Eine neue Sternstunde für „Turandot“ an der Nationaloper Sofia: Gabriela Georgieva begeistert als Titelheldin. Besetzung B.
Foto: Copyright by Opera Sofia and Ballett
Am 11. Januar 2025 erlebte das Publikum an der Nationaloper Sofia eine weitere beeindruckende Vorstellung von Puccinis „Turandot“, die mit einer neuen Besetzung in den Hauptrollen für frischen Wind sorgte. Besonders Gabriela Georgieva, die in der Titelpartie auftrat, fesselte mit einer darstellerischen und stimmlichen Leistung, die in ihrer Intensität und Dramaturgie auf höchstem Niveau angesiedelt war. Diese Vorstellung bot eine bemerkenswerte Gelegenheit, die Vielfalt und das Talent der bulgarischen Opernsänger auf der internationalen Bühne zu erleben.
Wie bereits am Vortag war die Inszenierung von Plamen Kartaloff eine brillante Mischung aus historischem Kontext und zeitgemäßer Interpretation. Kartaloff verzichtet auf eine visuelle Überfrachtung und lässt den Raum für die szenische Kraft der Musik und der Charaktere. In Sofia findet jeder Opernenthusiast, der vor allem in Westeuropa durch den Irrsinn des verkopften und hässlichen „Regietheaters“ ermüdet ist, ein beglückendes Theatererlebnis! Ein Könner wie Plamen Kartaloff zeigt eindrucksvoll, dass eine werkentsprechende Interpretation keineswegs museal oder einfallslos ist – ganz im Gegenteil! Immer wieder begeistern in Kartaloffs kluger Arbeit neue Details. Ein Beispiel: Anstelle des komponierten Kusses zwischen Calaf und Turandot treten deren Wachen auf, um die Prinzessin zu schützen. Sie wehrt diese Intervention ab, sie weiß, sie hat verloren. Erst als Calaf sagt, dass sie gewonnen hat, ist der Bann gebrochen, und es kommt zum Kuss.
Der majestätische chinesische Palast auf der Bühne wird von Ioanna Manoledaki als wahres Kunstwerk umgesetzt, wobei das imposante Bühnenbild auch in dieser Vorstellung den kaiserlichen Hof in all seiner Pracht widerspiegelte. Die Monumentalität des Thronbereichs, die Reliefs und die warmen Farben, die mit gezielten Beleuchtungseffekten gespielt werden, machten auch die zweite Aufführung zu einem optischen Erlebnis. Besonders das Spiel mit der Beleuchtung, das zwischen den goldenen und roten Tönen der ersten Szene und den kühlen Blautönen in den intimeren Momenten wechselte, unterstrich die dramatische Spannung und die tiefen emotionalen Konflikte der Charaktere.
Die Besetzung des Abends überzeugte sowohl in den führenden als auch in den Nebenrollen. Gabriela Georgieva, die in der Partie der Turandot eine ebenso atemberaubende wie imposante Präsenz zeigte, setzte mit ihrer kraftvollen, hochdramatischen Stimme neue Maßstäbe. Bereits ihr erster stummer Auftritt hatte es in sich. Mit dominanter Geste zeigte sie ganz unmissverständlich, dass sie die zentrale Machtperson ist. Sie meisterte Puccinis anspruchsvolle Arien mit einer Mischung aus technischer Präzision und vokaler Wucht, was sie zu einer würdigen Erbin der großen bulgarischen Turandot-Tradition machte. Ihre Stimme, die mit einem kräftigen, durchdringenden Klang füllte, zeigte sich bei der berühmten „In questa reggia“ ebenso fesselnd wie in der finalen Szene, in der Turandot schließlich ihre Mauer des Schweigens und der Kälte überwindet. Stimmlich wusste sie klug zu färben und dynamisch zu differenzieren. Ihre ausgezeichnete Textverständlichkeit und das Spiel mit den Konsonanten verliehen ihrer Partie eine starke suggestive Wirkung. In ihrer expressiven Mimik ereignete sich das Drama ihres Kontrollverlustes, so zeigte Georgieva auch in ihrer Darstellung ein vielschichtiges Bild dieser verletzten Frauengestalt. Besonders berührend gelang ihr die Bitte an ihren Vater, sie nicht Calaf zu überlassen. Plötzlich konnte der Zuschauer fühlen und erahnen, wie sehr diese Frau von den Leiden ihrer Vergangenheit gepeinigt wurde. Sehr überraschend konnte Georgieva ihrer mächtigen Stimme feine, weiche Stimmfarben entlocken. Ein Erlebnis!
