Falstaffs humorvolle Intrigen: Eine brillante Premiere an der Nationaloper Sofia
Bardolfo, Falstaff, Pistola. Copyright by Opera Sofia and Ballett
Am 27. Februar 2025 erlebte das Publikum der Nationaloper Sofia eine außergewöhnliche Aufführung von Giuseppe Verdis „Falstaff“ – ein Werk, das nicht nur als Verdis letztes Bühnenstück gilt, sondern auch als eine seiner raffiniertesten Schöpfungen. Mit dem „Falstaff“ verabschiedete sich der große Komponist 1893 vom Musiktheater – und das mit einem Augenzwinkern. Statt der monumentalen Dramatik seiner früheren Werke setzte er auf feinsinnige Komik, rasante Ensembleszenen und eine spielerische, stets aktuell wirkende Reflexion über das Alter, die Eitelkeit und die ewigen Torheiten der Menschheit.
Die Herausforderung für den Regisseur dieser Inszenierung lag auf der Hand: Die Komik des Stücks sollte treffsicher, aber nicht übertrieben wirken – ein Balanceakt zwischen feinem Humor und klamaukfreier Unterhaltung. Marco Gandini, der bereits als Assistent von Franco Zeffirelli das Handwerk der klassischen Operninszenierung verinnerlicht hat, meisterte dies mit Bravour. Sein Falstaff bewahrte Würde, seine Komik war präzise und niemals platt. Sämtliche Charaktere wurden nicht zu Karikaturen verzerrt, sondern als Menschen mit all ihren liebenswerten Schwächen gezeichnet. Die Interaktionen wirkten stets natürlich, logisch aus dem musikalischen Kontext entwickelt. Die Inszenierung war verspielt und intelligent – ein Vergnügen für Geist und Sinne. Ein wahrer Coup gelang Gandini mit seinem Bühnenbild: Ein kleines Wasserbecken, das die besungene Themse symbolisierte, wurde kreativ in die Handlung integriert. Und natürlich – das Publikum ahnte es schon – durfte auch Falstaff höchstpersönlich darin baden. Als sein voluminöser Körper im berühmten Wäschekorb mit Schwung ins Wasser entleert wurde, brandete schallendes Gelächter durch den Saal. Doch das war nur eine von vielen raffinierten Details. Der dritte Akt verwandelte die Bühne in einen nächtlichen Zauberwald mit gespenstischem Riesenmond – ein poetischer Gruß an Shakespeares Sommernachtstraum. Hier traf feinsinniger Humor auf visuelle Magie. Italo Grassi lieferte mit seinem detailreichen Bühnenbild eine prachtvolle Kulisse für dieses Spektakel, während Anna Biagiottis Kostüme das Publikum mit opulenten Farben und aufwendigen Verzierungen in das England des 16. Jahrhunderts entführten. Besonders der Maskenball im Finale war ein Augenschmaus – eine Mischung aus barockem Prunk und verspielter Theatralik.
Doch was wäre eine Falstaff-Inszenierung ohne einen Sänger, der das Publikum mit Charme, Witz und stimmlicher Brillanz in seinen Bann zieht? Kiril Manolov erfüllte diese Rolle in jeder Hinsicht. Um es vorwegzunehmen: Der derzeit wohl beste Sir John in der Opernwelt kommt aus Bulgarien! Mit seiner imposanten Erscheinung und gewaltigen Stimme präsentierte sich Kiril Manolov als ideale Besetzung. Sein voluminöser, ausdrucksstarker Bariton ließ die Figur faszinierend lebendig werden – mal polternd, mal schelmisch, mal melancholisch. Er war nicht nur ein Sänger, sondern ein wahrer Geschichtenerzähler, der mit jeder Geste und jedem Blick das Publikum auf seine Seite zog. Von ihm ging zu jedem Zeitpunkt eine enorme Energie aus. Er blieb das unermüdliche Kraftzentrum, der den ganzen Abend nachhaltig prägte. Manolov ist Falstaff mit jeder Faser seiner riesigen Gestalt, wie er im Buche steht – und ein echter Publikumsliebling!
Nanneta, Quickly, Meg und Alice. Copyright by Opera Sofia and Ballett
Als Alice Ford trat die enorm vielseitige Gabriela Georgieva auf. Ob Turandot, Ortrud oder Medea, immer ist das Resultat eine herausragende Leistung. Es war schon faszinierend, wie gut sie ihre dramatische Stimme schlank führte, um Alices Kantabilität zu entfalten. Sie fügte ihrer Partie eine Eleganz und Musikalität hinzu. Darüber hinaus zeigte sie sich als eine stimmlich äußerst nuancierte Interpretin. Ihre Melancholie in den ruhigeren Momenten und die feine Virtuosität in den dramatischen Szenen ließen Alice zu einer der zentralen Figuren des Abends werden. Dazu zeigte sich als wandlungsfähige Darstellerin mit charmanter Ausstrahlung. Ventseslav Anastasov als ihr Gatte, zeigte eine starke Bühnenpräsenz, die den Neid und die Eifersucht seines Charakters überzeugend zum Leben erweckte. Anastasov empfahl sich als hervorragender Bariton in einer Qualität, wie sie bei Verdi inzwischen leider selten geworden ist. Er gebietet über eine große, kräftige Stimme, die den herrischen, aber letztlich missverstandenen Charakter von Ford bestens verkörpert. Gerade bei Verdi kann Anastasov sein volles Potenzial entfalten und mit mächtigen Höhen begeistern.
