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SOFIA/ Nationaloper: „Der Ring des Nibelungen“ – „GÖTTERDÄMMERUNG“ als furioses Finale mit einer Weltklasse-Brünnhilde

22.06.2024 | Oper international

SOFIA/ Nationaloper: Götterdämmerung – Furioses Finale mit einer Weltklasse Brünnhilde

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Iordanka Derilova als Brünnhilde. Foto: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Mit einer Inszenierung von atemberaubender Intensität und visueller Opulenz brachte die Sofia Oper die „Götterdämmerung“ am 20. Juni 2024 zur Aufführung und bescherte dem Publikum einen unvergesslichen Abend. Unter der Regie von Plamen Kartaloff und der musikalischen Leitung von Evan-Alexis Christ wurde das letzte Werk des monumentalen Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner zu einem Ereignis von bewegender Emotionalität. Die herausragenden Leistungen der Solisten, insbesondere Iordanka Derilova als Brünnhilde, setzten Maßstäbe und ließen die Aufführung zu einem triumphalen Finale werden. Die Inszenierung der „Götterdämmerung“ in Sofia entfaltet sich von Anfang an in einem mystischen Schleier, der das Publikum in seinen Bann zieht. Das Bühnenbild von Hans Kudlich, kunstvoll gestaltet, präsentiert nicht nur die Nornen-Szene, sondern bietet auch weitere faszinierende Momente, die das Publikum in die Welt des „Ring des Nibelungen“ eintauchen lassen. Der Prolog, der von den drei Nornen in einem fesselnden nächtlichen Blau präsentiert wird, zeigt eine ästhetische Meisterschaft. So weben die Nornen das Schicksalsseil und halten dazu eine leuchtende Kugel in der Hand. Anna Verle, Ina Petrova und Lyubov Metodieva, als die drei Nornen, weben nicht nur das Schicksal, sondern verkörpern es in ihren wohlüberlegten und schicksalsshaften Handlungen, während sie auf gutem musikalischem Niveau singen.

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Brünnhilde und Waltraute. Foto: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Brünnhilde und Siegfried begegneten sich als wahre Liebende. Dann brach Siegfried auf dem Rücken des roten Grane zur Rheinfahrt auf. Bei den Gibichungen spielen Gunther und Gutrune Schach, während Hagen fortwährend das Geschehen beobachtet. Die Wiedergabe von Hagen in einem Triskel mit einer imposanten altgermanischen Maske verleiht der zentralen Figur eine zusätzliche visuelle Bedeutung. Im Verlaufe gelingen Regisseur spannende und ungewöhnliche Einfälle. So ist in allen drei Aufzügen immer wieder Alberich als Beobachter präsent. Ihm gehören starke Szenen. Siegfried reitet dann mit Gunther gemeinsam auf Grane zum Brünnhildenfelsen. Dort liegt Brünnhilde im Ring des Feuers und spielt selbstvergessen mit dem Ring. Waltraute kommt sodann mit ihrem Pferd auf die Bühne gestürmt und berichtet vom Schicksal der Götter. Dazu wird eine Schräge hereingefahren auf der Wotan mit dem zerbrochenen Speer der Macht sitzt, ihm frontal gegenüber gestellt, ist Fricka. Freia, Donner und Froh sind auch anwesend. Nach und nach kommen alle Walküren auf ihren roten Pferden dazu. Ein ganz starkes Bild, gleich einer großen Familienaufstellung. Bei der Familie der Götter erleben die Zuschauer zudem ein Wiedersehen der Protagonisten aus der „Rheingold“-Vorstellung.

Im dramatischen zweiten Aufzug gibt es eine äußerst packende Szene zwischen Hagen und Alberich. Der Mannenchor, geschickt in den drei Triskeln arrangiert, verstärkt die visuelle Präsenz und verleiht der Szene eine bildhafte Wucht. Sodann präsentiert Gunther Brünnhilde gleich einer Trophäe auf seinem Pferd. Alberichs Beobachtungen sind intensiv und münden am Ende des Aufzuges in einen tollen Einfall. In Kartaloffs Inzenierung gibt es keinen Brautzug, sondern die Schlussmusik gehört mit all ihrem Pomp einem triumphierend nach vorne schreitenden Alberich!

