Im Feuerkessel der Emotionen – Adriana Lecouvreur in Sofia – 2. Premiere
Der zweite Abend am 30. November präsentierte eine ebenso hochklassige, aber sängerisch und klanglich deutlich andere Besetzung. Diese Vielfalt unterstrich die außergewöhnliche Bandbreite des Ensembles und eröffnete eine neue, spannende Perspektive auf das Werk.
Gabriela Georgieva (Adriana)., Ventseslav Anastasov (Michonnet) Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi
Julia Krasteva beeindruckte mit ihrer klassisch-historischen Regie, die das Werk in seiner Essenz bewahrte und zugleich die theatralische Dimension kunstvoll betonte. Ihre Personenregie verlieh den Charakteren große Vielschichtigkeit: Die Hauptfigur wurde als leidenschaftliche, zugleich verletzliche Künstlerin dargestellt, während ihr Gegenpart zwischen verschmähter Liebe und Machtstreben schwankte. Die Antagonistin fesselte mit dunkler Präsenz und intensivem Spiel, das die komplexen Intrigen meisterhaft zum Ausdruck brachte. Auch die präzise, musikalisch durchdachte Choreografie der Gruppenszenen trug zur geschlossenen Wirkung der Inszenierung bei. Krasteva gelag es, den historischen Kontext des Werks zu bewahren und zugleich eine universelle, zeitlose Geschichte von Liebe und Verrat zu erzählen. Szene und Musik gingen dabei eine beeindruckende Symbiose ein – eine Qualität, die in der Opernwelt selten geworden ist.
Ein herausragender Aspekt dieser Produktion war die Lichtgestaltung von Emil Dinkov. Spektakuläre Lichteffekte verliehen der Inszenierung nicht nur visuelle Vielschichtigkeit, sondern verstärkten die emotionale Wucht der Handlung. Nachtstimmungen in tiefem Blau und geheimnisvollem Violett schufen eine stimmungsvolle Atmosphäre, während die hinreißenden Ballettszenen durch wechselnde Lichtfarben und Hintergründe eine besondere visuelle Dynamik erhielten. Unvergesslich war Adrianas Todesszene: In ihrem letzten Gesang wurde sie von gleißendem Licht umhüllt, während sich eine strahlende Lichtwolke über einen gigantischen Spiegel senkte – ein überwältigender Moment von tiefer Emotionalität.
Das Bühnenbild von Alfredo Troisi ergänzte diese visionäre Lichtregie durch eine opulente Theaterwelt. Marmorsäulen und kunstvoll drapierte Vorhänge ließen die Eleganz des 18. Jahrhunderts lebendig werden, während Vesna Radovic’ prächtige Kostüme den historischen Charakter betonten, ohne auf Funktionalität zu verzichten. Die Inszenierung verband Tradition und Modernität zu einem stimmigen Ganzen, das visuell wie dramaturgisch höchste Maßstäbe setzte.
In der Titelpartie brachte Gabriela Georgieva, die gefeierte Ortrud der diesjährigen Wagner-Festspiele, ein reiferes, dramatisches Timbre ein und überzeugte mit einer hingebungsvollen Darstellung. Ihre Stimme glänzte in „Io son l’umile ancella“ mit strahlender Höhe und eindringlichen dynamischen Nuancen. Große vokale Bögen, feinstes Mezza-Voce und betörende Pianissimo-Passagen machten ihre Darbietung zu einem Ereignis. Besonders im vierten Akt beeindruckte sie mit heroischem Aufbäumen und feinsten Schattierungen. Ihre Interpretation der „Poveri Fiori“ riss das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin – eine großartige Leistung, die zu Recht mit jubelnden Ovationen gefeiert wurde.
Kostadin Andreev (Maurizio). Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi
Kostadin Andreev verkörperte seinen Maurizio mit heldischem Tenor. Seine Interpretation war emotional sehr intensiv, auch wenn die Intonation nicht immer sicher war und einige Höhen arg forciert wirkten. Dennoch schuf er ein sensibles Rollenporträt, das durch leise, differenzierte Töne überzeugte. Szenisch zeigte er die innere Zerrissenheit seiner Figur glaubwürdig.
Gergana Rusekovas Principessa beeindruckte mit dramatischer Gestaltung und satter, stimmlicher Fülle. Ihre dunkle Stimme verlieh der Figur gefährliche Präsenz, während ihr darstellerischer Ausdruck die innere Zerrissenheit greifbar machte. Besonders die spannungsgeladenen Auseinandersetzungen mit Adriana erinnerten an die Intensität eines Thrillers. Stimmlich zeigte sie viel Passion und Feuer. Ihr charakteristisches Timbre korrespondierte gut mit den Anforderungen der Partie.
Gergana Rusekova (Principessa). Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi
Ventseslav Anastasov gestaltete Michonnet mit üppigem Bariton und großem Einfühlungsvermögen. Sein ausladender Klang und feines Legato unterstrichen die tragische Dimension der Figur eindrucksvoll. Solch stimmliche Klasse ist rar geworden – auch er war eine Idealbesetzung.
Die Nebenrollen waren mit Stefan Vladimirov (Prince de Bouillon) und Emil Pavlov (Abbè) ebenso hochkarätig besetzt. Vladimirov überzeugte durch kluge Zwischentöne und differenzierten Stimmklang, während Pavlov mit beweglicher Darstellung und hellem Timbre punktete. Petar Buchkov, einer der führenden Interpreten des Hagen, beeindruckte selbst in der kleinen Rolle des Quinault durch stimmliche Größe und szenische Präsenz. Angel Antonov (Poisson) sowie Ina Petrova und Tsveta Sarambelieva (Jouvenot und Dangeville) rundeten das Ensemble mit gelungenen Charakterstudien ab.
Der Chor gefiel auch am zweiten Abend mit Präzision und klanglicher Raffinesse, das Ballett begeisterte erneut mit anmutigen Gruppenszenen und Soli. Francesco Rosa dirigierte mit spürbarer Leidenschaft und brachte eine kraftvolle Lesart der Partitur hervor, die deutlich veristischer klang als am Vorabend. Besonders hervorzuheben war die Flexibilität, mit der er sein Dirigat auf die neue Besetzung abstimmte. Das Orchester spielte merklich freier und zeigte sowohl im kultivierten Tuttiklang als auch in den Solopassagen höchste Musikalität.
Der zweite Premierenabend war voller Dramatik und mitreißender Kraft. Einmal mehr zeigte sich, dass eine Inszenierung, die ein Werk ernst nimmt und authentisch erzählt, das Publikum unmittelbar erreicht. Wenn dies, wie in Sofia, mit so viel Kunstsinn und musikalischer Kompetenz geschieht, ist das Opernglück vollkommen.
Dirk Schauß, 03. Dezember 2024
Francisco Cilea
Adriana Lecouvreur
Neuproduktion an der Nationaloper Sofia, Vorstellung am 30.11.2024