Leoš Janáček: Šárka, TOBS, Stadttheater Solothurn, Vorstellung: 07.05.2021
(3. Vorstellung • Premiere am 05.05.2020)
Ein Janáček. Und doch kein Janáček
Nur fünf Tage nach der Premiere von Rameaus «Zaïs» stellt Theater Orchester Biel Solothurn mit Janáčeks Opernerstling «Šárka» erneut sein Potential unter Beweis. Intendant Dieter Kaegi inszeniert und Chefdirigent Kaspar Zehnder hat die musikalische Leitung.
Foto: Suzanne Schwiertz
Janáčeks Opernerstling «Šárka» entstand grösstenteils im Jahr 1888, nachdem Janacek im Januar 1887 durch einen Hinweis des Musikkritiker Karel Sazavský auf Zeyers in der Zeitschrift České Thalia veröffentlichte Libretto gestossen war. Janáček nahm mit Zeyer Kontakt auf, um die Rechte zur Vertonung zu bekommen. Zeyer verweigerte ihm diese dem noch unbekannten Janáček, da er das Libretto für Dvorák geschrieben hatte, der letztlich für das «nationale» Libretto im Stile Smetanas aber kein Interesse zeigte. Obwohl keine Aussicht auf eine Aufführung bestand, vertonte Janáček 1888 die ersten beiden Akte. 1916 stiess Janáček durch Zufall auf die Materialien zu «Šárka». Nun hatte sich die Situation geändert: Janáček hatte den Durchbruch geschafft und war eine nationale Bekanntheit, Zeyer war 1901 gestorben und die Rechte an «Šárka» nun bei Tschechischen Akademie der Künste und Wissenschaften. Die Bahn war frei. Vor der Uraufführung am 11. November 1925 unterzog Janáček seinen Erstling nochmals einer Überarbeitung und liess seinen Schüler Osvald Chlubna den dritten Akt instrumentieren.
Foto: Suzanne Schwiertz
Regisseur Dieter Kaegi rahmt Šárkas Geschichte und deren Akte jeweils durch von den Solisten in ihrer Muttersprache vorgetragenen Gedichte.
Jeder Tag fliesst wie die Träume der Nacht,
Wie das Wasser, das von Tal zu Tal fliesst,
Wie eine treulose Gazelle
die die unüberwindbaren Berge zu überqueren versucht. Sag mir…
Was ist das Vergnügen des Frühlings… ohne dich?
Blumen, die sich öffnen, Vögel, die fliegen?
Und wäre das ganze Universum morgen ein Paradies,
Es würde meine das meine Seele nicht beruhigen, ohne dich. Sag mir…
Ich habe dir die Treue geschworen,
Hoffte, dass das Schicksal uns nie trennen möge.
Ich frage mich …Wenn Müshfig für ein Augenblick ein Vogel wäre
Würde er von dir wegfliegen? Sag mir…
Mikayıl Müşfiq (1908-1939)
Přemysl trauert in der Gruft um seine Gattin Libuše. Nach ihrem Tod ist zwischen seine Getreuen und den Amazonen Vlastas unter Führung von Šárka Krieg ausgebrochen. Der junge Krieger Ctirad kommt in die Gruft, in der die Waffen seiner Ahnen verborgen sind, mit denen er den Krieg beenden will. In der Gruft kommt es zur Konfrontation mit Šárka, die sich stante pede in ihn verliebt, und ihren Kriegerinnen.
Ein König lebte im Arabierlande,
Mit Namen Rostewan, dem Gott, der Herr
Noch reiches Glück verlieh’n zum hohen Stande.
Leutselig, von erhabnem Sinn war er,
Mildtätig auch, gerecht und klug im Rate,
Herr einer ungeheuren Kriegerschar,
Ein Feldherr, der nicht seines Gleichen hatte
Und auch als Redner anzuhören war.
Ein Kind war seiner Ehe nur entsprossen,
Nur eine Tochter, die ein Licht der Welt,
Von solchem Schönheitsglanze war umflossen,
Dass sie dem Sonnenkreis schien beigesellt.
Wer sie nur sah, verlor bald alle Sinne,
Sie nahm die Seele ihm, Herz und Verstand.
Zu singen ihrer Schönheit Lob beginne
Ein Weiser nur, der zehnfach sprachgewandt!
Ihr Name – nötig ist es ihn zu kennen –
War Tinastin. Als sie im Alter stand,
Das Alle Menschen Jugendfrühling nennen,
Was sie so schön, dass man nichts Schönes fand.
Der König sammelt um sich die Wesire
Mit hehrer Würde, stattlich sitzt er da
Und damit jeder, was er sagt, erführe,
Ruft er an seine Seite sie ganz na’.