Der dritte Aufzug besticht durch seine Naturstimmungen. Der Waldvogel schwebt wieder durch die Luft und begeistert einmal mehr mit seiner Anmut. Zu den Klängen des Trauermarsches kommt Grane auf den gestorbenen Siegfried zu und bewegt sich mit ihm immer wieder langsam auf der Bühne. Es sind solche intensiven Bildwirkungen, die sich beim Zuschauer in die Unvergesslichkeit einprägen. Alberich zeigt sich über Siegfrieds Tod deutlich erfreut. Nach Gunthers Tod kommt es zu einem weiteren starken Moment. Die beiden Frauen, Rivalinnen, Gutrune und Brünnhilde nähern sich an und umarmen sich innig, um sich Trost zu spenden. Ein intensiver Augenblick. Grane, das knallrote Ross, tritt erneut in Erscheinung  und reitet mit Brünnhilde am Ende mutig in die Flammen. Wasser, Sonnenstrahlen, die glücklichen Rheintöchter, ein hoffnungsvoller Schluss. Regisseur Plamen Kartaloff gelang es, eine ästhetische Vision zu schaffen, die sowohl zeitgenössisch als auch ansprechend ist. Seine Inszenierung zeichnet sich durch Fantasie, Abstraktion und gelegentlichen Surrealismus aus, wobei die Musik Wagners stets als Leitfaden dient. Eine großartige Arbeit dieses Theaterzauberers, die durch ihre Ästhetik und ihr spürbares Wissen über das Werk überzeugt. Es ist bannende Inszenierung, die viele Schauwerte bietet und immer wieder durch sinngebende, neue Einfälle besticht.

Iordanka Derilova ist Brünnhilde, sprichwörtlich und was für eine! Die erstklassige bulgarische Brünnhilde aus Dessau ist ohne Zweifel der strahlende Stern dieser Produktion. Und ihre Leistung war atemberaubend! Ihr kräftiger, leuchtender und alle Höhen mühelos meisternder hochdramatischer Sopran sowie auch ihre einfühlsame Darstellung lassen sie einmal mehr zum Star des Abends werden. Weltweit und darauf kann Sofia zurecht stolz sein, gibt es kaum eine Sängerin, die diese Rolle derart perfekt verkörpert, wie die Derilova. Stimmliche Weltklasse, charismatische Darstellung werden ergänzt durch eine herausragende Textverständlickeit und wissende Auslegung des gesungenen Wortes. Dies ist absolut einzigartig. Es kann einen fassungslos machen, dass die große internationale Opernwelt diese herausragende Sängerdarstellerin nicht gebührend beachtet. Die Derilova würde die größten Opernhäuser der Welt in ein Auditorium der Euphorie versetzen. Das Publikum fühlte genau, welchen besonderen Abend es geschenkt bekam und feierte die glückliche Sängerin mit gewaltigen Ovationen!

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Foto: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

An ihrer Seite war Martin Iliev ein überzeugender Siegfried mit leicht baritonalem Tenor, der seiner Partie neue Facetten jenseits des Heldischen geben konnte. Nachdenklich und auch nach innen gewandt zeigte er eine Rollenauffassung, die ungewöhnlich war und ihrer Vielschichtigkeit überzeugte. Sein Gesang war in der Mittellage mühelos und die Ausdauer bemerkenswert. Allein die Höhe ist problematisch und nicht in die Gesangslinie eingebunden, sodass leider die Waldvogel-Erzählung zur tenoralen Zitterpartie wurde, da er die vielfach geforderten hohen Notenwerte kaum erreichte. An diesen technischen Defiziten sollte Illiev arbeiten, zumal er dann auch freier in der Dynamik gestalten könnte, als sich fortwährend im Forte-Gesang aufzuhalten.

Petar Buchkov ist ein finsterer Hagen, der genau die Strippen zu ziehen weiß. Seine dunkle Stimme in feiner Bassgrundierung bleibt der fordernden Rolle nichts schuldig. Seine wissende Textgestaltung war gut und seine Bühnenwirkung stark. Faszinierend war seine dynamische Bandbreite. In den leisen Passagen wirkte sein Charakter ungemein suggestiv.  Mit selten anzutreffender Perfektion gelang ihm der Tonfall der Schläfrigkeit zu Beginn des zweiten Aufzuges. In den Mannenrufen wuchs seine Stimme zur gewaltigen Klangstärke an. Eine imponierende Leistung.

Daneben beeindruckte aber auch wieder der noch relativ junge und mit großem Potenzial  ausgestattete Atanas Mladenov als Gunther. Die Sieglinde aus der „Walküre“, Tsvetana Bandalovska, war eine ebenso überzeugende Gutrune, mit starker Persönlichkeit wie Mladenov.

Alexandrina Stoyanova-Andreeva sang mit ihrem klangvollen Mezzo eine sehr ansprechende Waltraute mit einer einnehmenden Walhall-Erzählung, ein starker emotionaler Moment im Dialog mit Brünnhilde.

