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SOFIA/ Nationaltheater: LOHENGRIN – Ein Triumph der musikalischen und inszenatorischen Kunst

25.06.2024 | Oper international

Das Richard-Wagner-Festival in Sofia: Ein Triumph der musikalischen und inszenatorischen Kunst

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Thomas Weinhappel (Telramund), Gabriela Georgieva (Ortrud). Foto: Svetoslav Nikolov-Chapi

Am 23. Juni wurde in Sofia das Richard-Wagner-Festival mit einer weiteren Vorstellung der Neuinszenierung von „Lohengrin“ unter der Regie des Intendanten Plamen Kartaloff glanzvoll beendet. Einmal mehr war das Staunen groß über die Leistungsfähigkeit und Hingabe der Künstler dieses so besonderen Opernhauses. Mit einer Neubesetzung verschiedener Hauptpartien und einem neuen Dirigenten kam dieser letzten Vorstellung die Bedeutung einer Premiere bei. Das Publikum war von der Leidenschaft derart gefesselt, dass es immer wieder im zweiten Aufzug zu heftigen Beifallsbekundungen kam. Diese Aufführung hat te ein sehr hohes Niveau, wie es in dieser Form auch an den ganz großen Bühnen nur selten zu erleben ist. Der Abend hatte eine immense Emotionalität, auf deren Grundlage die Sänger in voller Leidenschaft sich gegenseitig motivierten, dass es eine Pracht war.

Plamen Kartaloffs Inszenierung von „Lohengrin“ ist eine tiefgründige Symbiose aus Musik und visueller Darstellung. Jede Bewegung und jedes Detail auf der Bühne scheinen unmittelbar aus Wagners Partitur zu entspringen, was den Gesamteindruck außergewöhnlich authentisch und intensiv macht. Drei markante Elemente dominieren das Bühnenbild: der Lebensbaum, die Amphitheater-Tribünen und die zentrale Arena. Der Lebensbaum, eine ausdrucksstarke Eiche, verkörpert die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Statt einer üppigen, majestätischen Eiche präsentiert Kartaloff einen kargen, leidenden Baum, dessen emporstrebende Äste verzweifelt um Erlösung flehen. Dieser Baum, gezeichnet von bösen Mächten und Intrigen, bildet das emotionale und symbolische Zentrum der Inszenierung. Er ist zugleich Tempel und eine Himmelsleiter, wobei Lohengrins Abschied von Elsa durch die dramatische Spaltung des Baumes in Szene gesetzt wird. Diese Spaltung und die darauffolgende Auferstehung von Gottfried symbolisieren den triumphalen Sieg des Lichts über die Dunkelheit und die Hoffnung auf einen Neuanfang. Die Amphitheater-Tribünen, inspiriert vom antiken griechischen Theater, bieten Raum für die beiden Chöre – die Brabanter und die Sachsen. Diese Chöre agieren nicht nur als Kommentatoren des Geschehens, sondern sind aktiv in die Handlung eingebunden und verleihen der Inszenierung eine kollektive Stimme. Die Hauptarena, der zentrale Schauplatz der dramatischen Aktionen, ist eng mit dem Lebensbaum verbunden und repräsentiert den Ort, an dem irdisches Leid und himmlische Sehnsucht aufeinandertreffen.

Besondere symbolische Elemente verstärken die emotionale Tiefe der Inszenierung: Schwanenfedern und Schwanenflügel im ersten Akt, die vom Himmel herabfallen, stehen für das Eingreifen einer höheren Macht und die Rettung der unschuldigen Elsa – ein kraftvoller visueller Moment. Im Kontrast dazu verdeutlicht das Dornenfeld im letzten Akt die zerstörerische Macht des Neids und den Fluch von Ortrud und Telramund.

Kartaloff zeigt eine meisterhafte Fähigkeit, Stimmungen zu schaffen, die stets im Einklang mit der Musik stehen. Besonders beeindruckend sind die Farbakzente in Blau, Rot und Violett, die die emotionale Intensität der Szenen unterstreichen. Bühnenbildner Hans Kudlich trägt mit atmosphärisch dichten Kulissen zur Gesamtdramaturgie bei, die durch Mario Dices kontrastreiche Kostüme ergänzt werden. Die Lichtgestaltung, ein essenzieller Bestandteil dieser Produktion, wurde von Zach Blane mit kreativer Raffinesse umgesetzt.

