SOFIA/Nationaloper: „SIEGFRIED“ – Der Ring des Nibelungen – am 18.6.2024
Siegfried in Sofia – Empfindsamer Held
Mime/ Siegfried im 1. Akt. Copyright: Svetoslav Nikolov-Chapi
Die Fortsetzung der gefeierten „Walküre“ am 18. Juni mit „Siegfried“ bot eine packende und dynamische Aufführung, die das Publikum abermals begeisterte. Die von Richard Wagner geschaffene Welt der „Ring“-Tetralogie wurde in dieser Inszenierung lebendig, voll von fesselnden Momenten, beeindruckenden Darbietungen und einer einzigartigen Regie. Plamen Kartaloff und sein Team schafften es erneut, den Zauber und die Komplexität dieses epischen Werkes auf die Bühne zu bringen, indem sie eine visuell und musikalisch packende Aufführung präsentierten, die den Geist von Wagners Meisterwerk einfing.
Plamen Kartaloff bewies erneut seine Fähigkeit, Wagners komplexe Werke lebendig und zugänglich zu inszenieren. Seine besondere Aufmerksamkeit für die emotionalen Feinheiten der Charaktere und die visuelle Ästhetik der Produktion trugen wesentlich zum Erfolg der Aufführung bei. Kartaloffs Inszenierung zeigte kreative Ideen und ein tiefes Verständnis für die dramatische Struktur des Werks.
Der erste Aufzug war ein kraftvoller Auftakt, der die komplexe Beziehung zwischen Siegfried und Mime auf eindrucksvolle Weise inszenierte. Mimes Darbietung zeigte sich in expressiven Bewegungen und einer dynamischen Bühnenpräsenz. Die szenische Umsetzung, in der der Wanderer mit einer Weltkugel die Bühne betritt, verleiht der Wissenswette eine spannende und kurzweilige Dynamik. Kartaloff zeigte hier sein Talent für detailreiche Regieführung, indem er die emotionale Tiefe der Charaktere herausarbeitete und die Bühne zu einem lebendigen Schauplatz des Dramas machte.
Siegfried/ Waldvogel im 2.Akt. Copyright: Svetoslav Nikolov-Chapi
Im zweiten Aufzug dominierte die Natur die Szene, was in einer stimmungsvollen Inszenierung mündete. Fafners Transformation in einen Drachen war ein Höhepunkt, der durch intensive Todesseufzer und eine beeindruckende stimmliche Leistung von Petar Buchkov hervorgehoben wurde. Die Darstellung des Waldvogels, der auf einem Trapez schwebend die Bühne betrat, war ein visueller und musikalischer Genuss. Maria Pavlova beeindruckte nicht nur mit ihrer lyrischen Stimme, sondern auch mit ihrer akrobatischen Darbietung, die dem Waldvogel eine nahezu magische Qualität verlieh.
Der dritte Aufzug begann mit einer intensiven Szene mit Erda, die im tiefblauen Licht erschien und dem Geschehen eine mystische Atmosphäre verlieh. Vesela Yaneva brachte mit ihrer kraftvollen und fesselnden Stimme die Weisheit und das Geheimnis dieser Figur eindrucksvoll zum Ausdruck. Die Feuerprobe, durch die Siegfried schreitet, um zu Brünnhilde zu gelangen, wurde zu einem emotionalen Höhepunkt, als Kostadin Andreev die Angst und Unsicherheit seines Charakters herausarbeitete. Selten wurde Siegfrieds Angst vor einer Frau derart intensiv erfahrbar. Kostadin Andreev spielte das hervorragend und wartete gefühlt eine Ewigkeit, um Bünnhilde zu küssen. Radostina Nikolaeva als Brünnhilde glänzte mit einem Sopran, der sowohl die Stärke als auch die Verletzlichkeit ihrer Figur widerspiegelte.
