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SOFIA/Nationalpoer: LOHENGRIN – Premiere. Ein Ereignis

14.06.2024 | Oper international

Lohengrin in Sofia – Ein Ereignis

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Foto: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Am 13. Juni wurde in Sofia das Richard-Wagner-Festival mit einer Neuinszenierung von „Lohengrin“ unter der Regie des Intendanten Plamen Kartaloff eröffnet. Der erfahrene Wagner-Regisseur brachte eine visionäre Interpretation auf die Bühne, die nicht nur die musikalische Sprache Wagners respektierte, sondern auch die zeitgenössische gesellschaftliche Relevanz des Werks betonte. Faszinierend führte Kartaloff die Zuschauer in die tiefgründige Welt Wagners ein und zeigte, wie dessen Musik als prophetische Stimme der Zukunft fungierte.

Plamen Kartaloff stellte die Frage, ob das heutige digitale Zeitalter und die darin stattfindenden Prozesse mit den psychologischen Theaterelementen und Leidenschaften, die in Wagners Musik verankert sind, vereinbar seien. Seine Antwort darauf war ein klares „Ja“. Für Kartaloff repräsentiert Lohengrin in Wagners Musik das „Licht des Denkens“, das die Menschen erweckt und zur Erkenntnis der inneren Kraft führt. Lohengrin bringt die Idee des Glaubens an das Positive, das die Zukunft aufbaut. Diese Botschaft spiegelt sich in jeder musikalischen Phrase wider, die die „wahre Vortrefflichkeit des richtigen Lebens“ ausdrückt.

Kartaloffs Inszenierung von „Lohengrin“ war reich an symbolischen Elementen, die eine tiefere Bedeutung für das Bühnenbild und die Handlung trugen. Drei zentrale Komponenten prägten die Bühne: der Baum des Lebens, die Amphitheater-Tribünen und die Hauptarena. Der Baum des Lebens, eine Eiche, symbolisierte die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Anders als die majestätische, laubreiche Eiche, die man erwarten könnte, zeigte Kartaloff den Baum kahl und leidend, mit zum Himmel gestreckten Zweigen, die um Erlösung baten. Der Baum wurde von bösen Mächten und Intrigen angenagt und diente als Zentrum der Transformation und der Handlung. Er war Tempel und Golgatha zugleich, wobei Lohengrins Abschied von Elsa durch die Spaltung des Baumes symbolisiert wurde. Diese Spaltung und die Auferstehung von Gottfried repräsentierten den Sieg des Lichts über die Dunkelheit und die Hoffnung auf ein neues Leben.

Die Amphitheater-Tribünen erinnerten an das antike griechische Theater und boten Platz für die beiden Chöre – die Brabanter und die Sachsen. Diese Chöre fungierten als kollektiver Charakter, der die Ereignisse kommentierte und an der Handlung teilnahm. Ihre Platzierung im Bühnenraum war entscheidend für die dramaturgische Struktur und die emotionale Tiefe der Inszenierung. Die Hauptarena, in der die zentralen schauspielerischen Aufgaben ausgeführt wurden, war durch eine physische und spirituelle Verbindung mit dem Baum des Lebens geprägt. Diese Arena war der Ort, an dem das irdische Leiden und die himmlische Sehnsucht nach Erfüllung aufeinandertrafen. Zusätzliche symbolische Elemente wie Schwanenfedern und Schwanenflügel im ersten Akt sowie ein Dornenfeld im letzten Akt verstärkten die emotionalen und thematischen Aspekte der Inszenierung. Die Schwanenfedern und -flügel, die vom Himmel herabfielen, symbolisierten das Erscheinen einer höheren Macht und die Rettung der unschuldigen Elsa. Im Gegensatz dazu repräsentierte das Dornenfeld die zerstörerische Macht des Neids und den Fluch von Ortrud und Telramund. Kartaloff weiß hervorragend Stimmungen zu erzeugen, die immer im Einklang mit der Musik sind. Faszinierend sind die Farbgebungen in Blau, Rot und Violett. Auch in der Personenführung zeigt sich Kartaloff als Meister der feinen Details. Ein Beispiel: im Brautgemach werden Elsa und Lohengrin von den Brabantischen Edlen als auch von Telramund und Ortrud permanent beobachtet. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Lohengrins späterer Überfall ausgeheckt wird. Bühnenbildner Hans Kudlich schuf dazu atmosphärisch dichte Bühnenbilder, die durch die Kostüme von Mario Dice gut kontrastiert wurden. Die Lichtgestaltung ist bei diesem Werk von besonderer Bedeutung und Zach Blane hatte dafür eine kreative Hand.

