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SOLOTHURN/ Stadttheater: CASANOVA. Oper von Paul Burkhardt

09.12.2021 | Oper international

Paul Burkhard: Casanova in der Schweiz • Theater Orchester Biel Solothurn, Stadttheater Solothurn • Vorstellung: 08.12.2021

(16. Vorstellung • Premiere in Biel am 17.09.2021)

 Uraufführung zu Kriegszeiten live im Landessender Beromünster übertragen

Die Produktion von «Casanova in der Schweiz» ist der Beitrag von Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) zum Jubiläum «2000 Jahre Stadt Solothurn». Burkhardts Oper ist bei weitem nicht die einzige Bearbeitung von Casanovas Leben für die Opernbühne: 1841 wurde in Leipzig Lortzings «Casanova» uraufgeführt, 1913 in Darmstadt Paul Linckes «Casanova», 1930 in Berlin Benatzkys «Im weissen Rössl» und 2009 in Zagreb «Casanova u Istri» («Casanova in Istrien») von Alfi Kabiljo. Auch drei Schweizer Komponisten brachten Casanova auf die Bühne: 1924 schrieb Volkmar Andrae «Casanovas Abenteuer», 1938 Richard Flury «Casanova e l’Albertolli» und 2005 Daniel Schnyder «Casanova».

Wie ist nun Burkhardts am 20. Februar 1943 im Stadttheater Zürich uraufgeführte Oper in der Gruppe dieser «Casanova-Vertonungen» einzuordnen? Hat das Stück mehr zu bieten als den Lokalbezug, der es zum idealen Beitrag zum Stadtjubiläum macht?

Casanova (Simon Schnorr) umgart überraschend Madame Latente (Judith Lüpold).
Foto © Suzanne Schwiertz

Paul Linckes «Casanova», Ralph Benatzkys «Im weissen Rössl», Alfi Kabiljos «Casanova in Istrien» und Daniel Schnyders «Casanova» zählen zum Bereich Operette/Musical. Den verbleibenden Kompositionen, Lortzings «Casanova», Andraes «Casanovas Abenteuer», Flury «Casanova e l’Albertolli» und Burkhardts «Casanova in der Schweiz» ist gemeinsam, dass sie kaum je aufgeführt wurden und werden. Lortzings «Casanova» wurde im Vormärz der Spott über Adel, Polizei und Bürgertum zum Verhängnis, der Aufführungen des Werks praktisch verhinderte und es immer mehr in den Schatten anderer Werke des Komponisten manövrierte. Den Vertonungen von Andrae, Flury und Burkhard ist gemeinsam, dass sich ihre Schöpfer in Bereichen bewegten, die das Publikum nicht mit ihnen in Verbindung brachte. Andrae und Flury wirkten in erster Linie als Dirigenten und Burkhardt galt als der Komponist der Unterhaltungsmusik. Vier Jahre vor dem Casanova wurde Burkhardts «Der schwarze Hecht» mit dem Schlager «O mein Papa» uraufgeführt.

Vom Ruf als Komponist der leichten Unterhaltung wollte Burkhardt wegkommen: «Ein schwerer Weg steht mir bevor, ich muss zu einem Stil kommen, der grosse Volkstümlichkeit mit bester Kunstarbeit vereint.» Basis dafür war das Libretto des späteren zweifachen Oscar-Preisträgers (1946 «Bestes Originaldrehbuch» und 1948 «Beste Originalgeschichte») Richard Schweizer. Schweizer war zur Zeit der Entstehung des Casanova Vizedirektor und Verwaltungsrat des Zürcher Schauspielhauses und Drehbuchautor fast aller Schlüsselfilme der geistigen Landesverteidigung und des Praesens-Humanismus während des Zweiten Weltkriegs und dann in der Nachkriegszeit. Eine Oper ist zu wenig, um, gerade wenn man sich von seinem vorherigen Schaffen (neutral gesprochen) distanzieren will, von einem Stil sprechen zu können, aber das Ziel «bester Kunstarbeit» hat Burkhardt auf jeden Fall erreicht. Burkhardt liess sich vom späten Puccini und ganz besonders Strauss Rosenkavalier inspirieren. Die Musik des Casanova erinnert, gerade wenn es darum geht Stimmungen zu schaffen, ganz stark an die Musik der Filme jener Zeit. Seine Wurzeln kann aber auch Burkhard nicht ganz verleugnen.

Die Handlung des Konversationsstücks ist relativ einfach und sicher auch von den Zeitumständen der Entstehung (Zweiter Weltkrieg): Nach seiner Flucht in die Schweiz, wird Casanova von „drei Matronen und einer Schönheit“ davon abgehalten ins Kloster Einsiedeln einzutreten. Der Schönheit folgt Casanova nach Solothurn und nachdem er dort wieder in Verwicklungen geraten ist, flieht er weiter nach Genf, wo er eine weitere Eroberung zurücklassen muss. „Der ungewöhnlich starke Theaterbesuch in diesen Kriegszeiten erscheint wie eine Flucht der Menschen aus den ungeheuerlichen Gegenwartsereignissen in eine höhere Welt, in eine Welt des Scheins, aus der das edlere Empfinden noch nicht verbannt ist, in welcher der Mensch und das Menschenlehen noch etwas gelten.“ berichtet die Rückschau des Jahrbuchs 1943/1944 vom Stadttheater Zürich auf die Spielzeit 1942/1943. So passen das Stück und die Geschichte der besprochenen Produktion auch gut in die Gegenwart: Nach einer «Presse-Premiere» am 30. Oktober 2020 und dem darauffolgenden Lockdown dauerte es ein gutes Jahr bis zur regulären Premiere.

