Liebe Online-Merker-Redaktion,
Sie haben den Artikel in der Presse zum Buh-Orkan bei der Premiere von Don Carlo an der Wiener Staatsoper kommentiert. Erlauben Sie mir dazu folgende Gedanken:
Natürlich ist es so eine Sache mit den Buh-Rufen und selbstverständlich ist es für keinen Künstler schön so etwas zu erleben. Mit Ausnahme vielleicht solcher Künstler wie Herrn Serebrennikov, welcher den Buh-Orkan ja scheinbar genossen hat.
Doch vergessen wir hier drei wichtige Punkte nicht:
- Der Bühnenfaktor
Schauspieler und somit auch Opernsänger sind sogenannte „Rampensäue“. Sie brauchen und wollen die Öffentlichkeit, die Bühne mitsamt dem Publikum (nicht ohne dieses wie während der Lockdowns) sind für sie die sprichwörtlichen „Bretter, die die Welt bedeuten“. Zu diesem Exponieren in der Öffentlichkeit gehört auch, mit Widerspruch leben zu müssen. Es ist als schrieben wir eine böse Kritik und wären ganz furchtbar pikiert, wenn darauf eine Gegenrede folgt. Nein – das ist „einzupreisen“, wer den Ruhm will, der muss auch mit der Ablehnung leben können. Im Idealfall spornt sie zu besseren, ja manchmal sogar Höchstleistungen an (wie zuletzt bei Philippe Jordan, dessen musikalische Gestaltung des Don Carlo nach der doch eher „durchwachsenen“ musikalischen Qualität der Premiere signifikant besser wurde). - Der Premierenfaktor
Natürlich muss ich mir etwas nicht anschauen, das mir nicht gefällt. Nur wie soll ich dies bei einer Premiere wissen? Insbesondere wenn die Produktion mit historischen Kostümen beworben wird und sich diese dann doch als sündhaft teure Verhohnepipelung herausstellen?
Und das gilt für die gesamte erste Serie, deren Karten ja schon weit im Voraus bestellt, bezahlt und wenn überhaupt nur noch im Kommissionsverkauf wieder loszubekommen sind. Und dann sitzt man dann doch dort und muss etwas sehen, was unter Umständen weit mehr als 200€ pro Person gekostet hat und schlicht als Hohn zu bezeichnen ist. Da ist ein Buh mehr als gerechtfertigt. Insbesondere wenn davon auszugehen ist, daß Serebrennikov sehr wohl wusste, wie das Wiener Publikum auf eine solche Inszenierung reagieren würde und lustvoll davon Gebrauch gemacht hat.
3. Der Roščić -Faktor
Don Carlo reiht sich in eine mittlerweile lange Reihe unrühmlicher Neuproduktionen, deren Akzeptanz beim Publikum gelinde gesagt eher gering war und ist. Dies begann mit Simon Stones Traviata, Serebrennikovs Parsifal und Barrie Koskys Don Giovanni, über Cyril Testes Salome, Calixto Bieitos Tristan, und Von der Liebe Tod, bis hin zu Tatjana Gürbacas Trittico und Claus Guths Turandot. Und nun eben Don Carlo, eine der wichtigsten Opern im Schaffen Giuseppe Verdis, eine der Grand Operas schlechthin und ein Heiligtum für jeden Opernliebhaber. Nicht nur, daß die Qualität dieser Produktionen immer schlechter wurde (letztlich sind sie in ihrer Darstellung auch fast alle vollkommen austauschbar und belanglos), parallel dazu wurde die Stimmung des Wiener Stammpublikums nachvollziehbarer Weise immer gereizter. Selbst umfangreich zurückhaltende Charaktere sind nach diesem Don Carlo nicht mehr willens, an sich zu halten und kommentierten diese Neuproduktion mit einem deftigen Fäkalausdruck. Denn wir alle wissen: Da kommt noch mehr!