Plamen Dimitrov beeindruckte in seinem nächtlichen Besuch bei Hagen mit viel Stimmcharakter. Dieser besondere Sängerdarsteller strahlte in seinen Rollen eine starke Kraft aus und zog durch seine körperliche Präsenz deutlich die Aufmerksamkeit auf sich.

Die Rheintöchter Stanislava Momekova, Ina Petrova und Alexandrina Stoyanova-Andreeva brachten eine zusätzliche Dimension in die Szene mit Siegfried im 3. Aufzug. Ihr Gesang war gut abgestimmt und die Stimmen harmonierten prächtig.

Der Chor der Sofia Oper, unter der einfühlsamen Leitung von Violeta Dimitrova, präsentierte sich kraftvoll und präzise. Ihre Stimmen verschmolzen zu einem klangvollen Ensemble, das die Szene mit einer mitreißenden Energie und einer beeindruckenden stimmlichen Vielseitigkeit füllt. 

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Foto: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

Evan-Alexis Christ erwies sich als hervorragende Wahl Kartaloffs für die musikalische Leitung dieses „Ring“. Christ dirigierte mit unermüdlichem Engagement, durch das sich das Orchester der Sofia Oper hörbar motivieren ließ. Klug disponierte er die Steigerungsmomente und wusste klare Ruhepunkte zu setzen. Die Balance war vorzüglich, sodass kein Sänger in Bedrängnis geriet. Dieser „Ring“ klang anders als üblich, durch eine etwas verkleinerte Orchesterbesetzung, was sich aber nicht hörbar auf die Substanz auswirkte. In den großen Orchestermomenten war das Orchester voll da. Traumhaft gut gelangen die Zwischenspiele und besonders der mit natürlichem Pathos vorgetragene Trauermarsch. Sein Kontakt mit den Sängern war an allen vier Abenden vorbildlich. Fortwährend hielt er das Geschehen unter Hochspannung und trieb das Drama voran. Ein durch und durch wissender Dirigent, der genau versteht, wie die Tetralogie angelegt werden muss, um dann alle Kräfte in der finalen „Götterdämmerung“ kulminieren zu lassen. Sofia sollte sich den smarten Dirigenten unbedingt für weitere Produktionen sichern, zumal die Chemie zwischen ihm und dem Orchester stimmt, was das gemeinsame Musizieren immens befruchtete. Das Orchester der Nationaloper Sofia war der zentrale Aktivposten der vier Abende. Mit Konzentration und Ausdauer musizierte der Klangkörper auf hohem Niveau mit viel Aufmerksamkeit für die Details. Die Orchestergruppen harmonierten prächtig. Einzig das Schlagzeug könnte etwas präsenter geklungen haben, was womöglich der ungünstigen Platzierung in der Seitenloge geschuldet sein mag. Streicher, Holz- und Blechbläser sowie Pauke boten ein breites und intensives Spektrum an Farben, sodass zurecht stets das Orchester im zentralen Zuspruch des Auditoriums stand, wie auch der fabelhafte Dirigent. Am Ende konnte er sich und das auf der Bühne stehende Orchester über die Ovationen freuen. Der Jubel währte lange und das Publikum zeigte sich glücklich.

Die Inszenierung der „Götterdämmerung“ in Sofia ist ein Glanzstück, das die Stärken von Regie, musikalischer Leitung und darstellerischen Höchstleistungen vereint. Kartaloffs visionäre Regie schafft es, das komplexe Werk Wagners in einer Weise auf die Bühne zu bringen, die sowohl ästhetisch ansprechend als auch inhaltlich tiefgründig ist. Der Abend zeigte, wie Wagner sowohl in historischer als auch in moderner Inszenierung lebendig bleiben kann, und bot dem Publikum eine fesselnde Mischung aus Tradition und Innovation. Sofia kann stolz auf diese herausragende Produktion sein, die einen wichtigen Beitrag zur Wagner-Rezeption im 21. Jahrhundert leistet. Plamen Kartaloff ist ein Visionär, der mit seinem fabelhaften Ensemble Richard Wagner große Ehre zuteilwerden ließ. Jeder Opernfreund, der eine „Ring“-Inszenierung sehen möchte, die sich an der Vorgabe der Partitur orientiert, sollte sich 2025 für das nächste Wagner Festival in Sofia vormerken.

Dirk Schauß, 21. Juni 2024

Besuchte Vorstellung der „Götterdämmerung“ am 20. Juni 2024 in der Nationaloper Sofia

Richard Wagner

Götterdämmerung

Evan-Alexis Christ, Leitung

Fotos: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi

 

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