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SOFIA/ Nationaloper/ „Richard Wagner-Festival: TANNHÄUSER – Plamen Kartaloff entfesselt Seelenräume – Wagners „Tannhäuser“ in Sofia als spirituelles Musiktheater von archaischer Wucht

27.06.2025 | Oper international

SOFIA /Nationaloper:  Kartaloff entfesselt Seelenräume – Wagners „Tannhäuser“ in Sofia als spirituelles Musiktheater von archaischer Wucht

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Foto: Copyright @ Opera Sofia and Ballett

Das diesjährige Richard-Wagner-Festival in Sofia eröffnete mit einer Neuproduktion. Es gibt Abende, die mehr sind als eine Opernaufführung. Sie werden zu inneren Landschaften, zu geistigen Erschütterungen – weil sie uns an Grenzen führen, die nicht nur musikalisch, sondern existenziell sind. Die Vorstellung von Richard Wagners „Tannhäuser“ an der Nationaloper Sofia am 26. Juni 2025 war ein solcher Abend: radikal gedacht, visuell kraftvoll, stimmlich auf hohem Niveau und getragen von einer Regie, die nicht illustriert, sondern befragt. Plamen Kartaloff hat mit seinem bewährten künstlerischen Team ein Werk freigelegt, das mehr ist als ein romantisches Erlösungsdrama. Sein „Tannhäuser“ ist ein Ringen zwischen Systemen, zwischen Fleisch und Geist, zwischen Begehren und Gnade – bildstark und stets in Harmonie mit der Partitur..

Schon der Auftakt verriet eine Haltung: Die Ouvertüre erklang bei geschlossenem Vorhang – ein Raum der Sammlung, ohne Ablenkung, ganz Musik. Auch das Vorspiel zum dritten Aufzug wurde bei geschlossenem Vorhang gespielt – und gewann dadurch geradezu kontemplativen Charakter. Die Musik trat in den Vordergrund wie ein innerer Monolog: leise, erschöpft, sehnsüchtig. So wurde das Werk gleich zu Beginn aus der szenischen Welt herausgelöst und in einen spirituellen Raum gehoben, in dem die Musik allein zu sprechen begann.

In seiner Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ entwirft Plamen Kartaloff eine Bühne, die sich radikal von konkreten historischen Verortungen löst. Sie ist kein realistischer Ort, keine Abbildung mittelalterlicher Szenerie, sondern ein offener Denkraum – ein psychologisches und spirituelles Spielfeld, das sich ganz dem Inneren der Figuren widmet. Abstraktion ist hier keine ästhetische Distanz, sondern die Form, in der Seelenzustände sichtbar werden. Es ist ein Raum des Fühlens, der Reflexion und des inneren Ringens.

Kartaloffs Inszenierung begreift das Werk nicht nur als romantische Erlösungsoper, sondern als existenzielles Drama des modernen Menschen – zerrissen zwischen zwei geschlossenen Systemen: einer Welt der entfesselten Sinnlichkeit und einer erstarrten Ordnung, die sich ihrer eigenen moralischen Ansprüche beraubt hat. Der Venusberg erscheint als ästhetisiertes Ritualtheater des Begehrens – eine Bühne des Körpers, auf der mythische Szenen wie Leda und der Schwan oder Psyche und Eros in pantomimischen Tableaux aufgerufen werden. Doch hinter dem Reiz der Bilder lauert die Leere: das Begehren gerinnt zur Wiederholung, das Lustvolle wird zur Falle.

Auf der anderen Seite steht die Wartburg im zweiten Aufzug – ein Ort der geistigen Ordnung, der hohen Ideale, doch zugleich auch eine Welt ohne Barmherzigkeit, fest gefahren und maskiert. Eine kalte, abweisende geschlossene Gesellschaft. Tannhäusers Lied von der körperlichen Liebe wird hier nicht diskutiert, sondern mit sofortiger Verbannung beantwortet. In dieser Deutung wird der Sänger zum metaphysischen Flüchtling – einer, der zwischen den Extremen keine Heimat findet.

Kartaloff betont den utopischen Impuls des Werks: Erlösung, so legt seine Regie nahe, geschieht nicht durch Institutionen, sondern durch innere Wandlung. Weder Venus noch die Kirche vermögen Tannhäuser zu retten – es ist Elisabeth, die stille, mitfühlende, kompromisslose Liebende, deren Opfer schließlich das Tor zur Verwandlung öffnet. Ihre Gestalt ist der Kontrapunkt zu den verhärteten Systemen – ein Bild reiner Menschlichkeit, das sich jeder moralischen Absolutheit entzieht.