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Simon O’Neill bei der Gralserzählung. Foto: Svetoslav Nikolov-Chapi

Die Titelrolle sang der Neuseeländer Simon O’Neill, der damit u.a. bereits in Bayreuth und an der MET zu erleben war. Sein helles Timbre korrespondiert gut mit der Lichtgestalt Lohengrins. Zugleich unterstreicht sein schneidiges Timbre sein starkes Auftreten. Sein selbstbewusstes Agieren im Verein mit seiner stimmlichen Sicherheit zeigte überdeutlich, warum alle Beteiligten in ihm den neuen Heilsbringer vermuten. O’Neill ist ein besonders musikalischer Sänger, der dynamisch ausgewogen und erkennbar textbezogen singt. Seine stimmliche Sicherheit und die wissende Gestaltung erzeugten einen vielschichtigen Charakter, dessen Entwicklung spannungsvoll war. Beeindruckend spielte er seinen Gewissenskonflikt und seinen Schmerz über Elsa aus. O’Neill war ein zutiefst menschlicher Schwanenritter mit leuchtendem Gesang, der jederzeit über den Anforderungen der Rolle stand.

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Simon O’Neill, Radostina Nikolaeva. Foto: Svetoslav Nikolov-Chapi

 

Radostina Nikolaeva war die neue Elsa, und sie war eine ausgezeichnete Wahl. Ihr warmes Timbre, im Verein mit ihrer leuchtenden Höhe, war bewundernswert. Sie strahlte eine große Ruhe aus, die sie im Laufe der Handlung gekonnt aufgab, um Elsas wachsende Unruhe eindrucksvoll zu unterstreichen. Überzeugend war auch ihre Textverständlichkeit und darstellerische Gestaltung. Bereits jetzt kann sie zu einer herausragenden Besetzung auf internationalem Niveau gezählt werden. Es ist immer wieder begeisternd, wie gut die Qualität der Sänger an diesem Haus ist.

Die Ortrud von Gabriela Georgieva war bereits bei der Premiere eine veritable Sensation. In nur wenigen Monaten erlernte sie diese schwere Rolle und präsentierte sie auf einem derart hohen Niveau, dass sie aktuell zu den weltweit besten Interpretinnen gezählt werden muss. Umso erstaunlicher war es, wie deutlich sie diese faszinierende Rolle in der Zwischenzeit weiterentwickeln konnte! Bei sehr guter Textverständlichkeit nutzte sie noch mehr Nuancen, vor allem im untergründigen leisen Bereich, um die Gefährlichkeit der Ortrud zu unterstreichen, was ihr exemplarisch gelang! Wie ein vokaler Tornado tönte ihr gewaltiger dramatischer Sopran in den Ausbrüchen im Saal und begeisterte einmal mehr die Zuhörer! Diese Sängerin verdient höchste Aufmerksamkeit. Stimmen dieser Qualität sind eine Rarität geworden. Sofia kann sich glücklich schätzen, Gabriela Georgieva eine künstlerische Heimat zu bieten.

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An ihrer Seite gab der charismatische Österreicher Thomas Weinhappel sein Rollendebüt als Telramund. Mit starker Energie und berstender Rollenidentifikation durchlebte Weinhappel seine Partie mit jeder Faser seines Körpers. Dies ist alleine betrachtet eine Besonderheit, die derzeit ziemlich einmalig sein dürfte. Mit perfekter Textverständlichkeit spürte er jeder Silbe nach und lud sie mit höchster Bedeutung auf. Weinhappel sang mit einer Hingabe seine Rolle, als gäbe es nur diesen einen Moment. Sein kerniger Bariton kam mit den Herausforderungen seiner Partie gut zurecht, sodass er sich über einen großen Erfolg freuen konnte.

Bjarni Thor Kristinsson war der neue König Heinrich. Mit Würde und großer Stimme war er eine gute Wahl. Als vokaler Fels in der Brandung, kam er mit den Schwierigkeiten seiner Partie bestens zurecht. Dazu zeigte er sich betont differenziert, was sich u. a. darin zeigte, dass er bei der Hinwendung zu Elsa sehr weiche Stimmfarben einsetzte und jederzeit kontrastierte er mit dominantem Klang, wenn der Handlungsverlauf dies erforderte. Atanas Mladenov war ein markanter, präsenter Heerrufer, der vorzüglich sang und seine Rolle mit seiner charaktervollen Stimme aufwertete. Auch hat in der Zwischenzeit seine wichtige Rolle ausgebaut. Ein feiner Sänger, der mit seiner Leistung an jedem Haus reüssieren würde.

