Die Walküre in Sofia beim Wagner Festival – Große Gefühle
1. Akt Szene Hunding, Sieglinde und Siegmund. Foto: Svetoslav Nikolov-Chapi
Am 16. Juni erlebte das Publikum des Richard Wagner Festivals in Sofia einen der Höhepunkte der diesjährigen Aufführungsreihe: Die mit Spannung erwartete Inszenierung von „Die Walküre“. Unter der künstlerischen Leitung von Plamen Kartaloff und der musikalischen Leitung von Evan-Alexis Christ versprach der Abend eine mitreißende Darbietung des zweiten Teils des „Ring des Nibelungen“ zu werden. Die Nationaloper Sofia, bekannt für ihre innovative und zugleich werkgetreue Interpretation klassischer Werke, brachte mit einer beeindruckenden Besetzung und einer ausgeklügelten szenischen Gestaltung die dramatische Wucht und starke Emotionalität von Wagners Werk zur vollen Entfaltung.
Das Geschehen auf der Szene begann mit einer Menschenjagd. Das Zielobjekt ist Siegmund, der von den Häschern Hundings durch den Sturm getrieben wird. Die Häscher kommen im zweiten Aufzug wieder, um das Geschwisterpaar aufzuspüren. Die Welt der Menschen ist brüchig, was sich in der Bühnengestaltung vermittelt. Auf der linken Seite ist eine Dreieck-Metallkonstruktion mit Treppenaufgang zu sehen, zur rechten Seite ein Triskel. Beide Elemente sind durch eine Schräge miteinander verbunden. Der Rundhorizont wird für stimmungsvolle Farbprojektionen genutzt. Auch Wotans Welt im zweiten Aufzug ist aus den Fugen geraten. Die Kreisbögen sind nun einzeln auf der Bühne angeordnet. In deren Mitte hat Brünnhilde dann einen wirklich spektakulären Auftritt auf einem feuerroten Pferd. Brünnhilde verweilt auf Grane bis zum Ende von Wotans Monolog. Das Pferd ist kein Dekor, sondern ein interagierender Partner. Dieser Effekt wurde von Kartaloff mit einer der ungewöhnlichsten Ideen für den Walkürenritt im dritten Aufzug gesteigert. Alle Walküren saßen auf roten Pferden, die auf einer Metallkonstruktion befestigt waren und von schwarz gekleideten Bühnenarbeitern geschoben wurden. Somit war es möglich, dass die Sängerinnen sich mit den Pferden bewegen konnten! Riolina Topalova hatte dazu eine ideale Choreografie einstudiert. Und natürlich gab es einen wirkungsvollen Feuerzauber in selten anzutreffender Pracht.
Walkürenritt/Akt 3. Foto: Svetoslav Nikolov-Chapi
Überzeugend entwickelte einmal mehr Plamen Kartaloff seine Personenführung ganz aus dem Geiste der Partitur. Und wieder gelangen diesem Meister der Szene beeindruckende Darstellungen. Selten war die Entwicklung von Wotan und dessen tiefer Fall so eindrücklich und schmerzvoll zu erleben. Zu Beginn der Auseinandersetzung mit Fricka strotzt Wotan noch voller Selbstsicherheit. Doch Fricka beugt und demütigt ihn auf schmerzvolle Weise. Der Dialog des Ehepaares war ein spannender Thriller-Moment, in welchem sie fortwährend wie Raubtiere umeinander kreisten. Kartaloff nutzte die Erzählungen von Siegmund und Wotan dazu, die vorgetragenen Handlungsmomente szenisch zu übersetzen. Ein weiterer kluger Gedanke, der eine ansprechende Umsetzung erfuhr. Das Sänger-Ensemble agierte völlig natürlich und immer passend zum gesungenen Wort. Eine Wohltat. Dieser künstlerische Ansatz trug entscheidend dazu bei, dass dieser Abend besonders erinnerungswürdig geriet. Kein verkopftes Regietheater, das unbedingt progressiv sein will, sondern mit Plamen Kartaloff ist ein großer Könner am Werk, der zeigt, dass eine werkdienliche Inszenierung durchaus innovativ und zeitlos wirken kann. Glückliches Sofia, das einen solchen Theater-Giganten am Haus beheimatet, der für eine außergewöhnliche Atmosphäre und Qualität verantwortlich ist, auf deren Grundlage Großes erfolgreich gedeiht!