Paul Burkhardts «Casanova» hat wesentlich mehr zu bieten als nur den erwähnten Lokalbezug. Die Oper, deren Uraufführung (zu Kriegszeiten!) live im Landessender Beromünster übertragen wurde, zeigt den Komponisten und den Librettisten auf der Höhe ihres Schaffens mit einem durch und durch eigenständigen Werk. Besonders fasziniert die vielfältige Musik mit Anklängen an Jazz und späte Operette, die mal an die Filmmusik der Uraufführungszeit, mal an Richard Strauss «Rosenkavalier» erinnert. Obwohl von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen, kam es nur zu wenige Folgeaufführungen von „Casanova in der Schweiz“ am Stadttheater Zürich. Nach einem Beschwerdebrief der beiden Autoren kam es zu einer Aussprache mit Karl Schmid-Bloss, Direktor des Stadttheater Zürichs, die dem Werk aber nicht mehr zum Erfolg verhelfen konnte. Lag der Grund der Unstimmigkeiten in den politischen Ansichten von Schweizer (geistige Landesverteidigung) und Schmid-Bloss (angeblichen Sympathie für das Dritte Reich)? 1949 gab es noch eine Produktion des Casanova am Landestheater Salzburg.

Georg Rootering hat in seiner Inszenierung die Handlung nicht abstrahiert und lässt sie in einem Einheitsbühnenbild (Vazul Matusz) mit Möbeln aus Casanovas Zeit spielen. Leicht zu verschiebende Wände ermöglichen einen raschen Szenenwechsel. Die ausgesprochen ästhetischen Kostüme von Rudolf Jost finden ihre Inspiration ebenfalls in Casanovas Zeit. Claude Rast setzt die rundum überzeugende, sensible Arbeit ins richtige Licht.

Was die zu besprechende Vorstellung angeht, kann wiederholt werden, was bereits berichtet wurde: Simon Schnorr gibt den Titelheld mit wendigem, blitzsauber geführtem Bariton und begeistert mit grosser Bühnenpräsenz und bester Textverständlichkeit. Konstantin Nazlamov ist sein Diener Leduc und geht in seiner an den Leporello erinnernden Rolle – auch et hat eine «Register-Szene» – ganz und gar auf. Rebekka Maeder ist in grosser Form und singt eine wunderbare Madame de ***. Bariton Wolfgang Latzel ist ihr prächtig klingender Gatte Monsieur de ***. Judith Lüpold als Madame Latente, Lysa Menu als Binz, Julia Andersson als Glutz und Céline Steudler als Die Dubois sind das Damen-Quartett, das den aus Stuttgart geflohenen Casanova gerade noch vom Eintritt ins Kloster Maria Einsiedeln abhält. Die vier Damen, immer bestens verständlich, stacheln sich im Spiel gegenseitig an und tragen so, neben Casanova, den Abend. Bassbariton Horst Lamnek gibt einen prächtigen Fürstabt und den französischen Botschafter Chavigny. Martin Mairinger ist ein weitgehend höhensicherer Haushofmeister Lebel, dessen Rolle in der Ballszene (Casanovas Ball für die Solothurner Gesellschaft; 3. Bild) doch deutlich an den Triquet aus «Eugen Onegin» erinnert. Zwei Studierende des Schweizer Opernstudios an der Hochschule der Künste in Bern, Nuno Santos als Ein Kellner/Lakai und Tereza Kotlanava als Eine Servante/Wirtin, ergänzen das formidable Ensemble in beeindruckender Art und Weise. Shirin Patwa, Tiziana Lenzi und Jella Feller von der Statisterie TOBS spielen die drei Damen, die Casanova über den Verlust der Dubois hinwegtrösten.

Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter musikalischer Leitung von Riccardo Fiscato spielt hoch motiviert und konzentriert und bringt Burkhards Musik mit grosser Sensibilität zum Klingen. Die an den Film erinnernden Kommentare der Musik zur Handlung gelingen punktgenau, die tänzerischen Einschübe mit französischer Leichtigkeit, die Streicher können süss wie in der Operette klingen, die dunklen Bläser ganz zu Beginn des Werks schaffen sofort die passende Atmosphäre. Ist das Orchester so in Form, ist es das reine Vergnügen!

HINGEHEN UND GENIESSEN: EIN JUWEL IST AUFERSTANDEN!

Letzte Aufführungen in Biel: 11.01.2022 um 19.30 und 16.01.2022 um 17.00.

12.12.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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