SOFIA/Nationaloper: TANNHÄUSER als Schlusspunkt des Richard Wagner Festivals
Kartaloff verwebt Sinnlichkeit und Dogma zu einem Seelendrama in Wagners „Tannhäuser“
Plamen Kartaloffs Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ entfaltete sich auch in der zweiten Vorstellung am 5. Juli 2025 im Rahmen des Wagner-Festivals in Sofia als ein dichtes Erlebnis – geistig wie emotional. Die Bühne, entworfen von Sven Jonke, bricht konsequent mit jeder Form realistischer oder historischer Einordnung. Stattdessen entsteht ein offener, entrückter Denkraum, der sowohl psychologische Tiefen auslotet als auch spirituelle Assoziationen weckt. Was dort auf der Bühne passiert, ist weniger eine Illustration als eine Innenansicht: Die Seelenzustände der Figuren materialisieren sich in geometrischen Abstraktionen, sparsamen Requisiten und durchdachter Bewegung. Die Lichtregie von Andrej Hajdinjak setzt dabei subtile, intime Akzente, die den Raum in immer neue seelische Stimmungen tauchen – wie ein fein kalibrierter Resonanzboden für das dramatische Geschehen.
Kartaloffs Zugriff auf Wagners Werk verzichtet bewusst auf historisierende Romantik und stellt stattdessen einen zerrissenen, modernen Menschen ins Zentrum – gefangen zwischen den Polen von Entgrenzung und Dogma: Venusberg und Wartburg. Die Atmosphäre des Bühnenraums wirkt dabei beinahe kontemplativ, bietet Raum für eine nicht-lineare Seelenwanderung, die sich in Spannungen, Zuständen und symbolischen Momenten ausdrückt. Interessanterweise schleichen sich in die Abstraktion immer wieder sehr konkrete, ja greifbare Symbole ein: ein von Zentauren gezogener Wagen, Pilgerstäbe, eine Madonna, ein erblühender Zweig in der Hand Gottes. Diese Gegenstände wirken wie emotionale Scharniere zwischen Szene und Bedeutung, zwischen Mensch und Mythos. Und obwohl vieles reduziert ist, bleibt das Menschliche allgegenwärtig: Die Darsteller agieren mit expressiver Körperlichkeit, was der Inszenierung eine starke Energie verleiht.
Auch Hristiyana Mihaleva-Zorbalievas Kostüme sind fein auf die ästhetische Sprache der Inszenierung abgestimmt. Elisabeths transparenter Umhang in Pfirsichtönen etwa strahlt eine leise Kraft aus – ein visuelles Echo ihrer inneren Reinheit. Venus hingegen erscheint in sattem Rot, ebenso ihre Gefolgschaft, und ruft damit Erinnerungen an archaische Kultbilder wach. Die Farben sprechen für sich, brauchen keine Erklärung, sie wirken einfach.
Auch musikalisch zeigt sich die Produktion auf hohem Niveau. Constantin Trinks bringt das Orchester der Sofia Oper mit Klarheit und strammer Hand durch Wagners anspruchsvolle Partitur. Bereits die Ouvertüre spannt einen farbenreichen Klangteppich aus, der sich wie ein roter Faden durch den Abend zieht. Man merkt dem Ensemble die tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Werk an: rhythmisch kontrolliert, klanglich nuanciert. Einzig auch hier, wie bereits in der Premiere, fehlte die Freiheit in der Begleitung der Sänger, die Trinks Kollege Evan-Alexis Christ bei seinem Ring-Dirigat an gleicher Stelle so hervorragend gewährte. Der Chor unter Violeta Dimitrova wirkt homogen und vital, besonders eindrücklich im Pilgerchor und in der Wartburg-Szene, wo die Masse anonym bleibt, aber nie gesichtslos wirkt.