Die jugendlichen Liebenden Nannetta und Fenton wurden von Silvia Teneva und Emil Pavlov souverän verkörpert. Tenevas Sopran glänzte durch eine klare, strahlende Höhe, die besonders in den lyrischen Passagen der Partie zur Geltung kam. Ihre Musikalität und ihre glaubwürdige Bühnenpräsenz verliehen Nannetta eine natürliche Ausstrahlung. Hie und da zeigten sich bei ihr auftretende Schwächen in der Intonation, die sich durch eine bessere Atemstütze beheben ließen. Emil Pavlov als Fenton besaß eine warme, angenehm geführte Tenorstimme, die in den romantischen Szenen eine berührende Emotionalität und in den komödiantischen Momenten eine humorvolle Leichtigkeit besaß. Seine kleine, gar nicht leichte Arie im dritten Akt, war ein besonderer Genuss. Mit feinem Klangssinn und Stilsicherheit war er eine ausgezeichnete Wahl.
Besonders hervorzuheben ist die Leistung von Mariana Pencheva als Quickly. Als eine internationale Größe in der Opernwelt gab sie dieser Rolle nicht nur den nötigen Witz, sondern auch ein scharfes, kalkuliertes Profil. Ihre Darstellung der cleveren und intriganten Quickly war von einer beeindruckenden Präsenz und einer präzisen Spielfreude geprägt, die ihr die ideale Balance zwischen Komik und Tiefe verlieh. Penchevas Stimme, warm und ausdrucksstark, fügte sich nahtlos in das Ensemble ein, wobei sie der Figur eine scharfsinnige Lebendigkeit verlieh, die den gesamten Verlauf der Oper prägte. Ihre Fähigkeit, mit subtilem Witz und einer feinen, skurrilen Raffinesse zu agieren, hat sie zu einer der tragenden Säulen der Aufführung gemacht. Von besonders ausgeprägter Sonorität waren ihre tiefen Töne, da könnte so mancher Bass neidisch werden. Referenza!
In den Nebenrollen waren ebenfalls starke Darsteller zu hören. Maria Radoeva als Meg ergänzte die Hauptbesetzung mit charmanten, oft komischen Momenten. Radoeva als Meg steuerte eine liebenswürdige, aber zugleich kämpferische Note zu der illustren Gesellschaft bei. Auch die kleineren Rollen, wie Dr. Cajus (Krasimir Dinev), der prägnante, stimmstarke Bardolfo (Nikolay Pavlov) und der sonore Pistola (Alexandar Nosikov), wurden mit großer Hingabe und präziser musikalischer Ausführung gestaltet, wobei jeder von ihnen einen individuellen Charakter in die Aufführung einbrachte und so zur Gesamtwirkung beitrug.
Ein großes Lob gebührt dem Orchester der Nationaloper Sofia unter der Leitung von Grigor Palikarov. Er verstand es, Verdis raffinierte Partitur mit Leichtigkeit und Präzision zu gestalten. Die Tempi waren spritzig, die Übergänge fließend, die Balance zwischen Orchester und Sängern vorbildlich. Besonders in den Ensembleszenen, in denen Verdi eine wahre Kunst der musikalischen Gesprächsführung entfaltet, bewies das Orchester eine hohe Präzision und Spielfreude.
Der Chor, geleitet von Violeta Dimitrova, glänzte mit feinem Klang, mitreißender Energie und darstellerischem Engagement. Besonders in der berühmten Schlussszene – „Tutto nel mondo è burla“ – war die Begeisterung auf und vor der Bühne intensiv spürbar.
Am Ende: tosender Applaus, Jubelrufe, stehende Ovationen für alle und endlich viele glückliche Gesichter! Es war einer jener ganz besonderen Abende, an denen einfach alles passte – von der Regie über das Bühnenbild bis zu den Solisten und dem Orchester. Marco Gandini und sein Team hatten nicht nur eine unterhaltsame, sondern auch eine kluge, stilvolle Falstaff-Inszenierung auf die Bühne gebracht, die den feinen Humor Verdis ebenso ernst nahm wie seine melancholischen Untertöne.
Finale. Copyright by Opera Sofia and Ballett
Diese Falstaff-Premiere an der Nationaloper Sofia war ein Fest für Auge, Ohr und Herz – ein Triumph auf ganzer Linie!
Dirk Schauß, 04. März 2025
Premiere von Giuseppe Verdis “Falstaff” an der Nationaloper Sofia am 27. Februar 2025