Ein einzigartiges Element dieser Inszenierung war die Referenz auf Kartaloffs frühere „Parsifal“-Inszenierung im Orchestervorspiel von „Lohengrin“. Diese Verbindung unterstrich die Kontinuität der göttlichen Botschaften und die spirituelle Reise, die Lohengrin als Sohn Parsifals antreten musste. Das Vorspiel, wie von Burton D. Fisher beschrieben, stellte die mystische Natur und Heiligkeit des Grals dar und rahmte die spirituellen Ideale des Helden der Oper ein.

Besondere Unterstützung erhielt Kartaloff durch die weltberühmte Kammersängerin Anna Tomowa-Sintow. Die erfahrene Sopranistin, die selbst oft die Rolle der Elsa in verschiedenen „Lohengrin“-Produktionen interpretiert hatte, brachte ihre immense Expertise und Inspiration in die Produktion ein. Tomowa-Sintow arbeitete eng mit den Künstlern der Sofia-Oper zusammen und widmete viel Zeit der Vorbereitung der Gesangsinterpretationen.

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Foto: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Die Titelrolle sang Kostadin Andreev, der eine etwas uneinheitliche Leistung bot. Er war ein leidenschaftlicher und offensiver Schwanenritter, wie er an deutschen Bühnen nicht anzutreffen ist. Sein Gesang wirkte im Forte zuweilen wild, bei sehr offenen Vokalen. Bei seinen (immerhin!) vielen Piano-Versuchen verlor seine Stimme den Fokus und musste zuweilen Zuflucht im Falsett suchen, was nicht überzeugend gelang. Hinzu kam seine mangelhafte Artikulation, die Konsonanten vermied, wie der Teufel das Weihwasser! Dabei sind gerade bei Wagner die klingenden Konsonanten eine ganz wesentliche Hilfe für einen ökonomischen Stimmansatz. Zudem hatte er im dritten Aufzug mit erheblichen konditionellen Problemen zu kämpfen, was sich vor allem in eher gerufenen als gesungenen Tonhöhen zeigte. Das Publikum reagierte z. T. enttäuscht, sodass es doch leider ein paar deutliche Buhrufe für ihn gab. Auch die Elsa von Tsvetana Bandalovska gefiel nicht allen im Publikum. In der Darstellung war sie glaubwürdig und verinnerlicht. Gesanglich war sie an diesem Abend nicht in der Lage, die gebotenen Lyrismen zu realisieren. Ihre dynamische Skala bewegte sich zwischen Forte und Fortissimo. Ein um das andere Mal klang ihre Stimme gefährdet. Weniger Druck und mehr Aufmerksamkeit in der Dynamik würden ihre Darbietung wirkungsvoller gestalten.