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Foto: Copyright @ Opera Sofia and Ballett

Gemeinsam mit Bühnenbildner Sven Jonke wählte Kartaloff eine minimalistische, fließende Szenerie: offen Räume, geometrische Formen, choreografierte Bewegung und Lichtführung schaffen eine Atmosphäre, in der jeder Moment Bedeutung erhält. Im ersten Aufzug wölbte sich ein riesiger, luftgefüllter Himmel aus Kunststoffplanen über das Geschehen – von rosa und rotem Licht durchstrahlt, pulsierend, atmend, fast wie ein lebendiger Organismus. Der Venuswagen, gezogen von Zentauren, evoziert das Ungezähmte, Animalische – ein Tableau von archaischer Kraft. Die Sinnlichkeit erscheint hier nicht verlockend, sondern als rituelle Wiederholung, als Mechanik des Begehrens.

Im zweiten Aufzug dann die Welt der Ordnung: Chromefarbene Vorhänge, ein zentrales Podium mit Sängerharfe, die maskierte Gesellschaft – alles anonym, unterkühlt, ritualisiert. Die Wartburg als Symbol eines Systems, das weder verzeiht noch fragt.

Der dritte Aufzug spielte auf einer Bühne voller verhüllter Objekte – mit weißen Stoffbahnen bedeckt, gleichsam unter dem Staub der Zeit verborgen. Links hinten thronte eine eindrucksvolle Marienstatue, der einzige klare spirituelle Fixpunkt in einer Welt aus Zweifeln. Am Ende, mit Elisabeths Tod und Tannhäusers Erlösung, wurden die Stoffbahnen hochgezogen – eine visuelle Transfiguration, ein Entrücken ins Licht. Andrej Hajdinjaks Lichtgestaltung verlieh all dem seine spirituelle Dimension: flirrend warm für Elisabeth, kalt und scharf für die Gesellschaft, geheimnisvoll gedämpft im Venusberg. Auch dies war Teil der semantischen Ebene dieser Inszenierung.

Kartaloffs Regie verwebt in die abstrakte Struktur gezielt realistische Elemente – als „lebende Akzente“, wie er sie nennt. Diese dienen nicht der Illustration, sondern der Verdichtung spiritueller Energie. Kreuze, Schwerter, Pilgerstäbe, der erblühende Stab, die Madonna – sie sind mehr als Requisiten. Sie sind Sinnträger, poetische Katalysatoren einer inneren Erzählung.

Gabriela Georgieva als Venus überzeugte mit dramatischer Präsenz und stimmlicher Überlegenheit. Ihr Sopran war ausladend, von metallischer Leuchtkraft und gleichzeitig sensibel in der Phrasierung. Ihr Textverständlichkeit war sehr gut, ebenso ihr Wissen um Nuancen. Sie spielte die Venus nicht als Verführerin, sondern als leidenschafliche Göttin – souverän und doch verletzt, mit einem Timbre, das zwischen Verführung und Dramatik alles überzeugend aufbot, um sie als weibliche Gottheit zu begreifen. Ihre Bühnenausstrahlung war enorm – ein Zentrum der Energie.

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Foto: Copyright @ Opera Sofia and Ballett

Martin Iliev als Tannhäuser war ein imponierender Titelheld mit einer staunenswerten Gesamtleistung. Seine baritonal grundierte Tenorstimme bewältigte die gefürchteten Höhen mit Kraft und Ausdauer, wirkte dabei aber nie forciert. Besonders im dritten Aufzug, in der Romerzählung, zeigte er Mut zur Expressivität, zur stimmlichen Zerbrechlichkeit. Er sang nicht nur – er erzählte, er bekannte. Seine Textverständlichkeit war gut, seine Darstellung psychologisch nuanciert. Er formte einen Tannhäuser, der nicht trotzig oder haltlos erschien, sondern gezeichnet, innerlich zerrissen – ein moderner Mensch, der keinen Platz mehr findet in den engen Systemen seiner Welt. Seine Wandlung zum manisch gebrochenen Charakter war aufrüttelnd und zeigte einen Sänger, dem an diesem Abend alles gelang. Es war gerade jener dritte Aufzug, in welchem Illiev komplett eins wurde mit Tannhäuser und seine Gebrochenheit erschütterte. Riesiger Jubel belohnte seinen schonungslosen Einsatz.

Tsvetana Bandalovska als Elisabeth war das emotionale Zentrum des Abends. Sie gestaltete diese Partie mit einer inneren Flamme, wie man sie selten erlebt. Ihr Sopran – rund, leuchtend, voll leiser Glut – vereinte Mädchenhaftes mit spiritueller Größe. Sie war nicht die sanfte Erlöserin, sondern eine mutige, handelnde Frau, die sich der Verrohung und den Dogmen ihrer Umwelt entgegenstellt. Im dritten Aufzug – nach dem Abgang der Pilger – gehörte ihr der Moment des Gebets. Allein auf der Bühne, vor der eindrucksvoll platzierten Marienstatue links hinten, sang sie nicht fromm, sondern ehrlich, verzweifelt, klar. Ihre Stimme schien zu leuchten aus einem Raum jenseits der Bühne. Es war ein Moment der Wahrhaftigkeit – still und ergreifend. Und doch war der Seelenschmerz omnipräsent. Ihr Auflösen des irdischen Lebens wurde in eine poetische Bildlösung geführt. Elisabeth liegt als fleischgewordenes Kreuz auf dem Boden, während rote Laub-Blätter auf sie herniedersinken.

