Jugendliche Frische: „La Bohème“ begeistert in Sofia
Foto: Copyright by Sofia Opera and Ballett
Die Nationaloper Sofia hat sich längst als eine Bühne etabliert, die mit außergewöhnlich stilvollen und künstlerisch tiefgründigen Produktionen begeistert. Am 24. Januar 2025 präsentierte das Haus eine Aufführung von Giacomo Puccinis Meisterwerk „La Bohème“ – eine Inszenierung, die durch ihre poetische Schönheit und harmonische Verschmelzung von Musik und Regiearbeit bestach. Die einfühlsame Wiederaufnahme der traditionellen Regiearbeit von Boyko Bogdanov, sorgsam neu belebt von Vera Petrova, erschuf ein atmosphärisch dichtes, emotional packendes Erlebnis. Diese Produktion ließ das Publikum tief eintauchen in eine Welt voller Liebe, Verlust und Sehnsucht – getragen von einer detailreichen Inszenierung und einem hochkarätigen Ensemble.
Bogdanovs Inszenierung, liebevoll von Vera Petrova neu einstudiert, führte die Zuschauer direkt in das Pariser Künstlermilieu des 19. Jahrhunderts. Die Balance zwischen der Romantik und den existenziellen Kämpfen der Figuren wurde einnehmend herausgearbeitet. In der Interaktion der Protagonisten spiegelte sich eine natürliche Leichtigkeit, die den schicksalhaften Wendungen der Handlung umso eindringlicher entgegenstand. Dabei blieb die Regie nah am Text und brachte zugleich feine, emotionale Nuancen hervor. Eine entzückende Idee war es, einen kleinen Schutzengel in der niedlichen Gestalt von Marina Andreeva in die Handlung einzubeziehen. Hie und da greift dieser in das Geschehen ein, was dem Ganzen Poesie verleiht.
Svetoslav Kokalovs Bühnenbild kreierte visuelle Kontraste, die die Tragik und die flüchtigen Freuden des Künstlerlebens greifbar machten. Die ärmliche Mansarde, in der die Geschichte beginnt und endet, war mit ihrer schlichten Gestaltung ein Sinnbild für die Zerbrechlichkeit der Träume. Im zweiten Akt öffnete sich die Szenerie zu einem lebhaften Jahrmarkt mit buntem Treiben, der die Heiterkeit und den Lebenshunger der Figuren eindrucksvoll einfing.
Diese visuelle Erzählkraft wurde durch die Kostüme von Petya Stoykova passend ergänzt, die historische Präzision mit individueller Charakterzeichnung verbanden. Besonders hervorzuheben sind die elegante Erscheinung von Mimì und die extravaganten Kleider Musettas, die die Charakterzüge der Figuren unterstrichen.
Foto: Copyright by Sofia Opera and Ballett
Neben der Inszenierung bereicherten auch die internationalen Gäste das Erlebnis. Im Rahmen eines Kulturaustausches mit der Oper Daegu in Südkorea traten einige junge Künstler in Sofia auf und hinterließen einen guten Eindruck.
SeungYup Han (Rodolfo) überzeugte mit einer lyrischen und doch kräftigen Tenorstimme. Auf der Basis einer kräftigen Mittellage gefiel sein Schmelz in den hohen Lagen und die berührende Gestaltung seiner Arie „Che gelida manina“ (mit mühelosem hohen C) ebenso wie die Emphase in den Duetten. Sein Zusammenspiel mit der Mimì von Silvia Teneva war von intensiver Chemie geprägt, wodurch die Liebesszenen eine authentische Tiefe erhielten.