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Foto: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Der Trumpf des Abends waren die Ortrud mit der alle überragenden Gabriela Georgieva und dem Telramund von Ventseslav Anastasov. Erstmals sang die Georgieva eine deutsche Oper und dann gleich die Ortrud. Ihr Debüt war spektakulär in jeglicher Hinsicht! Mit beeindruckender szenischer Präsenz dominierte sie das Bühnengeschehen. Ihre sprechende Mimik und ihre dominante Darstellung machten diese Ortrud zum Elementarereignis. Eine echte hochdramatische Sopranistin. Weltweit gibt es kaum Sängerinnen, die derart souverän diese schwere Partie realisieren. Hocherfreulich war zudem ihre gute Artikulation und Verständlichkeit. Sie war die einzige Sängerin, der es gelang, den vielschichtigen Text wissend zu gestalten. Eine herausragende, ja geradezu umwerfende Leistung! Zu Recht erhielt sie vom Publikum gewaltige Ovationen! Ohnehin gefiel der zweite Aufzug dem Auditorium derart gut, dass es viermal in die Musik applaudierte. Vor allem nach dem fulminanten Vortrag von „Entweihte Götter“ schrien die Zuhörer entzückt auf. An ihrer Seite war Venetslav Anastasov ein Telramund mit raumgreifender, wuchtiger Stimme, der diese immens schwere Partie ausgezeichnet sang. Sängerisch war das auf hohem Niveau. Wenn es ihm noch gelingt, den Text deutlicher zu artikulieren und vor allem die vielen faszinierenden Akzente zu setzen, dürften ihm auch an anderen großen Bühnen die Türen weit offen stehen. Bereits nach seinem „Durch dich musst ich verlieren“ gab es für ihn spontanen, tosenden Szenen-Applaus. Biser Georgiev war König Heinrich und litt ein wenig zu deutlich an den Herausforderungen seiner Partie. Seiner Stimme fehlt es an der notwendigen Sonorität, um den König als Gestalt glaubwürdig erscheinen zu lassen. Im Spiel wirkte er unsicher und in der Tiefe kaum hörbar. Er hat das Potenzial, diese Partie adäquat zu gestalten. Dafür müsste er an szenischer und stimmlicher Sicherheit zulegen. Auch sollte er an seiner nuscheligen Artikulation arbeiten. Atanas Mladenov war ein stimmstarker Heerrufer mit guter Textverständlichkeit.

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Foto: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Der „Lohengrin“ gilt als eine der schwersten Choropern. Doch der große Opernchor entledigte sich seiner schwierigen Aufgabe sehr gut. Sonor und ausdauernd waren die zahlreichen Sängerinnen und Sänger ein ganz wesentlicher Aktivposten. Die Choreinstudierung lag in den Händen von Violeta Dimitrova und Ljubbomira Dimitrova, die mit dieser Arbeit ihre beeindruckende Kompetenz unterstrichen.

Constantin Trinks dirigierte das Orchester der Nationaloper Sofia. Orchester und Dirigent schufen fortwährende Glanzpunkte. Es war faszinierend zu erleben, wie gut Trinks das Orchester vorbereitet hatte. Dessen Ausdauer, Stilsicherheit waren bemerkenswert und die Tempi ausgewogen. Mit feiner Klangqualität in allen Spielgruppen gelang Trinks ein bewegendes Dirigat, bei welchem keinerlei Wünsche offen blieben. Vorbildlich war auch die Begleitung und die Balance zwischen Bühne und Orchestergraben. Am Ende gab es stürmischen Beifall, über den sich auch Hausherr und Regisseur Plamen Kartaloff freuen konnte.

Kartaloffs Inszenierung von „Lohengrin“ versprach, ein tiefgreifendes und emotional bewegendes Erlebnis zu sein, das Wagners musikalische und dramaturgische Meisterschaft in den Vordergrund stellte. Durch die geschickte Nutzung symbolischer Bühnenbilder und die Einbindung psychologischer und philosophischer Überlegungen schuf Kartaloff eine Inszenierung, die sowohl den traditionellen Wagnerianern als auch neuen Zuschauern ein reichhaltiges und ergreifendes Erlebnis bot. Kartaloff gelingt das, woran Regisseure deutscher Opernproduktion nahezu immer scheitern: mit heutigen technischen Mitteln eine Inszenierung zu zeigen, die mit der Musik gemeinsam das Beste aus einem Werk herausarbeitet und in eine zeitlose Aussage übersetzt, die einem heutigen Publikum es leicht macht, sofort zu erkennen, in welchem Stück es sich befindet. In Sofia war dieser „Lohengrin“ ein heftig gefeiertes Ereignis.

Dirk Schauß, 14. Juni 2024

Besuchte Vorstellung der Premiere am 13. Juni 2024 an der Nationaloper Sofia

Richard Wagner

Lohengrin

Constantin Trinks, Leitung

 

 

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