Jorge de Leon (Calaf). Foto: Copyright by Opera Sofia and Ballett
Die Rolle des Prinzen Calaf wurde erneut von Jorge de León meisterhaft verkörpert. Zwei Vorstellungen als Calaf hintereinander? Kein Problem für den stets sicher wirkenden Tenor aus Spanien! Im Gegenteil, de León konnte sogar seine Leistung vom Vortag noch steigern. Mit seiner kraftvollen, leidenschaftlichen Tenorstimme und seinem charismatischen Auftritt bleibt de León ein unbestrittener Star der Aufführung. Besonders in der Arie „Nessun dorma“ entfaltet sich sein gesamtes stimmliches Potenzial – eine darstellerische Leistung, die das Publikum mitriss.
Besonders bemerkenswert war auch die Leistung von Silvia Teneva als Liù. Die junge bulgarische Sopranistin verlieh der tragischen Figur eine zarte, aber dennoch eindrucksvolle Stimme, die vor allem in der „Signore, ascolta“ zu einem der emotionalsten Momente des Abends wurde. Ihre Darstellung der Liù, die sich in ihrer Liebe zu Calaf opfert, wurde von der Sopranistin mit einer beeindruckenden Mischung aus Anmut und Natürlichkeit versehen. Ihr gelang mit ihrem Gesang ein berührender Herzenston, der sich vor allem aus den leisen Momenten gestaltete. Sie fühlte intensiv, was sie sang.
In der Rolle des Timur überzeugte Angel Hristov mit seinem wuchtigen Bass, der die Tragik und das Leiden des verstoßenen Königs in den Vordergrund stellte. Hristov verstand es, das emotionale Gewicht dieser Rolle ohne Übertreibung, aber mit klarer Präsenz zu vermitteln. Seine Klage über den Verlust von Liù ging unter die Haut. Viel Freude erzeugte wieder das Trio der Minister Ping, Pang, Pong. Die Sänger Atanas Mladenov, Angel Antonov und Daniel Ostretsov sind vorzüglich aufeinander eingespielt und stimmlich gut abgestuft. Ihre Auftritte waren eine große Bereicherung. Herrlich einmal mehr der Mandarin von Vesselin Mihaylov.
Foto: Copyright by Opera Sofia and Ballett
Unter der kompetenten Leitung von Grigor Palikarov zeigte das Orchester der Nationaloper Sofia erneut sein hohes Niveau. Besonders die brillante Klarheit und Präzision der Holz- und Blechbläser und die emotional aufgeladenen Streicherpassagen unterstrichen die dramatischen Momente der Oper. Das viel geforderte Schlagzeug war bestens abgestimmt. Das Orchester sorgte für eine dichte Klangatmosphäre, die das Spannungsfeld zwischen Turandots kalter Herrschaft und der aufkommenden Liebe zu Calaf farbenreich untermalte.
Der Chor unter Violeta Dimitrova glänzte nicht nur mit seiner musikalischen Qualität, sondern auch mit einer eindrucksvollen Bühnenpräsenz. Besonders in den Momenten, in denen die Choristen als Volk von Peking in Aktion traten, wurde der immense Gegensatz zwischen der Macht des Kaisers und den Opfern des Volkes spürbar. Die präzise Artikulation und die engagierte Darbietung des Chores trugen zur Gesamtdramaturgie bei und verstärkten die emotionale Intensität. Anrührend in Spiel und feinem Gesang gefiel der gut einstudierte Kinderchor Talasumche unter der Leitung von Dimitar Kostantsaliev.
Die Aufführung von „Turandot“ an der Nationaloper Sofia am 11. Januar 2025 war ein herausragendes Beispiel für die hohe Qualität und die reiche Operntradition Bulgariens. Gabriela Georgieva hat in ihrer Darstellung der Prinzessin Turandot alle Erwartungen übertroffen und sich als eine der besonders faszinierenden Interpretinnen dieser Rolle etabliert. Die Inszenierung und das Bühnenbild rundeten das Erlebnis ab und schufen eine visuelle, musikalische Welt, die den Zuschauer tief in die Welt Puccinis eintauchen ließ. Besonders hervorzuheben ist, dass diese Aufführung nicht nur durch ihre künstlerische Qualität glänzte, sondern auch durch die bemerkenswerte Leistung aller beteiligten Künstler, die mit Leidenschaft und Hingabe ihre Rollen ausfüllten.
Dirk Schauß, 13. Januar 2025
„Turandot“ am 11. Januar 2025 an der Nationaloper Sofia