Die Darbietungen von Martin Iliev als Siegmund und Tsvetana Bandalovska als Sieglinde waren von intensiv und anrührend. Martin Iliev verkörperte Siegmund mit einer Mischung aus Verletzlichkeit und Entschlossenheit. Seine Interpretation des vom Kampf gezeichneten Helden zeigte eine tiefgründige emotionale Bandbreite, die von der Verzweiflung über sein Schicksal bis hin zur unbezähmbaren Hoffnung auf ein besseres Leben reichte. Seine stimmliche Präsenz und nuancierte Gestik ließen den Charakter lebendig werden und ermöglichten es dem Publikum, sich mit seinem inneren Konflikt zu identifizieren. Sein baritonales Timbre war passend und seine Textverständlichkeit gut. Einzig in seiner Dynamik blieb er etwas monochrom. Zu selten wagte er es, Phrasen leise zu singen, was bedauerlich war, da diese Momente seiner Stimme besonders gut anstanden.
Tsvetana Bandalovska brillierte als Sieglinde mit einem warmen, ausdrucksstarken Sopran, der die zarten Nuancen der Rolle gut einfing. Ihre Darstellung wirkte deutlich verinnerlicht. Von ihrem ersten Auftritt an verkörperte sie die gebrochene Seele Sieglindes, gefangen in einer unglücklichen Ehe und voller Sehnsucht nach Erlösung. Besonders beeindruckend war ihr klangvoller Schrei der Begeisterung bei der Schwertgewinnung, der die Freude und Hoffnung auf eine neue Zukunft eindrucksvoll zum Ausdruck brachte. Im dritten Aufzug gelang ihr mit dem „Hehrsten Wunder“ ein stark bewegender Moment. Zusammen bildeten Martin Iliev und Tsvetana Bandalovska ein überzeugendes Duo, das die zentralen Figuren von Siegmund und Sieglinde mit Tiefe, Leidenschaft und Authentizität zum Leben erweckte.
Bjarni Thor Kristinsson faszinierte als Hunding. Ein finsterer Geselle, wie ein brutaler Wikinger, bewaffnet mit zwei Streitäxten und mit einem charaktervollen Bass. Seine Interpretation der Rolle war von einer düsteren Intensität. Seine beeindruckende Bühnenpräsenz brachte den Konflikt zwischen Gut und Böse auf fesselnde Weise zum Ausdruck.
Wotan im 3. Akt. Foto: Svetoslav Nikolov-Chapi
Mit seiner eindrucksvollen Gestalt und seinem kraftvollen, herrlichen Bariton verkörperte Aris Argiris den Wotan mit einer fesselnden Identifikation. Seine Interpretation des Göttervaters zeigte eine starke mimische Intensität und eine italienische Stimmführung, die sowohl die emotionale Bandbreite als auch die charakterliche Komplexität der Rolle bestens zum Ausdruck brachte. Argiris gelang ein enorm facettenreiches Charakterbild des Göttervaters. Seine dynamische Bandbreite war vorbildlich, vom Flüsterton bis zum heroischen Ausbruch. Argiris wagte viel und überraschte, verzauberte vielfach mit seinem vielschichtigen Porträt. Intensive Schmerzenstöne, Bitterkeit, Zynismus und heroische Phrasen standen ihm überreich und konditionsstark zur Verfügung. Mit dieser besonderen Leistung verwies Argiris manch prominenteren Kollegen auf die hinteren Plätze. Ein weiterer vokaler Höhepunkt in Sofia!
Die Darbietung von Gergana Rusekova als Brünnhilde war von einer blendenden Mischung aus Stärke und Zärtlichkeit charakterisiert. Ihre üppige Stimme, die großzügigen Phrasierungs-Bögen und ihre kraftvolle Bühnenpräsenz verliehen der Walküre eine intensive Ausstrahlung und machten sie zu einer faszinierenden, mitreißenden Figur auf der Bühne. Besonders eindrucksvoll geriet ihr die Todesverkündigung, die sie mit außergewöhnlicher Tonfülle darbot. Sie wirkte ungemein emotional beteiligt, wovon vor allem die Schlussszene des dritten Aufzugs besonders profitierte.