Silvia Teneva als Mimì zeigte eine gute Balance aus stimmlicher Eleganz und emotionaler Authentizität. Ihre warmen, facettenreichen Sopranfarben unterstrichen Mimìs Zerbrechlichkeit, während ihre dynamische Gestaltung der großen Szenen, wie „Donde lieta uscì“, das Publikum fesselte. Schauspielerisch war sie einnehmend präsent, besonders in den Momenten der inneren Zerreißprobe. In den leisen, intimen Passagen offenbarte Tenevas Sopran eine berührende Zerbrechlichkeit. In den Höhen jedoch wirkte ihr Klang gelegentlich etwas angestrengt, was die Intonation in einzelnen Momenten trübte.
JunWeon Hwang überzeugte als Marcello durch sein kraftvolles Timbre und seine bühnenfüllende Ausstrahlung. Sein souveränes Schauspiel, gepaart mit einer guten Artikulation, verlieh der Figur eine bodenständige Glaubwürdigkeit. Mikhail Motailenko (Schaunard) und JunMon Park (Colline) vervollständigten das Quartett mit ihrem jugendlichen Charme. Parks Interpretation der „Vecchia zimarra“ war besonders eindringlich und sorgte für einen ergreifenden Moment.
Foto: Copyright by Sofia Opera and Ballett
YeSol Park als Musetta begeisterte mit einer stimmlich brillanten und szenisch sehr überzeugenden Gestaltung der selbstbewussten Lebedame. Ihr „Quando me’n vo“ war charmant und mitreißend, ebenso ihre einfühlsame Reaktion im Umgang mit Mimìs Todeskampf.
Auch die Nebenrollen wurden gekonnt interpretiert: Vladimir Marinov als Benoît brachte mit seiner humorvollen Darstellung des schlitzohrigen Vermieters viel Leichtigkeit in den ersten Akt. Dimitar Stanchev überzeugte als Alcindoro mit nuanciertem Spiel und einer stimmlich profunden Leistung. Mario Petrov als Parpignol sorgte im zweiten Akt mit seiner lebendigen Darstellung des Spielzeughändlers für einen weiteren besonderen Auftritt.
Der Chor unter der Leitung von Violeta Dimitrova und der Kinderchor „Talasumche“, einstudiert von Dimitar Kostantsaliev, trugen mit ihrer engagierten Darbietung wesentlich zur atmosphärischen Dichte des zweiten Aktes bei. Das lebendige Treiben des Jahrmarkts wurde musikalisch und darstellerisch eindrucksvoll umgesetzt.
Boian Videnoff führte das Orchester mit Sensibilität und Energie. Seine Interpretation war durch klare Linien und einen ausgewogenen Klang gekennzeichnet. Allerdings wären deutlichere Impulse von ihm wünschenswert gewesen. Obwohl Boian Videnoff das Orchester sensibel und klangschön führte, fehlten teils prägnantere Akzente in Dynamik und Farbgestaltung, um Puccinis vielschichtige Partitur in ihrer ganzen Lebendigkeit und Dramatik zu entfalten. Der frische und vielfarbige Klang des Lebens, den Puccini so genial in Noten geschrieben hat, war nur selten zu vernehmen. Das Orchester spielte klangschön und kultiviert, einzig dem Schlagzeug fehlte Markanz und Glanz.
Die Wiederaufnahme von „La Bohème“ in Sofia war ein gelungener Abend voller musikalischer und darstellerischer Glanzpunkte. Puccinis ergreifende Geschichte wurde in Sofia in ihrer ganzen Schönheit und Tragik lebendig. Am Ende hielt es niemanden mehr auf den Sitzen: Das gesamte Publikum erhob sich zu stehendem Applaus und feierte Künstler und Produktion enthusiastisch. Mit dieser „La Bohème“ hat die Nationaloper Sofia erneut bewiesen, dass sie zu den Opern-Juwelen Europas gehört. Eine Inszenierung, die sowohl durch ihre Authentizität als auch durch die jugendliche Frische der Besetzung unter die Haut ging.
Dirk Schauß, 25. Januar 2025
„La Bohème“ an der Nationaloper Sofia am 24. Januar 2025