Copyright: by Sofia Opera and Ballett
Spannend wurde es durch drei neue Solisten, die der zweiten Aufführung frische Impulse gaben. Eleonora Djodjoska-Mladenov als neue Elisabeth war dabei eine ganz besondere Besetzung: Gerade Anfang 20, bildschön und mit einer hoch engagierten Ausstrahlung – sie wirkte wie die mädchenhafte Idealverkörperung der Figur. Doch auch stimmlich wusste sie zu überzeugen: Mit einem strahlenden, zugleich warm getönten Sopran gelang ihr ein stimmliches Portrait, das eine erstaunliche Reife und ausgeprägte Einfühlung offenbarte. Ihre Elisabeth war keine Heilige, kein märtyrerhaftes Abziehbild, sondern eine mutige, empathische Frau mit Haltung und Herzenswärme. Ihre Arien berührten, weil sie etwas Menschlich-Zartes und zugleich Unbeirrbares transportierten. Vorbildlich war ihre Textverständlichkeit. Sie stand im Zentrum des großen Jubels im vollen Haus.
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Radostina Nikolaeva als Venus setzte einen reizvollen Kontrapunkt: mit dunklem, intensivem Sopran und einer Bühnenpräsenz, die irgendwo zwischen Verführung und Unheil schwankte. Ihre Venus war keine Karikatur von Erotik, sondern eine ambivalente, beinahe tragische Figur – Lust als Falle, Ekstase mit Abgrund. Man konnte sich ihrer Wirkung schwer entziehen. Fabelhaft waren Artikulation und Stilsicherheit, sodass ihre Venus ein starkes Profil erfuhr.
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Eine Überraschung war Ventseslav Anastasov als neuer Wolfram von Eschenbach. Sein üppiger Bariton erinnerte streckenweise an die italienische Schule, was der Rolle eine gewisse Eleganz und Melancholie verlieh. Erfreulich war seine gute Aussprache. Darstellerisch war er sehr präsent und stark in der Anteilnahme. Sein Wolfram war kein Intellektueller, sondern ein mutiger Freund. Das Lied an den „Abendstern“ wurde zum leisen Glanzpunkt des Abends, getragen von vokaler Wärme und innerer Ruhe. Mit großem physischem Engagement versuchte er Tannhäuser vehement bis zur Rangelei daran zu hindern, zu Venus zurückzukehren. Diese Auseinandersetzung ging unter die Haut.
Martin Iliev, bereits aus der Premiere bekannt, führte seine Rolle als Tannhäuser mit der gleichen leidenschaftlichen Kraft fort. In dieser zweiten Vorstellung stand er ein wenig neben sich, vielleicht waren die letzten Tage etwas zu viel für ihn mit dem langen Probenprozess, der Premiere und dem Siegmund. Befremdlich waren seine schauspielerischen Eigenarten im ersten Aufzug, die eine andere Körpersprache aufzeigten als am ersten Abend. Darüber hinaus gab es immer wieder kleinere stimmliche Einbrüche („Erbarm Dich mein“), weil er stellenweise zu kehlig sang, bei sehr enger Vokalführung und damit seine Stimme zu sehr forcierte. Es ist bedauerlich, dass er an diesem Abend zu wenig die Dynamik für Abstufungen nutzte, was in der Premiere besser gelang. Darunter litt auch die Textgestaltung, die in den ersten beiden Aufzügen zu eindimensional war. Was ihn dann hingegen im dritten Aufzug auszeichnete, war nicht nur die Ausdauer, sondern seine Fähigkeit, innere Konflikte nach außen zu tragen, ohne in Pathos zu verfallen.
