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SOLOTHURN/Stadttheater/Schweiz: „I CAPULETI E I MONTECCHI“. Premiere

18.11.2021 | Oper international

Vincenzo Bellini: I Capuleti e I Montecchi • Theater Orchester Biel Solothurn, Stadttheater Solothurn • Premiere: 17.11.2021

(3. Vorstellung • Premiere in Biel am 05.11.2021)

Verona giusta

solp
Foto © Suzanne Schwiertz

Die Inszenierung Yves Lenoirs überzeugt durch ihr pures Handwerk und ihre grosse Musikalität. Lenoir verortet Bellinis Romeo und Julia-Version, ohne zu provozieren oder plakativ zu werden, in der Gegenwart, in kriminellen bis mafiösen Strukturen. Zwei Parteien, die Capuleti und die Montecchi, kämpfen in Verona ohne Rücksicht auf Verluste und mit allen Mitteln um die Macht («Verona giusta»). Lenoir zeigt das Verhalten, das so schon im Mittelalter, in den vom Libretto erwähnten Konflikt der Ghibellinen und Guelfen, existiert hat, erschreckenderweise in der Gegenwart verortet. Es gibt da doch jemanden, der behauptet die Wahrheit gepachtet zu haben und der glaubt, es sei ihm eine Wahl gestohlen worden, die er sich nun mit allen erdenklichen Mitteln «zurückholen» will. Es gelingt Lenoir, wenn er es denn gewollt hat, diese Parallele zu ziehen, ohne auch nur einmal den Namen zu nennen oder die amerikanische Flagge zu zeigen. Unter der kriminellen Atmosphäre leiden alle Protagonisten des Stücks, allen voran Giulietta. Lenoir zeigt sie als rebellische Tochter, die raucht, säuft und sich als Punkerin kleidet. Ihre Rebellion hat aber Grenzen, denn sie ist, wohl ihrem Vater zuliebe, bereit Tebaldo zu heiraten und will auch vorerst nicht mit Romeo fliehen. Als auch sie zu Beginn des zweiten Akts Opfer der allgegenwärtigen Gewalt geworden ist, ändert sie ihre Haltung und lässt sich von Lorenzo das Mittel spritzen, dass sie in einen todesähnlichen Schlaf versetzt. Hier geht die Oper in Richtung Schicksalsdrama, denn Capellio hat die Überwachung Lorenzos angeordnet, und so erfährt Romeo nichts vom todesähnlichen Schlaf. Er hält sie für tot und nimmt dann Gift. Romeo ist mitverantwortlich für das Klima der Gewalt, denn er hat, was der Auslöser war, Capellios Sohn getötet und in der Folge, wenn er behauptet das Schicksal sei Schuld und er bereue die Tat noch immer, wenig für Versöhnung getan. Capellio ist ein gebrochener Mann: er leidet unter dem Tod seines Sohnes und dann, als er ein Paar weisser Flügel (der Engel Giulietta: Vatis Beste) umarmt, noch mehr unter dem Tod seiner Tochter. Verbittert und unter dem Druck seiner Anhänger schwenkt Capellio in letzter Sekunde um, als er nach intensivem Flehen Romeos zur Versöhnung bereit scheint. Lenoir zeichnet Lorenzo als Opportunisten, der alles für die Versöhnung tut, dann aber, als die friedliche Zukunft in Person von Romeo und Giulietta gestorben ist, den Moment nutzt, Capellio richtet und selbst nach der Macht greift. Im kleinen Theater von Solothurn wirkt die Inszenierung im Bühnenbild von Bruno de Lavenère und mit den Kostümen von Jean-Jacques Delmotte wesentlich eindrücklicher als im Nebia in Biel. Nach dem Fallen des Vorhangs herrscht sekundenlang beklemmende Stille bevor der Applaus losbricht.

Unter der Leitung von Franco Trinca spielt das Sinfonie Orchester Biel Solothurn hoch konzentriert und klangschön und bietet den Sängern eine Begleitung, die sensibler nicht sein könnte. Valentin Vassilev hat den Chor TOBS bestens vorbereitet, der seine grossen Aufgabe mit leidenschaftlichem Klang und Spiel bestens gerecht wird.

Daniel Reumiller gibt mit wunderbarem Bariton den Capellio absolut glaubwürdig als gebrochenen Mann. Aoife Gibney als Giulietta zeigt an diesem Abend eine Leistung, die an die ganz grossen ihres Fachs erinnert: die Koloraturen gestochen scharf, die hohen Töne blitzsauber, die Bühnenpräsenz aussergewöhnlich. Nicht minder eindrücklich Josy Santos als Romeo, die in der Gunst des Publikums ganz vorne steht: mustergültige Technik, besonders das Messa di voce, paart sich beklemmender Bühnenpräsenz. Gustavo Quaresma als Tebaldo ist mit schier endlosem Atem für tenoralen Wohlklang zuständig. Jonathan Macker ergänzt das Ensemble als Lorenzo.

Ein grosser Wurf: Purer Genuss!

Weitere Aufführungen:

Aufführungsdaten Biel:

Fr. 26.11.21, 19:30; So. 28.11.21, 17:00; Di. 07.12.21, 19:30; Do. 09.12.21, 19:30.

Aufführungsdaten Solothurn:

Fr. 19.11.21, 19:30; Do. 16.12.21, 19:30; Sa. 18.12.21, 19:00; Do. 30.12.21, 19:30; Mi. 26.01.22, 19:30.

Auswärtige Vorstellungen

Di. 23.11.21, 19:30, Stadttheater Schaffhausen; Sa. 04.12.21, 19:30, Theater La Poste Visp;

Sa. 15.01.22, 19:30, Kultur im Podium Düdingen; Do. 03.02.22, 19:00, Theater Winterthur;

Sa. 05.02.22, 19:00, Theater Winterthur; So. 06.02.22, 14:30, Theater Winterthur.

 

17.11.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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