Shota Rustaweli (1172-1216)
Šárka schwankt zwischen Liebe und Hass. Schliesslich ist der Wille zur Rache stärker und so stellt sie Ctirad eine Falle, die es ihren Kriegerinnen ermöglicht ihn umzubringen.
Schenken wir die Erde unseren Kindern,
Wenigstens für einen Tag,
Geben wir sie ihnen, damit sie mit ihr spielen
Wie mit einem bunten Luftballon,
Damit sie spielen und singen
Unter den Sternen.
Schenken wir die Erde unseren Kindern,
Wie einen riesengrossen Apfel,
Wie ein rundes, frisch gebackenes Brot,
Damit sie wenigstens einen Tag lang
genügend zu essen haben.
Schenken wir die Erde unseren Kindern,
Damit die Welt wenigstens einen Tag lang Freundschaft lernt.
Die Kinder empfangen die Erde aus unseren Händen
Und sie pflanzen unsterbliche Bäume.
Nazım Hikmet (1902-1963)
Als Ctirad ermordet ist beginnt die Liebe zu überwiegen und so stürzt sich Šárka, als Ctirads Leichnam auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird, ins Feuer, um mit dem Geliebten vereint zu sein.
So warf ich dich denn in den Turm und sprach ein Wort zu den Eiben,
draus sprang eine Flamme, die maß dir ein Kleid an, dein Brautkleid:
Hell ist die Nacht,
hell ist die Nacht, die uns Herzen erfand
hell ist die Nacht!
Sie leuchtet weit übers Meer,
sie weckt die Monde im Sund und hebt sie auf gischtende Tische,
sie wäscht sie mir rein von der Zeit:
Totes Silber, leb auf, sei Schüssel und Napf wie die Muschel!
Der Tisch wogt stundauf und stundab,
der Wind füllt die Becher,
das Meer wälzt die Speise heran:
das schweifende Aug, das gewitternde Ohr,
den Fisch und die Schlange –
Der Tisch wogt nachtaus und nachtein,
und über mir fluten die Fahnen der Völker,
und neben mir rudern die Menschen die Särge an Land,
und unter mir himmelts und sternts wie daheim um Johanni!
Und ich blick hinüber zu dir,
Feuerumsonnte:
Denk an die Zeit, da die Nacht mit uns auf den Berg stieg,
denk an die Zeit,
denk, daß ich war, was ich bin:
ein Meister der Kerker und Türme,
ein Hauch in den Eiben, ein Zecher im Meer,
ein Wort, zu dem du herabbrennst.
Paul Celan (1920-1970)
Dieter Kaegi arbeitet in seiner Inszenierung mit einfachsten Mitteln und konzentriert sich auf die Emotionen der Protagonisten. So gelingt ihm ein kurze (75 Minuten), aber höchst intensiver Abend. Francis O’Connor (Bühnenbild und Kostüme) hat dazu als Gruft ein Gitter mit Kranz auf die Bühne auf die Bühne gestellt. Öffnet Ctirad die Gruft, so fällt durch einen Spalt in der Decke Licht herein. Die illustrierenden Video-Einblendungen stammen von Fintan O’Connor.
Foto: Suzanne Schwiertz
Die Musik kommt auf Grund der Entstehungsgeschichte ungewohnt daher, klingt für die Ohren der Gegenwart manchmal nach Janáček, mehrheitlich aber nicht. Kaspar Zehnder und dem Sinfonie Orchester Biel Solothurn gelingt es die spätromantisch-klanggewaltige Musik ohne die Solisten zuzudecken intensiv umzusetzen. Der Chor von Theater Orchester Biel Solothurn (Leitung: Valentin Vassilev) wird coronabedingt eingespielt.
Serenad Uyar hat als Šárka einen ganz grossen Abend und kann mit Dramatik und Bühnenpräsenz punkten. Irakli Murjikneli als Ctirad steht ihr in Sachen Wohlklang in Nichts nach. Javid Samadov gibt mit wunderbar kernigem Bariton den Přemysl Konstantin Nazlamov als Lumir und Tereza Kotlanova, Leonora Gaitanou, Konstantin Nazlamov, Valentin Vassilev, Giovanni Baraglia und Yurii Strakhov als Bühnenchor ergänzen das formidable Ensemble.
Ein Erlebnis!
Weitere Aufführungen in Biel: 13.05.21 um 15:00, 13.05.21 um 19:00, 15.05.21 um 19:00, 16.05.21 um 15:00, 16.05.21 um 19:00.
09.05.2021, Jan Krobot/Zürich