.2024, 19:30,
Fr. 17.05.2024, 19:30, So. 26.05.2024, 15:00, Di. 28.05.2024, 19:30.
Aufführungsdaten Solothurn:
Do. 25.04.2024, 19:30, Mi. 22.05.2024, 19:30.
25.03.2024, Jan Krobot/Zürich