Mariana Zvetkova verkörperte Fricka mit einem nachdrücklichen Auftreten. Bereits vom Beginn ihrer Szene war überdeutlich, dass für Wotan nun eine ganz schwere Situation zu meistern ist. Ihr heller Mezzo und ihre überzeugende Mimik verliehen der Göttin der Ehe eine eindrucksvolle Autorität und machten sie zu einer beeindruckenden Figur in der Welt der Götter und Helden. Permanent trieb sie Wotan vor sich her und setzte dabei kluge Akzente. Auch vokal blieb sie der Partie nichts schuldig und glänzte mit fulminanten Höhen. Ein starkes Porträt.
Das Walküren-Oktett (Stanislava Momekova, Silvia Teneva, Lyubov Metodieva, Ina Petrova, Elena Mehandzhiyska, Tsveta Sarambelieva, Alexandrina Stoyanova-Andreeva und Vesela Yaneva) war furios und optisch eindrucksvoll auf den roten Pferden.
Evan-Alexis Christ war der souveräne Spiritus Rector im Orchestergraben. Mit untrüglichem Theaterinstinkt ließ er die Leidenschaften im Orchester hochkochen und sorgte für ein tief bewegendes Klangerlebnis. Die Tempi waren flüssig und zielten stets nach vorne. Christ wusste genau, wann er das Orchester von der Leine ließ, sodass auch die großen Ausbrüche besonders intensiv gerieten. Auf der anderen Seite arbeitete Christ mit wissender Hand die vielfachen kammermusikalischen Abschnitte gekonnt heraus. Seine permanente Aufmerksamkeit und seine klare Zeichengebung blieben unermüdlich. Kleinere Unstimmigkeiten wusste er geschickt sofort zu parieren. Deutlich spürbar war die gemeinsame Musizierfreude von Dirigent und Orchester. Ein mitreißendes Dirigat, für das Christ und das hingebungsvolle Orchester besonders intensiv gefeiert wurden. Das Orchester der Nationaloper Sofia geht mit diesem temperamentvollen Dirigenten durch das Feuer und begeisterte einmal mehr mit einer sehr geschlossenen Leistung. In ausgewogener Klangqualität konnte das Orchester in allen Belangen überzeugen. Auffallend ist das gute Miteinander, das aufmerksame aufeinander Hören, woraus dann besonders gelungene Momente resultierten, wie in den samtigen Streicherfarben oder den sensiblen Farbgebungen der Holzbläser.
Viele glückliche Gesichter jubelten an diesem speziellen Opernabend der Leidenschaften.
Die Aufführung der „Walküre“ am 16. Juni im Rahmen des Richard Wagner Festivals in Sofia war zweifellos ein musikalisches und szenisches Ereignis von außergewöhnlicher Qualität. Plamen Kartaloff und Evan-Alexis Christ gelang es, Wagners komplexe und emotional tiefgehende Oper in einer Weise vorzutragen, die das Publikum von der ersten bis zur letzten Minute fesselte. Die herausragenden Leistungen des Sängerensembles und des Orchesters der Nationaloper Sofia trugen maßgeblich dazu bei, diesen Abend unvergesslich zu machen. Besonders beeindruckend war die szenische Umsetzung, die sowohl durch ihre innovative Gestaltung als auch durch ihre werkgetreue Interpretation bestach. Die ungewöhnliche, aber wirkungsvolle Nutzung von Pferden als integraler Bestandteil der Bühnenchoreografie und die durchdachte Lichtregie schufen eine atmosphärische Dichte, die dem dramatischen Gehalt der Oper voll gerecht wurde. Die intensiven Darbietungen der Solisten setzten emotionale Höhepunkte, die tief bewegten.
Der Abend endete mit Ovationen, rhythmischem Applaus und einem spürbaren Gefühl der Ergriffenheit unter den Zuschauern. Es bleibt die Vorfreude auf die Fortsetzung des Festivals mit „Siegfried“ am kommenden Dienstag. Diese dritte Oper des „Ring des Nibelungen“ verspricht erneut ein musikalischer und szenischer Höhepunkt zu werden, welche die bisherigen Eindrücke noch vertiefen und erweitern wird. Die Erwartung, wie sich die Geschichte weiter entfaltet und welche Überraschungen Plamen Kartaloff und sein Team diesmal bereithalten, sorgt bereits jetzt für gespannte Neugierde. Der Weg zu einem weiteren besonderen Abend scheint vorgezeichnet, und das Publikum kann sich auf eine weitere Reise in die faszinierende Welt Wagners freuen.
Dirk Schauß, 17. Juni 2024
Besuchte Vorstellung am 16. Juni 2024 in der Nationaloper Sofia
Richard Wagner
Die Walküre
Evan-Alexis Christ, Leitung