 

Atanas Mladenov begeisterte als Wolfram mit noblem, kernigem Bariton und einer Musikalität, die jedes Wort, jede Phrase trug. Sein „Abendstern“-Lied war von leiser Größe – ein Moment der Schönheit inmitten moralischer Verwüstung. Sehr bewusst reizte er die Dynamik aus, nahm die Stimme ins klingende Pianissimo zurück und sorgte somit für besondere Intensität. Darstellerisch überzeugte er mit zurückhaltender Präsenz – ein Mann des Wortes, nicht der Pose. Er zeigte Wolfram als klugen Beobachter, der aber dann beim Auftritt der Venus im dritten Aufzug intensiv, auch physisch, um Tannhäuser kämpft, um ihn zurückzuhalten. Immer wieder sucht er den Kontakt zu Tannhäuser, verzweifelt wendet er sich sodann mit einem Gebet an die Jungfrau Maria. Bewegend, wie die beiden Freude sich am Ende in die Arme fallen.

Petar Buchkov verlieh dem Landgrafen Hermann Würde und väterliche Autorität. Sein Bass war dunkel und kultiviert, seine Darstellung geprägt von Milde, nicht von Härte. Im Umgang mit Elisabeth zeigte er väterliche Farben, in der Szene des Urteils Haltung und Maß.

Auch die übrigen Minnesänger zeigten hohe Qualität: Emil Pavlov als lyrischer Walther mit weichem, elegischem Tenor; Angel Antonov als Heinrich der Schreiber mit charaktervoller Gestaltung; Stefan Vladimirov als markanter, impulsiver Biterolf – mit wuchtigem Bass und eindrucksvollem Spiel; Angel Hristov als Reinmar mit sonorem Fundament.

Der Chor unter der Leitung von Violeta Dimitrova war ein stimmliches Ereignis: voller Klang, rhythmisch präzise, szenisch präsent. Die Pilgerchöre berührten mit spiritualisierter Klangfülle. Der Chor agierte und war Teil der szenischen Sprache – als Kollektiv mit individueller Ausdruckskraft.

Auch das Ballett wurde organisch in das Geschehen eingebunden. Besonders in den Venus-Szenen war der körperliche Ausdruck hochstilisiert – nicht als Tanznummer, sondern als Bewegungschor. Gesten, Posen, Andeutungen – eine Choreographie innerer Zustände.

Constantin Trinks hatte das Orchester der Nationaloper Sofia gut vorbereitet. Schon die Ouvertüre kündete von gestalterischer Klarheit und innerer Spannung. Die Streicher glänzten mit satter Wärme, die Holzbläser mit feiner Artikulation, die Hörner leuchteten in edlem Gold, das Blech war kultiviert zurückgenommen und das Schlagzeug zeigte sich als intensiver Farbgeber. Trinks modellierte Bögen und gestaltete vor allem symphonisch, was vor allem der Ouvertüre zugute kam.. Diese Einleitung war kein Präludium, sondern ein seelischer Vorspann – getragen von einer Spannung, die sich nicht in Lautstärke, sondern in innerer Bewegung entfaltete. Trinks gelang eine Balance zwischen Struktur und Emotion. Seine Tempi waren ausgewogen und die Dynamik unforciert. Besonders das Vorspiel zum dritten Aufzug wurde unter seiner Leitung zu einem klanglichen Gebet – fließend, schwebend, von großer Zartheit. Allein die Finali der einzelnen Aufzüge hätten in ihrer Wirkung deutlich gesteigert werden können, wenn Trinks die dirigentischen Zügel nicht gar so akademisch streng geführt und stattdessen etwas mehr Temperament zugelassen hätte. Den Sängern gab er mitunter zu wenig Raum zur stimmlichen Entfaltung. Die Begleitung wirkte zuweilen durchgezählt und nicht mit dem Atem der Sänger verbunden.

Am Ende dieses bewegenden Abends stand Tannhäuser, der Mensch – allein mit seiner Schuld, seiner Sehnsucht, seinem Wunsch nach Gnade. Keine Erlösung durch Institutionen, sondern durch Verwandlung. Und während Tannhäuser und Elisabeth in das Licht der Verwandlung schritten, zog sich ein permanent gesteigerter Klangschleier über die Bühne – wie ein letzter aufsteigender Atem, eine lichte Hoffnung.

Das Publikum reagierte stehend jubelnder Ausdauer – nicht euphorisch im üblichen Sinne, sondern berührt, aufgewühlt, dankbar. Es war ein Abend, der nicht verflog, sondern nachhallte – als ein Bekenntnis zur Kraft dieses besonderen Werkes.

Dirk Schauß, 27. Juni 2025

Richard Wagners “Tannhäuser” an der Nationaloper Sofia am 26. Juni 2025

 

 

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