Petar Buchkov blieb als Hermann, Landgraf von Thüringen, eine verankerte Säule im Ensemble. Kaum zu glauben, dass mit nur einem Tag Pause der Sänger des nachtschwarzen Hagen einmal mehr zeigte, was einen großen Künstler ausmacht. Sein sonorer Bass und seine souveräne Haltung schenkten der Aufführung ein maßgebliches Gegengewicht. Die Szenen mit Elisabeth und den Minnesängern waren von einer ruhigen, würdevollen Spannung getragen. Beeindruckend, wie er dann auch in einen harten, harschen Befehlston wechseln konnte. Stimmlich und im Ausdruck konnte er seine gute Premierenleistung eindrucksvoll steigern. Bässe in dieser Qualität sind inzwischen eine Rarität in der Opernwelt. Die Nationaloper Sofia darf sich glücklich schätzen, diesen herausragenden Künstler im Ensemble zu beheimaten.
Auch in den kleineren Rollen gab es vieles zu entdecken: Emil Pavlov als Walther mit hellem Tenor, Angel Antonov als Heinrich mit starker Stimme und feinem Schauspiel, Angel Hristov als Reinmar mit wärmender Tiefe, Stefan Vladimirov als wirklich bedrohlicher Biterolf mit stabilem Bass-Fundament und offensivem Ausdruck – sie alle trugen zum Klangmosaik bei. Maria Pavlova verlieh dem jungen Hirten mit zartem Sopran und anmutiger Beweglichkeit eine beinahe impressionistische Note.
Ein besonderer Moment war die choreografische Gestaltung der Venus-Szenen durch das Sofia National Ballet unter Maria Ilievas Leitung. Diese Szenen waren mehr als bloße Tanznummern – sie wirkten wie durchkörperte Emotion, ein sinnlicher Dialog zwischen Form und Bedeutung. Die Balance zwischen ästhetischer Strenge und körperlicher Freiheit war beeindruckend.
Unterm Strich gelingt Kartaloff mit dieser zweiten Aufführung eine eindrucksvolle Vertiefung seiner Wagner-Interpretation: ein Versuch, das Drama in unsere Zeit zu heben. Die Inszenierung ist vielschichtig, manchmal auch hermetisch, aber gerade dadurch offen für Deutung. Sie verbindet klangliche Präzision mit emotionaler Weite, theatrale Abstraktion mit symbolischer Dichte – und stellt den Menschen in all seinen Widersprüchen in den Mittelpunkt.
Das Sofia Opern-Orchester und der Chor unter Trinks liefern dabei ein musikalisches Fundament, das sowohl tragend als auch atmend ist. Die neuen Stimmen bereichern das Ensemble nicht nur klanglich, sondern auch charakterlich – sie bringen neue Farben, neue Energie. Insbesondere die famose Leistung der jungen Eleonora Djodjoska-Mladenov zeigt, dass der bulgarische Sängernachwuchs sehr hoffnungsvoll ist und an die Tradition der großen Stimmen dieses Landes anknüpft
Diese Aufführung war zweifellos ein würdiger Schlusspunkt des Wagner Festivals – nicht nur wegen ihrer musikalischen Qualität und visuellen Strahlkraft, sondern weil sie beispielhaft vorführt, wie sich Wagners Werk zeitlos gestalten lässt.
Es grenzt schon an ein kleiner Wunder, was Plamen Kartaloff in wenigen Jahren mit seinem wunderbaren Sängerensemble entwickelte. Richard Wagners Oevre gelangt hier in einer einzigartigen Bild- und Tonsprache zu großer, eindrücklicher Wirkung. Über die Jahre hinweg ist hier eine beeindruckende Kompetenz entstanden, die mit den internationalen Bühnen mehr als bestehen kann. Kartaloffs „Tannhäuser“ war dazu ein weiterer Höhepunkt: Er bündelte viele Themen und ästhetische Tendenzen des Festivals und entließ das Publikum mit einem Gefühl existenzieller Dringlichkeit. Eine dieser seltenen Synthesen aus Alt und Neu, Idee und Körper, Ritual und Gegenwart. Sie bleibt im Gedächtnis. Und wirkt nach.
Dirk Schauß, 06. Juli 2025
Richard Wagners „Tannhäuser“ am 05. Juli 2025 an der Nationaloper Sofia