Siegfried/3. Akt. Copyright: Svetoslav Nikolov-Chapi
Kostadin Andreev als Siegfried beeindruckte das Publikum mit seiner mitreißenden Darbietung. Zunächst ist sein vokaler Zugang gewöhnungsbedürftig. Andreev ist sparsam in der Verwendung von Konsonanten und in den lauten Passagen tendierte sein Vortrag eher zu einem Rufen auf Tonhöhe bei zumeist wenig gestützten Tönen. Abgesehen davon gelang ihm ein Rollenporträt, das in dieser Form ziemlich besonders sein dürfte. Seine völlige Hingabe an den Rollencharakter ist omnipräsent. Jede Aussage hat bei ihm eine Bedeutung und wird als Gefühlsäußerung hinterfragt. Sein Gesang war von einer rohen, ungebändigten Energie durchdrungen, die perfekt zu der impulsiven Natur des jungen Helden passte. Obwohl sein Deutsch noch großen Raum zur Verbesserung bietet, verlieh er seiner Rolle eine authentische Emotionalität, die das Publikum überzeugte. Seine stürmische Interpretation der Rolle war voller kraftvoller Ausbrüche und vieler zarter Nuancen, die seine Vielseitigkeit als Sänger unter Beweis stellten. Es waren gerade die leisen Momente, die bei Andreev am intensivsten wirkten und von denen er glücklicherweise vielfach Gebrauch machte. Ein Siegfried, der aus tiefer Empfindung, so oft leise singt, ist eine Rarität. Ein großer Schmiss im „Waldweben“ strapazierte seine Konzentration, aber durch den wachsamen Dirigenten fand er seine Orientierung wieder. Und dann verblüffte Andreev mit einem ganz starken dritten Aufzug, den er klar dominierte. Andreev mobilisierte starke Kräfte für besondere Momente. So gelang ihm gerade die Angststelle vieler Siegfried-Tenöre bestechend gut, gemeint ist das hohe B auf „Jetzt lock ich ein Liebesgesell“, mit gewaltigem Applomb. Mit einer endlos langen Fermate gelang diese effektvolle Note mustergültig und umwerfend klangstark. Andreev blieb unermüdlich bis zum Schluss, sodass sich seine Partnerin deutlich ins Zeug legen musste, um mitzuhalten. Groß war seine Erleichterung und Freude über den verdienten Anklang beim Publikum.
Krassimir Dinev als Mime überzeugte mit einer subtilen Mischung aus List und Verzweiflung, die die Komplexität seiner Figur unterstrich. Seine darstellerische Vielseitigkeit und seine stimmliche Präsenz machten ihn zu einem würdigen Gegenspieler. Dinevs Fähigkeit, sowohl die komödiantischen als auch die tragischen Facetten Mimes auszuloten, brachte eine beeindruckende Tiefe in seine Rolle und machte seine Darbietung zu einem der Höhepunkte des Abends. Dinevs Fähigkeiten der Darstellung gelangten nicht selten in die Nähe der Körperakrobatik, so virtuos und wendig war sein Spiel. Er hat diese komplexe Rolle staunenswert tief verinnerlicht und kam damit kein einziges Mal in Verlegenheit. Seine Entwicklung als Mime war spannend und jederzeit kurzweilig.
Der Ungar Krisztián Cser als Wanderer sorgte für einen imposanten Auftritt. Was für eine herrliche Stimme, gepaart mit einer vorbildlichen Textverständlichkeit! Er brachte mit seiner kraftvollen Bass-Baritonstimme und seiner erhabenen Bühnenpräsenz eine Aura der Autorität und Weisheit in die Aufführung. Seine Interpretation zeigte innere Ruhe und ein tiefes Verständnis für die philosophischen Aspekte der Rolle. Csers Gesang, durchdrungen von nobler Erhabenheit, verlieh dem Wanderer eine unverwechselbare Gravitas, sodass seine Szenen eine spürbare Würde ausstrahlten.
Plamen Dimitrov beeindruckte erneut als Alberich. Seine düstere und intensive Darstellung unterstrich die bedrohliche Präsenz seines Charakters und fügte der Aufführung eine weitere Ebene der Dramatik hinzu. Dimitrovs kraftvolle Stimme und seine große schauspielerische Präsenz machten Alberich zu einer ebenso gefährlichen wie faszinierenden Figur.
Petar Buchkov als Drache Fafner beeindruckte mit seinem tiefen, sonoren Bass, der die Bedrohlichkeit und Verletzlichkeit seines Charakters eindrucksvoll zum Ausdruck brachte. Sein Gesang war düster und eindringlich, was Fafners monströse Natur unterstrich und die Szene mit dramatischer Intensität erfüllte. Seine Todesseufer war intensiv und ungewöhnlich.
Maria Pavlova als Waldvogel entzückte das Publikum mit ihrem klaren, lyrischen Sopran und ihren anmutigen Flügelschlägen. Ihre Stimme war hell und rein, was den zauberhaften Charakter des Waldvogels gut einfing. Pavlovas Interpretation war voller Grazie und Leichtigkeit, was ihre Auftritte zu magischen Momenten der Aufführung machte. Ihr Gesang war von einer zauberhaften Schönheit durchdrungen, die das Publikum verzauberte und die poetische Atmosphäre der Szene unterstrich. Ihr darstellerischer Mut ist sehr zu bewundern. Es ist immens schwer, hoch über der Bühne, ohne Bodenkontakt zu singen und dabei die Arme hoch- und niederzuschlagen. Und als wäre das nicht schon genug, so gab es von Pavlova noch den ein oder anderen Salto! Chapeau!