Der große Opernchor bewältigte seine umfangreichen Aufgaben sehr gut. Ausdauernd und kraftvoll war der Gesang zu vernehmen. Auch in den vertrackten Stellen überzeugte die Sangesschar mit rhythmischer Sicherheit, vor allem bei Lohengrins Ankunft. Besonders fein gerieten die kopfig intonierten Höhen im „Gesegnet sollst Du schreiten“. Die Choreinstudierung lag in den Händen von Violeta Dimitrova und Ljubbomira Dimitrova, die ein sehr gutes Ergebnis mit ihrer Einstudierung erzielten.

Evan-Alexis Christ dirigierte das Orchester der Nationaloper Sofia. Das Orchester bewältigte hier ein gewaltiges Pensum in dichter Folge von „Lohengrin“ bis zu dem kompletten „Ring“. Umso mehr ist zu würdigen, mit welcher Intensität und Engagement der Klangkörper nun diesen finalen „Lohengrin“ spielte. Dazu wuchs das Orchester an diesem Abend derart über sich hinaus, dass es einem kleinen Wunder gleichkam, so betörend schön geriet die Klangqualität. Evan-Alexis Christ ist ein Motivator erster Güte, der immer aufmerksam das Geschehen im Blick behielt und allen Beteiligten eine große Sicherheit gab. Bei moderatem Tempo trug er das Handlungsgeschehen nach vorne, gab den Lyrismen genügend Raum zu blühen. Auch setzte er deutliche erhabene Augenblicke, wie das herrlich breit genommene Vorspiel zum ersten Aufzug. Die feierlichen Momente ertönten nobel und zu keinem Zeitpunkt dröhnend. Vorzüglich war seine Fähigkeit, emotionale Übergänge zu gestalten, wie beispielsweise im himmlisch dargebotenen Nachspiel des Duetts Elsa/Ortrud. Die Balance zwischen Graben und Bühne war vorbildlich. Niemals war das Orchester zu laut, sodass die Sänger stets gut zu vernehmen waren. Ein besonderes Plus seines Dirigates ist sicherlich auch das hör- und sichtbare gute Einvernehmen mit dem Orchester. Das Orchester liebt es, für diesen Dirigenten zu musizieren. In erlesener Klangschönheit zelebrierte das Orchester die Herrlichkeiten der Partitur wie ein musikalisches Hochamt. Ein seidig schimmernder Glanz in den Streichern korrespondierte bestens mit den vielfarbigen Soli der Holzbläser. Kultiviert und glanzvoll waren die Beiträge der Blechbläser, insbesondere in den leuchtenden Fanfaren. Ausgewogen ergänzte das Schlagzeug. Zu Recht wurde das Orchester, das sich dann auch auf der Bühne zeigte, heftig bejubelt.

Das Publikum zeigte sich tief ergriffen und feierte das Ereignis mit lautstarkem Enthusiasmus, der sich erst nach einer Viertelstunde beruhigen wollte. Mit dem Richard-Wagner-Festival waren erfüllende Tage voller visueller Schönheit und bewegender musikalischer Umsetzung zu erleben. Der große Theatermann Plamen Kartaloff hat hier geradezu Wundersames aufgebaut, sodass das Staunen über das Erlebte grenzenlos ist. Jeder Opernfreund, der genug hat von den Irrungen des sogenannten „Regietheaters“, findet in Sofia eine Oase der garantierten Glückseligkeit, wie sie sonst kaum mehr anzutreffen ist. Opernzauber in Respekt und im Schulterschluss mit den Vorgaben der Partitur zeichnet die Nationaloper Sofia aus und verleiht ihr damit eine Sonderstellung in der Opernwelt. Dazu bietet die herrliche Stadt eine sehr positive Athmosphäre und viel Kulturgeschichte. Auch im Jahr 2025 gibt es ein Richard-Wagner-Festival mit einem erweiterten Programm. Insgesamt war das Festival ein außergewöhnliches Erlebnis, das sowohl musikalisch als auch inszenatorisch auf höchstem Niveau überzeugt hat. Die hervorragende Qualität der Sänger, die eindrucksvolle Regiearbeit und die harmonische Zusammenarbeit von Chor und Orchester machen das Richard-Wagner-Festival in Sofia zu einem absoluten Muss für jeden Opernliebhaber. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Festival auch in den kommenden Jahren weiterhin so glanzvoll und inspirierend sein wird.

Dirk Schauß, 24. Juni 2024

Besuchte Vorstellung am 23. Juni 2024 an der Nationaloper Sofia

 

Richard Wagner

Lohengrin

Evan-Alexis Christ, Leitung

Fotos: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

 

 

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