SOFIA: ELEKTRA am 6. April 2022
Immer besser werdendes deutsches Fach in Sofia
Liliya Kehayova. Foto: Setoslav Nikolov
Im Rahmen des Wagner/Strauss-Festivals 2022 brachte die Sofia Oper und Ballett auch wieder die erfolgreiche „Elektra“-Produktion in der Inszenierung des Generaldirektors der Sofia Oper, Prof. Plamen Kartaloff, unter der musikalischen Leitung des US-amerikanischen Dirigenten Evan-Alexis Christ heraus. Er hatte 2020 auch die Premiere und damit die bulgarische Erstaufführung einstudiert und dirigiert. Diese wurde im November 2020 an dieser Stelle eingehend besprochen, sodass hier nur noch marginal auf das hervorragende Regiekonzept eingegangen werden soll.
Was an diesem Abend besonders ins „akustische Auge“ fiel war das Dirigat von Evan-Alexis Christ. Er hat das Stück nicht nur schon mehrmals mit dem Orchester der Sofia Oper gespielt und natürlich einstudiert. Man merkte an diesem Abend, dass die überaus engagierten Musiker diese „Elektra“ mit Christ offenbar verinnerlicht haben, so homogen und in bester Strauss’scher Manier dramatisch – und auch wieder kontemplativ in den relevanten Momenten – erklang die aufregende Partitur zum ebenfalls aufregenden Text von Hugo von Hofmannsthal. Nur fünf Reihen hinter Christ sitzend konnte ich die Intensität, die im Verständnis zwischen ihm und den Orchestermusikern offensichtlich besteht und immer wieder mit klaren, auch mimischen Gesten und sicherem Schlag belebt wurde, aus nächster Nähe verfolgen. Hier wurde genau die Einheit zwischen Dirigent und Orchester erreicht, die zu solch wunderbaren und mitreißenden musikalischen Ergebnissen führt wie an diesem Abend mit der „Elektra“ von Richard Stauss. Schon das Agamemnon-Motiv zum Auftakt erklang wie entfesselt und führte in eine musikalische Dynamik ein, die der szenischen Gestaltung durch Kartaloff im rotierenden Bühnenbild von Sven Jonke, der dritten Zusammenarbeit der beiden nach „Yanas neun Brüder“ und „Parsifal“, ideal entgegenkam. So verband sich der musikalische Teil in einer selten so erlebten homogenen Art und Weise mit dem szenischen und führte zum Gesamteindruck einer musiktheatralischen Darbietung aus einem Guss – im wahrsten Sinne des Wortes! Die Kostüme waren bei Leo Kulaš in perfekten Händen, die Lichtregie ebenso bei Andrej Hajdinjak.
Durch Rotation des Einheitsbühnenbildes, welches aber niemals als ein solches wirkt, werden immer wieder neue Optiken und Momentaufnahmen im Sinne einer vom Regisseur beabsichtigten kontinuierlichen Dynamik frei, die durchaus etwas Filmisches haben. Er spricht im Programmheft sogar von einer „galoppierenden Entwicklung“. Das verlangt eine ausgefeilte Personenregie, denn jede noch so kurze Szene, und manche sind bei dieser Konzeption natürlich sehr kurz, verlangt eine ganz spezielle Interpretation. Und das gelingt hier durchweg mit großer theatralischer Intensität.
Liliya Kehayova manifestierte mit der Interpretation der Titelrolle an diesem Abend ihre sicher auch international vollkommen relevante Stellung als Elektra. Mit einer fast als besessen einzustufenden Intensität geht sie durch das Stück, sodass man meinen könnte, der Wunsch nach Rache des Mordes an Agamemnon sei tatsächlich authentisch. Ein besonderer Moment ist in diesem Sinne das schemenhafte Erscheinen ihres Vaters im Verlauf des Auftritts-Monologs. Dabei trägt er die Krone, die später Ägist auf dem Kopf haben wird und mit der sie über dem Grab des Vaters bei den finalen Takten zusammenbrechen wird – sie hat sie ihm zurückgegeben, wenn auch selbst nur mit ihrem Tod!
Mariana Tsvetkova (Klytämnestra). Foto: Setoslav Nikolov
Tsvetana Bandalovska hat sich seit der Premiere in der Rolle der Chrysothemis bedeutend gesteigert. Ohnehin stets mit großer Musikalität singend, liegen ihr nun auch die Herausforderungen der Partie besser. Sie erreicht in den Höhen ebenso eindrucksvolle Ergebnisse wie mit ihrer stabilen und charaktervoll klingenden Mittellage. Darstellerisch ist Bandalovska, auch wenn man an ihre Sieglinde denkt, ohnehin Spitze. Mariana Tsvetkova sang nach einer sehr guten Fricka im März nun eine ebenso klangvolle und als alternde Frau von der Intensität ihrer Darstellung her nachvollziehbar an ihrem Schicksal verzweifelnde Klytämnestra. Veselin Mihaylov, der mir schon ein paar Tage zuvor als beeindruckender Klingsor in „Parsifal“ aufgefallen war, gab nun einen Orest der Sonderklasse. Es ist wirklich eindrucksvoll, welch gutes Ensemble Plamen Kartaloff für das deutsche Fach im Zuge seiner Arbeit an den Musikdramen Richard Wagners in den letzten zehn Jahren aufgebaut hat. Angel Hristov, noch ein paar Tage davor als Gurnemanz vollbeschäftigt, war nun der Pfleger des Orest. Daniel Ostretsov sang einen persönlichkeitsstarken Ägist, der trotzdem seinem Schicksal nicht entkommt. Stanislava Momekova und Diana Vasileva waren eine stimmlich gute Vertraute und eine Schleppträgerin, die immer frustrierter mit der Schleppe auf Klytämnestra wartet, ohne das sie je hineinschlüpfen will. Dimitar Stanchev war ein guter alter Diener. Rosen Nenchev sollte die Rolle des jungen Dieners aber nicht mehr singen, ebenso wie Rumyana Petrova die Rolle der Esten Magd. Die weiteren Mägde, Violeta Radomirska, Vesela Yaneva, Ayla Dobreva und besonders die Fünfte, Silvia Teneva, sangen ihre Parts gut und kommentierten den ganzen Abend bis zum Untergang der Herrscher das Geschehen mit pantomimeartigen Bewegungen (Chorographie: Fredy Franzutti).
Dirigent Evan-Alexis Christ mit den Damen, rechts Elektra daneben Chrysothemis. Foto: Setoslav Nikolov
Mit dieser „Elektra“ hat die Sofia Oper und Ballett ihre bedeutende Stellung in der Interpretation des deutsches Faches einmal mehr unter Beweis gestellt. Nun kommt im Juli „Der fliegende Holländer“ am Pancharevo-See bei Sofia, und erst vor ein paar Tagen hatte die neue „Ariadne auf Naxos“ in der Regie von Vera Nemirova Premiere. Richard Strauss wird sicher auch weiterhin mit Neuigkeiten auf dem Spielplan erscheinen.
Klaus Billand