Vergessen wir auch die Kosten dieses absurden Regietheaters nicht: Wieviel tausende Euro hat die Rekonstruktion der Don Carlo Kostüme denn eigentlich gekostet? Und dies, um sie letztlich verächtlich zu machen, also gar nicht in ihrem eigentlichen Sinne zu nutzen? Ein teurer, man will schon sagen: dekadenter Spaß. Es ist schon ein Hohn, wenn man an der Staatsoper kommuniziert, daß nun auch die Bundestheater-Tickets nun im Preis erhöht werden müssten, da die allgemeine Teuerung zu buche schlage (welche im August übrigens nur noch bei 2,4% und im September zu Saisonbeginn bei 1,8% lag), das Haus ohnehin absurd hohe Preise auch auf Plätzen mit Sichteinschränkung verlangt, gleichzeitig aber das Geld für solche Produktionen und natürlich eine Inflationsangleichung des Direktorengehalts (und vermutlich auch für die neu geschaffenen Stellen des Castingdirektors, als auch des Chefdramaturgen, etc) mit vollen Händen ausgegeben, ja zum Fenster herausgeschmissen wird.
Offensichtlich vergisst Bogdan Roščić, dass er hier mit dem Steuergeld exakt jener Menschen arbeitet, die nun bei Don Carlo zum wiederholten, aber deutlichsten Maße ihren Unmut kundgetan haben. Egal wer zahlt und wie viel: Das Publikum ist der Chef und wenn es diesem nicht gefällt darf, ja muss sogar gebuht werden, um diesem Regietheater-Irrsinn etwas entgegenzusetzen. Deutlich mehr Demut und eine Änderung der Hauspolitik wären hier also angebracht. Man male sich aus, was bei einem privatwirtschaftlichen Unternehmen dieser Größenordnung geschähe, welches ein bereinigtes Defizit von 74 Millionen € vorzuweisen hat, der Bestand eines solchen wäre von kurzer Dauer…
Fazit
Wohin also soll das nun alles noch führen? Richtig halten Sie fest, daß zumindest bis zur ersten Pause Touristen das Haus auch in Zukunft weiter bevölkern werden (wenngleich die Besucherzahlen in der Saison 22/ 23 mit lediglich knapp 570.000 die zweitniedrigsten seit 2013 waren). Doch kann dies nicht als Legitimation für die Verwendung von 78 Mio € an Steuergeldern (Basisabgeltung Saison 22/ 23) dienen. Denn in Bezug auf die Staatsoper bringt der Tourist unter dem Strich keinen Gewinn, er lindert nur das Ausmaß der zugeschossenen Steuergelder.
In einem unlängst geführten Gespräch im Nachgang zur Don Carlo Premiere kam dann folgende Idee auf: Zu Recht wurde da angemerkt, daß die Inszenierung zwar das Allerletzte, die musikalische Qualität sowohl in Dirigat, Klang des Staatsopernorchester und Gesang mittlerweile durchaus gut sei, nachdem sich die Serie nun nach einigen Abenden eingespielt habe. Warum dann also nicht einfach konzertant spielen? Denn da sei das Ergebnis wie beim diesjährigen Capriccio in Salzburg ganz wunderbar und man brauche sich nicht mit Auswüchsen des Regietheaters herumärgern. Gute Idee: Dann bräuchten wir kein Opernhaus mehr, sondern ein Konzerthaus. Und die gibt es ja bereits in Wien. Schließen wir doch die Wiener Staatsoper und spielen Oper nur noch konzertant! Das spart uns Millionen an Steuergeldern, lässt uns dennoch am musikalischen Genuss teilhaben und nach dem Abend wesentlich ruhiger schlafen. Auch Freunde des Regietheaters dürften so frohlocken: Kann es denn mehr Dekonstruktion eines Werkes geben als das Nichtvorhandensein einer Produktion? Na eben…
Natürlich ist dies kein ernstzunehmender, sondern ein sarkastischer Vorschlag. Oper ist ein Gesamtkunstwerk, wohl die Krone aller Künste, die eben dezidiert auch das visuelle Element durch die Gestaltung der Bühne mit einschließt. Aber vielleicht ist die Lage zwar ernst, aber nicht hoffnungslos: Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer ist ja bereits auf den Posten zurückgekehrt, von dem aus sie ihr politisches Engagement angetreten hat. Dort muss Sie sich keiner Kritik stellen. Wer weiß wer nun folgt, bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt, doch wie heißt es in Schillers Don Carlos doch so richtig: „Die Toten stehen nicht mehr auf“. Wobei das nur bedingt stimmt, denn durch ihre Musik leben Komponisten weiter, so auch Giuseppe Verdi, der am heutigen 9. Oktober (oder auch am 10., genau weiß man es nicht) 1813 geboren wurde. Na dann doch lieber: „Viva V E R D I !“.
Mit den besten Wünschen,
EAL