Vesela Yaneva als Erda faszinierte das Publikum mit ihrer eindringlichen Präsenz. Ihr Gesang als Erda hatte die notwendige mysteriöse und fesselnde Ausstrahlung. Yanevas Interpretation zeichnete sich durch eine subtile Verschmelzung von Weisheit und Geheimnis aus, die die komplexe Natur ihrer Figur auf eindrucksvolle Weise einfing. Ihre Stimme verlieh Erda eine Aura der Macht und Autorität. Yaneva besitzt eine ungewöhnlich sonore Alt-Stimme, die mit dem großen Tonumfang keinerlei Probleme hat. Hinzu kommt ihr ideales Stimmtimbre, was perfekt mit der Partie korrespondierte.
Brünnhilde/ Siegfried im 3. Akt. Copyright: Svetoslav Nikolov-Chapi
Radostina Nikolaeva als Brünnhilde erstrahlte als eindrücklicher Moment der Aufführung. Ihr Gesang war von einer strahlenden Schönheit, mit leichten Abstrichen bei der Intonation. Nikolaevas Interpretation war leidenschaftlich, was Brünnhildes emotionale Reise auf beeindruckende Weise zum Ausdruck brachte. Ihr lyrisch-dramatischer Sopran bestach durch eine beeindruckende Bandbreite und Ausdruckskraft, die die vielschichtigen Facetten von Brünnhildes Charakter einfing. Nikolaeva verlieh der Figur zugleich Stärke und Entschlossenheit, die ihre Transformation von einer Kriegerin zu einer liebenden Frau glaubhaft und ergreifend machte. Ihr Gesang zeugte von emotionaler Tiefe und Nuancierung. Nikolaevas Darbietung machte Brünnhildes Entwicklung unmittelbar erfahrbar. Als wäre das nicht genug, sang sie völlig mühelos die geforderten hohen Töne inklusive lange gehaltenem Schluss-C, als wäre es eine Leichtigkeit. Erfreulich gut war auch ihre Textverständlichkeit.
Das Orchester unter der Leitung von Evan-Alexis Christ spielte eine zentrale Rolle in der Aufführung. Mit kluger Tempogestaltung und fein ausgearbeiteter Dynamik führte Christ das Orchester zu einem kraftvollen und präzisen Vortrag, der die dramatische Spannung des Abends bestens untermalte. Seine klare und präzise Leitung ermöglichte es den Sängern, ihre besten Leistungen abzurufen, und gewährleistete eine perfekte Balance zwischen Orchester und Bühne. Christ zeigte sich einmal mehr als Vollblut-Musiker, der instinktsicher wusste, wie er Höhepunkte gestaltete und in den Lyrismen das Orchester zurücknahm. Auf dieser Grundlage geriet besonders der erste Aufzug besonders fulminant. Seine klare Zeichengebung gab allen Beteiligten eine klare Orientierung und Sicherheit. Das Orchester war wieder sehr aufmerksam bei der Sache. Besonders hervorzuheben sind die Beiträge der Holzbläser und die kultiviert aufspielenden Streicher, die mit ihrer Klangkultur beeindruckten. Strahlend und ausdauernd, gefielen auch die zahlreichen Beiträge der Hörner. Christ motivierte das Orchester der Nationaloper Sofia zu einer herausragenden Leistung, die das Publikum begeisterte und die musikalische Qualität der Aufführung auf ein hohes Niveau hob.
Große Begeisterung im Opernhaus!
Die Aufführung von „Siegfried“ am 18. Juni war ein weiterer Erfolg für die Nationaloper Sofia. Mit beeindruckenden sängerischen Leistungen, einer meisterhaften Regie, einem großartigen Dirigenten und einem mitreißenden Orchester gelang es, Richard Wagners komplexes Werk in all seiner Tiefe und Schönheit zu präsentieren. Mit Spannung und Vorfreude erwartet das Publikum den krönenden Abschluss von Wagners epischem „Ring“-Zyklus. Nach den bisherigen Triumphen der „Walküre“ und „Siegfried“ sind die Erwartungen hoch. Die „Götterdämmerung“ verspricht, die dramatischen und musikalischen Fäden der vorhergehenden Werke zu einem gewaltigen Finale zu verknüpfen, das sowohl die Götter als auch die Helden in ihrem letzten, alles entscheidenden Kampf zeigt. Es bleibt spannend zu sehen, wie Kartaloff und sein Team die komplexen und oft düsteren Themen der „Götterdämmerung“ inszenieren werden. Die Vorfreude auf die abschließende Aufführung ist groß, und das Publikum kann sich auf ein weiteres musikalisches und dramatisches Highlight freuen, das den „Ring“ auf spektakuläre Weise zum Abschluss bringt.
Dirk Schauß, 19. Juni 2024
Besuchte Vorstellung im Opernhaus Sofia am 18. Juni 2024
Richard Wagner
Siegfried
Evan-Alexis Christ, Leitung